Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Oktober 2007
Peacemill
von Anna Stern

Als sich die Falltür in der groben, hölzernen Plattform öffnete, straffte sich das dicke Tau, spannte und schwang in einer wilden Bewegung. Gleichzeitig ertönte ein Knacken und ein grunzender Laut. Dann herrschte wieder Stille, in der das Tau mit einem quietschenden Ton hin und her pendelte.

Während er die leblose Gestalt beobachtete, deren verhüllter Kopf in der Schlinge steckte, spürte er die Blicke auf sich. Er sah auf und starrte in versteinerte Gesichter. Albert Brown, der Tischler, spuckte schließlich einen braunen Strahl Kautabak auf den staubigen Boden. „Niemand hängt einen McDowell. Seine Brüder werden dich abknallen wie einen räudigen Hund, Sheriff.“

Sheriff Frank Black starrte auf den trüben Blechstern, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag, direkt neben der halb leeren Whiskeyflasche. „Ich sorge hier für Recht und Ordnung,“ murmelte er heiser. „Mir haben es diese Hohlköpfe zu verdanken, dass Butch McDowell sich nicht mehr an ihrem Vieh vergreift.“ Er setzte das leere Glas hart auf dem zerkratzten Holz ab. „Die McDowells tyrannisieren die gesamte Stadt und von mir wird erwartet, dass ich die Gemeinde vor ihnen schütze – aber ich darf dieser Sippe kein Haar krümmen, weil das ja die Rache der Familie herausfordert.“ Wütend fegte er das Glas vom Tisch und schlug mit der Faust auf die Platte. „Ich mache hier meine Arbeit und womit danken es mir diese verdammten Feiglinge? Sie sehen stillschweigend zu, wie die restlichen beiden McDowells mich hinterrücks erschießen!“

Hank Sawyer schaukelte sanft in dem Schaukelstuhl, den Black von seinem Vorgänger geerbt hatte, als er vor einem Jahr den Sheriffposten in Peacemill übernommen hatte. In Hanks Mundwinkel hing eine abgenutzte Pfeife, die er nie anzündete. Hank war der örtliche Schneider und Franks wichtigste Quelle für den innerstädtischen Klatsch. Jetzt zog er ein besorgtes Gesicht. „Du kannst deinen Hintern darauf verwetten, dass sich keiner rührt, wenn die McDowells in die Stadt kommen. Und sie werden nicht lange fragen, sondern den ersten voll Blei pumpen, an dem sie den Sheriffstern entdecken.“ Black stand so abrupt auf, dass sein Schreibtischstuhl gegen die Wand schlug. Er begann nervös im Zimmer auf und ab zu laufen. Hank beobachtete ihn und zeigte dann mit der Spitze der Pfeife auf das matte Blech. „Der verdammte Stern ist wie ein Hinweisschild: den Eigentümer bitte umgehend erschießen.“ Frank blieb stehen. Einen Moment lang rührte er sich nicht, den Blick unverwandt auf die Dunkelheit hinter der schmutzigen Fensterscheibe gerichtet. Dann wandte er sich zu Hank um und ein schlaues Lächeln erschien auf seiner bartbestoppelten unteren Gesichtshälfte. „Dann bekommt eben jeder in diesem gottverfluchten Kaff einen Stern.“

Am folgenden Nachmittag präsentierte Sheriff Black den murmelnden Bürgern von Peacemill auf der Versammlung im örtlichen Schulhaus einen Sack, in dem frischgeschmiedete Blechsterne schepperten. Er schlug mit der Faust auf das Lehrerpult, um sich Gehör zu verschaffen und brüllte in die ihm zugewandten Gesichter: „Hiermit ernenne ich, Euer ansässiger Sheriff, jeden männlichen Bewohner der Stadt Peacemill, der über 21 Jahre ist, zum Hilfssheriff auf Zeit.“ Frank schickte einen Blick aus schmalen Augen in das entsetzte Schweigen. „Das verpflichtet natürlich dazu, dieses Abzeichen zu tragen.“ Nach einem Griff in den prallgefüllten Sack streckte er einen der dünnen gezackten Plättchen in die Höhe und sah, wie die Augen aller Anwesenden sich auf das blinkende Stück Metall richteten. Die Stimme des Sheriffs verwandelte sich ein bedrohliches Flüstern: „Und wenn ich einen von Euch ohne Stern sehe, erschieße ich ihn auf der Stelle.“ Dann dröhnte es laut über ihre Köpfe: „Wegen Verletzung der Amtspflichten!“

Nachdem der erste Schock vorüber war, gewöhnten sich die frisch ernannten Hilfssheriffs von Peacemill schnell an ihre neue Rolle. Tatsächlich wurden sie sich beängstigend schnell ihrer neuen Dienstbefugnisse bewusst, was sich vor allem dahingehend äußerte, dass das städtische Gefängnis aus allen Nähten platzte. „Wer hat diesen Schwachköpfen erzählt, dass man Tatverdächtige zur Befragung 24 Stunden einsperren darf,“ grummelte Sheriff Black düster, als er seinen Frust in einem Glas mit dem Lehrer der Gemeindeschule, Paul Tecklestone, ertränken wollte. Der dürre Tecklestone rückte seine runde Nickelbrille zurecht. „Es steht in der Gemeindeordnung und da du auch den stellvertretenden Bürgermeister zum Hilfssheriff gemacht hast, wird es sich schnell herumgesprochen haben.“ Er grinste. „Das ist für viele eine bequeme Möglichkeit, sich an Leuten zu rächen, denen man schon immer mal ein Schnippchen schlagen wollte. Nachbarn, mit denen man in Streit liegt, Nebenbuhler, Konkurrenten.“

