Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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September 2007
Bewegte See
von Claudia Vieregge

„ Jetzt!“, sagte Hutch. Wir sprangen.
Mit zappelnden Beinen fielen wir dem Meer entgegen, auf dem weiße Schaumkronen schwammen. Das Tosen der Brandung verschluckte das Geräusch, mit dem meine Füße die Wasseroberfläche teilten. Kälte kroch an meinem Körper entlang, wickelte ihn in ein stählernes Korsett. Ohne mich zu bewegen, tauchte ich wieder auf. Die Schwimmweste trug mich.

„Du musst schwimmen!“ rief Hutch, der keine fünf Meter von mir entfernt im Wasser trieb. Die Brandung schaukelte seinen Körper auf und ab. „Los, mach schon!“ Seine Stimme klang ungewohnt bestimmt und hatte denselben Tonfall wie die von Mona.
„Schwimm, Caro!“, hatte meine Freundin damals gerufen, „Du musst schwimmen, sonst schaffen wir es nicht!“
Die orangefarbene Weste hielt meinen Körper an der Wasseroberfläche. Meine Arme und Beine schlenkerten, bereit, jedem Strömungswechsel willig zu folgen. Der Rest meines Körpers verweigerte jegliche Koordination. Du musst schwimmen, ermahnte ich ihn. Los, beweg dich!

Eine Welle überspülte mein Gesicht, Salzwasser biss mir in die Nasenschleimhaut. Wie durch eine beschlagene Scheibe sah ich Hutch. Die Ärmel seines Pullovers hingen wie Fledermausflügel herab, als er den Arm hob, um in meine Richtung zu kraulen. Nach wenigen Zügen erreichte er mich. Seine Beine stießen gegen meine, weil er gegen die Strömung anstrampelte. Unaufhörlich schob er die rechte Hand durch das grautrübe Wasser, vor und zurück, während seine linke im Armausschnitt meiner Rettungsweste Halt suchte. Mit seinem Blick zeigte er zum Himmel, an dessen unterem Rand sich jetzt ein grauer Schleier ausbreitete. Der Wetterbericht fiel mir ein.

„Los, ...Brandung...!“ Nur bruchstückhaft gelang es Hutch` Stimme, sich durch den Wind zu beißen. Vergeblich versuchte ich, von seinen Lippen zu lesen, die sich wegen des Wellengangs auf ständig wechselnder Höhe befanden. Die Landzunge, wir mussten die Landzunge erreichen, keine hundert Meter östlich. Hier bei den Klippen zerbarsten die Wellen, unzählige Wassertropfen peitschten unsere Gesichter. Ich kniff die Augen zusammen. Von meinem Körper immer noch keine Reaktion, nur ein Flimmern, wenn ich übers Meer schaute, in dessen stumpfem Grau ich trieb. Es sah aus wie damals, wir hatten den richtigen Tag gewählt.

„Es ist nicht weit“, rief Hutch, „du schaffst das!“ Für einen winzigen Moment glaubte ich wieder, es sei Monas Stimme, auch wenn ich wusste, dass das unmöglich war. Ich sah ihre Haare, die sich in nassen Strähnen wie Wattwürmer um den Kopf wanden.
„Versuch es einfach, du musst es versuchen!“ Hutch hatte Recht, ich musste mich zusammenreißen.
Mein Körper verweigerte jedoch. Wie eine Puppe steckte ich in der Weste. Die Kraft der Wellen hatte zugenommen, das Wiegen wich einem gebremsten Schleudern. Immer wieder leckten mir Salzwasserzungen über Mund und Nase. Hutch bewegte sich, wie mir schien, hektisch.

„Los jetzt!“ Seine Stimme laut wie eine Explosion. Das Bild vor meinen Augen flimmerte stärker.
Plötzlich sah ich das Boot.
Es lag auf der Seite, das Heck vier oder fünf Fuß tief unter Wasser. Eines der Segel hatte sich vom Baum gelöst und bedeckte jetzt die Wasseroberfläche. „Wellenstürmer“ stand da in weißen Buchstaben auf dem Schiffsrumpf, nie wieder würde ich diesen Namen vergessen.

Hutch´ Gesicht wirkte angespannt. Hinter ihm schob sich das Wasser zu einer dunklen Masse zusammen, die unaufhaltsam in unsere Richtung kroch, wie ein hungriges Tier. Ich wollte Hutch etwas zurufen, auf die Welle und das Boot zeigen, aber das Meer hielt meinen Arm gefesselt. Verdammt, ich musste Hutch warnen. Ich durfte nicht wieder versagen.
Hutch` Lippen bewegten sich. Er legte seinen Körper ein wenig auf die Seite. „Ich zieh‘ dich ein Stück, Carolin. Wir müssen weg hier, raus aus der ...“ Den Rest des Satzes spülte die Welle mit. Sie drückte Hutch` Lockenkopf unter die Wasseroberfläche und riss seine Hand von meiner Schwimmweste.

