Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Oktober 2007
Hilfe bei Nacht
von Anja Stutz

Als Janosch erwachte, erstreckte sich um ihn herum bloß die endlose Weite der Wüste. Der gelbe Sand verteilte sich über die Hügel und Täler wie fein körniges Gold. Heiß, trocken und todbringend. Als Forscher war er hierher gereist, immer auf der Suche nach dem Unbekannten und stets gut und vernunftgemäß ausgestattet. Doch nun war kein Kompass mehr an seinem Gürtel, kein Proviant und Wasser mehr in seinem Rucksack und auch kein Gold mehr in seinen Taschen. Nein, überfallen zu werden war mit Sicherheit kein Teil seines gut strukturierten Planes gewesen, dem er bis hierher so geradlinig gefolgt war. Nein, dagegen half selbst die beste Vorbereitung nichts. Er hatte neue Funde nach Hause mitbringen wollen, die ihm Ruhm und Anerkennung bringen sollten und nun würde er ohne alles zurückkehren. Die Angreifer hatten ihm nichts gelassen, außer den Kleidern die er am Leibe trug. Sein Kopf schmerzte und der Durst fraß sich durch seine trockene Kehle. Da lag er auf dem Rücken, schwach und mittellos und betrachtete den unendlichen Sternenhimmel über sich. Es war das erste Mal in seinem gut durchdachten Leben, dass er die kleinen, strahlenden Punkte über ihm bewusst bemerkte. Er hatte gehört, dass auch die Sterne einem den Weg weisen können, obwohl er eigentlich nie etwas davon gehalten hatte. Doch nun sah er keine andere Möglichkeit als es zu versuchen, so mutterseelenallein und ohne Kompass. Er sprach laut: „Ihr Sterne, ihr funkelnd kleinen Lichter! Helft mir doch, dann will ich euch zum Lohne ehren!“ Das hörten die Sterne, doch sie waren nicht erfreut über Janoschs Worte. Sie antworteten ihm flüsternd. „Deine Worte sind schwach. Wähle sie bedächtig, erst dann werden sie mächtig.“ Janosch wurde wütend und beschimpfte die Sterne. Wie kamen sie dazu ihn schwach zu nennen? Mittellos war er, aber nicht schwach.
Einen Tag lang wanderte Janosch über den brennend heißen Sand, gequält vom gnadenlosen Durst und der betäubenden Erschöpfung. Als die Nacht ihr schwarzes Tuch fallen ließ, erwachten auch die Sterne. Lieblich schimmernd, wie ein Stück Gold im Licht der Sonne, beobachteten sie Janosch, der sich müde und ausgelaugt in den Sand fallen ließ. Er beschloss, die Sterne erneut zu beschwören, doch wählte er diesmal andere Worte: „Ihr Sterne, ihr funkelnd kleinen Lichter! Ich befehle euch mir zu helfen! Zeigt mir den Weg, denn meine Worte gebieten es euch!“ Doch wieder waren die Sterne enttäuscht und sagten leise mit glockenhellen Stimmen: „Deine Worte sind schwach! Erkenne die wahre Macht und bleibe noch eine weitere Nacht.“ Janosch wurde zornig und schlug auf den Sand vor seinen müden Füßen ein. Welche Worte sollten denn stärker und mächtiger sein als ein Befehl? Durstig und zittrig schlief er ein.