Die beiden saßen im Schulhaus, in dem noch vor zwei Tagen die große Ernennung stattgefunden hatte. Black wippte auf dem zu kleinen Stuhl und hatte die bestiefelten Füße auf den niedrigen Schülerpult gelegt, der vor ihm stand. „Und von den Mc Dowells keine Spur,“ murmelte er und schluckte den Rest der braunen Flüssigkeit in einem Zug. Tecklestone beobachtete ihn mit gerunzelter Stirn. „Was willst du tun? Das kann doch nicht immer so weiter gehen?“ Der Sheriff spuckte auf den Holzboden des Klassenzimmers. „Warum nicht,“ bellte er. Tecklestone seufzte. Er stand auf, als Zeichen dafür, dass nun eine Unterrichtsstunde begann. „Der Sheriffstern ist kein Ablenkungsmanöver, sondern tatsächlich ist er ein Symbol, das dem Träger bestimmte Rechte und Pflichten verleiht.“ Er hob die Augenbrauen. „Rechte und Pflichten, die nicht jeder Dummkopf haben sollte.“

Der Sheriff fluchte laut und ausgiebig. „Entweder ich gehe drauf, oder die ganze Stadt versinkt im Chaos“, fragte er dann mit gerunzelter Stirn. Tecklestone setzte sich wieder in seinen Lehrerstuhl und schwieg. Nach einer Weile ächzte der Sheriff und stand auf. „Ich werde darüber nachdenken.“

Als zwei Tage später der unverheiratete Wilfried Searle seine Mutter für 24 Stunden einsperren wollte, weil sie sich weigerte ihm sein Lieblingsessen zu kochen, war das Maß voll. Black ließ eine neue Versammlung einberufen und forderte die Abzeichen wieder zurück. „Es hat sich herausgestellt, dass ihr die miesesten Hilfssheriffs seid, die in der ganzen Prairie zu finden sind“, brüllte er, während die männlichen Einwohner Peacemills mit gesenktem Kopf an ihm vorbeiliefen und die teilweise äußerst mitgenommen aussehenden Sterne wieder zurück in den Sack warfen. Nach der Versammlung blieb der Sheriff allein im Schulhaus zurück und versank in dumpfes Brüten.

Die Tatsache, dass die McDowells sich eine Woche nach der öffentlichen Hinrichtung des ältesten Sohnes noch nicht in der Stadt hatten blicken lassen, machte ihm gleichzeitig Sorgen und Hoffnung. Vielleicht hatten sie das Signal begriffen, dachte Black, und halten sich von nun an fern. Andererseits kam es ihm wahrscheinlicher vor, dass sie irgendetwas ausheckten. Missmutig betrachtete er den Sack mit den ehemaligen Hilfssheriffsternen. Schließlich zuckte er mit den Schultern, griff das grobe Leinen und trat damit auf die Hauptstraße der Kleinstadt.

Nachein paar Schritten fiel ihm auf, dass kein einziges Licht aus den Fenstern der Häuser auf den festgetrampelten Lehm der breiten Straße fiel. Und dass es ungewöhnlich still war. So still, dass er das Blech in dem Sack leise klirren hörte. Er blieb stehen. Horchte in die Dunkelheit. Erstarrte, als er hinter sich knirschende Fußtritte hörte.

Langsam drehte der Sheriff sich um. Ein paar Meter vor ihm standen zwei dunkle Gestalten in der unmissverständlichen Haltung von Cowboys mit gezogenen Waffen. „Ich glaube, du hast uns erwartet, Sheriff,“ flüsterte die heisere Stimme von Vince McDowell. Black holte tief Luft. „Das habe ich. Und ich habe Euch etwas mitgebracht.“ Mit einer schnellen Bewegung schleuderte er den Sack ihn ihre Richtung, nahm wahr, wie die Blechsterne aus der Öffnung schossen und wie schwarze Fledermäuse um die Brüder herumtanzten, spürte das verwirrte Zögern. Und im Bewusstsein des Sterns auf seiner Weste, des echten und wahren Sheriffsterns, zog Black seinen Colt aus dem Holster und schoss die Trommel leer.

Als sich am nächsten Tag das Erstaunen über das Überleben des Sheriffs gelegt hatte, kam der Bürgermeister mit einem strahlenden Grinsen in das Sheriffbüro und klopfte Frank Black mehrmals auf die Schulter, während er „Gut gemacht, mein Junge,“ vor sich hinmurmelte. Dann stellte er sich vor den Schreibtisch, auf dem Blacks Füße in den löchrigen Socken lagen, und erklärte feierlich: „Jetzt, wo alle McDowell-Brüder, äh, gerichtet sind, kann unsere kleine Gemeinde endlich aufblühen. Aus diesem Grund habe ich, äh, haben die Bürger von Peacemill, beschlossen, dir eine Auszeichnung zu verleihen.“ Erwartungsvoll sah der Bürgermeister auf den gesenkten Kopf des Sheriffs. Black ließ einen Moment verstreichen, dann blickte er langsam auf und erklärte steif: „Was ich getan habe, habe ich als Sheriff dieser verlausten Ansammlung von Bruchbuden getan. Ich habe es getan, weil es verdammt noch mal mein Job ist. Daher schlage ich vor, dass du dir deinen billigen kleinen Anhänger in den Allerwertesten steckst, denn ich habe bereits eine Auszeichnung und die ist mehr wert als alle eure falschen Sprüche zusammen.“ Und Black zeigte mit dem Daumen auf den Sheriffstern, der auf Hochglanz poliert an seiner abgetragenen Lederweste blinkte.

Letzte Aktualisierung: 10.10.2007 - 00.10 Uhr
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