Hutch..., verdammt, wo war er? Ich musste schwimmen! Weitere Erinnerungsfetzen durchfluteten mein Gehirn. Mona, ... ich musste Hutch retten. Er durfte nicht...- da, endlich! Er tauchte wieder auf. Mein Blick klammerte sich an ihn.

„Wir können hier nicht bleiben.“ Hutch‘ Miene entspannte sich etwas. Er nahm meine rechte Hand und krallte sie an seiner Weste fest. „Los jetzt.“ Seine Arme zogen uns beide durch das Wasser. Die Landzunge lag immer noch in weiter Entfernung. Am Himmel tiefes Grau. Keine der Armbewegungen brachte uns dem Land näher.
„Du musst mithelfen Carolin, alleine schaff` ich`s nicht!“
Als ob ich das nicht wüsste! ...Los, beweg dich endlich, du verdammter Körper. Hutch` Bewegungen erlahmten, das Boot, das nur ich sehen konnte, trieb immer noch auf dem Wasser, während die Landzunge unerreichbar blieb. Ich hätte Mona retten können, ich hätte nur schwimmen müssen.
„Hutch!“ Eine neue Welle trieb auf uns zu. Gewaltiger noch als ihre Schwester kurz zuvor. Die obere Kante stieß an den dunklen Horizont, bildete eine Fläche damit.
Mein Schrei durchschnitt das Tosen, Herr im Himmel, ich konnte schreien!

Das Heck des Bootes sank tiefer, zog das Segel mit sich, hinein in einen Strudel, dessen Sog nun auch nach mir zu greifen schien.
„Hutch....wir ertrinken!“
Hutch sah mich an und schüttelte den Kopf, bevor er meine Hand von seiner Weste löste.
„Du schaffst es, Carolin.“ Seine Fledermausflügel stießen durch die Wassermassen, Zug um Zug und schoben ihn Richtung Land. Zwischen ihm und dem Strand knarrte das sinkende Boot im Wasser. Er hatte die Stelle fast passiert, als der Strudel auch seinen Körper erfasste und ihn in die trübe Tiefe zog. So wie Mona vor sieben Monaten und vier Tagen. Der Lockenkopf verschwand unter den Wellen.

Schwimm doch endlich du verdammter Körper! Mit den Augen suchte ich die Wasseroberfläche ab, von Hutch keine Spur. Nur das Boot bewegte sich. Unaufhaltsam neigte es sich tiefer, riss alles, was sich in seiner Umgebung befand in die Tiefe.
Mona, wo bist du?
Plötzlich tauchte der Haarschopf wieder auf, drang aus dem kreiselnden Strudel. Hutch streckte seine Hand zum Himmel, ein Stimmfetzen wehte zu mir, dann versank der Körper wieder. Hutch...- Mona - ich komme. Ich rette euch. Mein rechter Arm spannte sich. Blut und Leben schossen in jede einzelne Zelle. Auch mein anderer Arm gab Lebenszeichen von sich, beide teilten das Wasser vor mir, ich schwamm! Mona, ich schwimme!
Ich zählte die Züge nicht, bis ich die Stelle erreichte, an der Hutch untergetaucht war. Unkoordiniert griff ich in die Tiefe, in der Hutch` Gummiweste schimmerte. Ich griff danach. Diesmal war ich mir sicher!
Das Boot sank; fest umklammerte ich meine Beute. Mit brennenden Lungen zog ich den Körper Richtung Landzunge, die nun immer näher rückte... Wir schwammen.

Irgendwann hatten wir es geschafft. Eine letzte Welle spülte uns an den Strand. Ich schloss die Augen. Kleine Kiesel, die sich zwischen die feinen Sandkörner gemischt hatten, drückten sich in die Haut meiner Beine. Land, wir hatten das Land erreicht. Der Geruch der Schwimmweste mischte sich mit dem des Strandguts. Hinter mir atmete Hutch. Selbst durch das Gummi der Weste konnte ich seine Hand spüren, die er genau zwischen meine Schulterblätter legte.
„Du hast es geschafft, Carolin! Herzlichen Glückwunsch!“, keuchte er in den Sandboden.

Von der Klippe her rannten die anderen zu uns. Vivien vorne weg. Ihr kreischendes Lachen ließ meine Trommelfelle vibrieren. „Geschafft!“, brüllte sie, breitete die Arme aus und ließ sich neben mir in den Sand fallen. Harriet strich mir übers Bein und zwinkerte aufmunternd. Greg verwuschelte mein Haar. „Du warst großartig“, meinte er aufgekratzt.
Hutch nickte. „Ja, sie hat es geschafft.“ Er setzte sich auf, rieb sich mit einem der Handtücher, die irgend jemand mitgebracht hatte, über Gesicht und Hände, ehe er in die Runde sah. Wie eine Schar Möwen kreischte die gesamte Gruppe. Schließlich erhobt sich Hutch, griff nach dem Klemmbrett, das Greg ihm hin hielt. Das Möwenkreischen verstummte. Mit dem Kugelschreiber tippte er auf die Liste unserer Namen.
„O.k., wer von euch ist der Nächste?“
Vivien hob die Hand.

Letzte Aktualisierung: 25.09.2007 - 21.45 Uhr
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