Janosch wanderte einen weiteren Tag durch die Wüste, ohne etwas Essbares zu finden und mit vor Durst trüben Augen. In der Nacht betrachtete er erneut den erhabenen Sternenhimmel und sprach mit schwacher Stimme: „Ihr Sterne, ihr funkelnd kleinen Lichter! Helft mir doch, dann werde ich alles mit euch teilen, alles was ich je besitzen werde!“ Doch auch diesmal hatte er kein Glück, denn er hörte die Sterne flüstern: „Deine Worte sind schwach! Gold ist ein Trug, macht reich, doch nicht klug!“ Janosch konnte vor Erschöpfung, Durst und Hunger kaum noch stehen und schrie aus Leibeskräften: „Was wollt ihr denn? Mehr habe ich doch nicht!“ Doch die Sterne antworteten ihm nicht, sondern blickten treu und stolz oben vom dunklen Himmelszelt auf ihn hinab. Am nächsten Tag kroch Janosch auf seinen Knien weiter, denn der Durst und das Fieber legten sich wie schwere Steine auf seine Brust. Er wusste, dass er sterben würde. Er, dessen Leben stets nach einem geordneten Plan verlaufen war, wie ein Buch seinen nummerierten Seiten folgt, würde nun einsam und schwach in dieser Wüste seinen Tod finden. Ein gestrandeter Forscher, der in seinem Leben nie etwas Wertvolles gefunden hatte. Nein, dachte er plötzlich, als er fiebernd und mit flachem Atem auf den Rücken fiel und heiße Tränen aus seinen sandigen Augen strömten. Er würde nicht schwach von dieser Erde gehen. In dieser Nacht kniete er sich unter den Sternen nieder und begann zu weinen, doch sein Herz war mutig: „Ihr Sterne, ihr funkelnd kleinen Lichter! Mein Leib ist erschöpft und dem Tode nahe. Doch auch wenn die Hitze und der brennende Durst meinen Körper nun bald verglühen werden, so bleibt mir meine Liebe zum Leben stets erhalten. Ich liebe das Universum, denn es ist unser aller Mutter. Und ich liebe euch, ihr Sterne, denn ihr seid die funkelnd hellen Kinder, die leuchtenden Wächter der Nacht. So bitte ich euch nun ein letztes Mal! Helft mir den Weg zu finden, mir, der euch mit jedem noch bleibenden Herzschlag verehrt.“ Nach seiner Bitte fiel er vor Schwäche hustend zu Boden und spürte deutlich den Atem des Todes auf seiner Haut. Da lag er und sah zu den Sternen empor, die er niemals zuvor wahrgenommen hatte und die er nun mehr als alles auf der Welt liebte. Ihr Schimmer würde das Letzte sein, das er in seinem Leben würde sehen dürfen. Doch dann hörte er sie erneut sprechen: „Deine Worte sind stark! Nur das Herz kennt das wahre Glück, so folge uns und du findest nach Hause zurück!“ Janosch erhob sich langsam, weinend vor Glück und Dankbarkeit. Die Sterne leuchteten ihm den Weg durch die Nacht und als der Morgen erwachte, sah er eine Oase vor sich, die an eine kleine Stadt grenzte. Einen ganzen Tag lang verharrte er zwischen den Schatten spendenden Palmen. Hier ruhte er sich aus, trank Wasser aus der frischen Quelle, aß die guten Früchte der Bäume und wusch sich den Sand vom Leibe. In der Nacht sprach er erneut zu den Sternen und bedankte sich für ihre Hilfe: „So sagt mir nur noch eines. Warum musste ich dem Tode erst so nahe sein und vor euch im Sande kriechen. Ehre hatte ich euch doch auch schon beim ersten Mal versprochen.“ Da sprachen die Sterne ein letztes Mal zu ihm, glockenhell und schillernd: „Hilfe braucht keinen Lohn, auch nicht den der Ehre, sie wird nicht durch Befehle geboren, sondern getötet. Doch du hast es erkannt, Janosch. Die wahre Hilfe des Herzens bekommst du nicht, damit du liebst, sondern weil du es bereits tust.“
Janosch zog in die Stadt und flog von dort aus in seine Heimat zurück. Ohne neue Funde zwar, doch mit reichem Herzen. Seit dieser Nacht verging keine weitere, in der er nicht die Sterne betrachtete, egal von wo auf der Welt er gerade in den Himmel blickte.

Letzte Aktualisierung: 01.10.2007 - 23.58 Uhr
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