Honigfalter
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November 2007
Manni
von Renate Hupfeld

Es ließ sie völlig kalt, wie er auf dem Küchenstuhl hing und sie mit einer Mischung aus Provokation und dreister Anmache fixierte. Freakiger Typ, dunkler Teint und blonde Locken, kam gut an bei den Mädchen. Doch ihr konnte er nicht imponieren. Nicht mehr. So viel Geduld wie mit ihm hatte sie noch mit keinem Bewohner der Wohngruppe gehabt. Doch sein Name ging ihr seit einiger Zeit nicht mehr ohne Vorbehalte über die Lippen.
„Und?“, fragte sie spitz.
„Was und? Verpennt hab ich.“
„Klar.“ Sie schluckte. „Hast du wenigstens angerufen und einen neuen Termin vereinbart? Wenn sie dir überhaupt noch eine Chance geben.“
Er schwieg die siffige Tischplatte an.
„Also nein. Dann mach das jetzt!“
„Warum das denn? Kann ich doch morgen machen.“
„Nöhl nicht rum. Sofort rufst du an! Hier!“ Sie hielt ihm ihr Handy hin. Er winkte ab. „Kein Bock“, meinte er.
„Ich fass es nicht. Reden wir von Praktikum oder wovon? Kein Wunder, dass du bisher überall rausgeflogen bist. Cool findest du das. Doch mit dem, was du unter cool verstehst, kommst du nicht weit. Der wievielte Versuch ist das jetzt eigentlich?“
„Was weiß ich denn?“
„Wie soll das denn weiter gehen mit dir?“, herrschte sie ihn an.
„Ist das mein Leben oder was?“, brüllte er und legte trotzig die Füße auf den Tisch. In Momenten wie diesem fand sie die Arbeit mit den Jugendlichen wirklich kein Zuckerschlecken. Doch Manni war eine besonders harte Nuss, eine hohle dazu, wie sie inzwischen erkannt hatte. In seinem Fall musste sie resignieren, was ihr selten passierte.
„Dein Leben. Ein treffendes Stichwort“, entgegnete sie. „Das war’s dann wohl hier. Nachts Wände besprühen, morgens nicht aus dem Bett kommen. Das läuft hier nicht, das läuft nirgends. Ich betrachte die Maßnahme als gescheitert. Das heißt, du verlässt die Wohngruppe.“
„Aber…ich…“, stotterte er.
„Kein Aber. Drei Monate hattest du Zeit. Alle Chancen hast du sausen lassen. Alle! Dazu fällt mir nichts mehr ein. Meine Arbeit stelle ich mir anders vor.“
„Aber ich hab doch gar nix gemacht.“
„Ha, ha, lustig!“
„So kannst du doch mit mir nicht reden“, echauffierte er sich. „Was ist denn mit dir heute los? Warum bist du plötzlich so sauer?“
„Du scheinst es nicht zu kapieren, Manni. Ich diskutiere nicht. Dein Spielchen ist zu Ende.“
Sein Hundeblick machte sie wütend. Unbegreiflich, dass sie diesen Schlappi anfangs sympathisch gefunden und gern mit ihm gearbeitet hatte. Da war sogar mehr gewesen. Zuviel.
„Das kannst du doch so nicht sagen, Karina. Nur du kannst mir helfen. Das weißt du auch.“
Sein weinerlicher Ton war ihr unerträglich. „Lass es“, entgegnete sie barsch. „Wenn du den Hintern nicht hoch kriegst, kann dir niemand helfen. Und noch was….“ Sie zog einen Zettel aus der Hosentasche und warf ihn auf den Tisch. „Das hier, heute in meinem Briefkasten. Dieses lächerliche Geschreibsel kannst du in der Pfeife rauchen. Spare dir auch Anrufe und SMS. So dicke hast du’s nicht. Um nicht zu sagen, gar nix hast du. Wie oft muss ich dir das noch sagen?“
„Über meine Briefe hast du dich doch immer gefreut. Wie soll ich das verstehen?“
„Versteh ich selbst nicht mehr. Die Zeiten ändern sich. Es gibt so was wie Erleuchtungen“, fegte sie ihn an.
„Ich liebe dich, Karina. Das kannst du mir nicht verbieten. Du hast selbst gesagt, man soll auf seine Gefühle hören. Du liebst mich auch, ich spüre das, weiß es sogar.“
„Lenk nicht ab. Du weißt Bescheid.“
„Und wo soll ich hin?“
„Gute Frage. Zur Not erst einmal zu deiner Mutter.“
„Das wüsste ich aber.“ Er hatte plötzlich einen harten Gesichtsausdruck und war auffallend blass. „Du weißt doch, warum das nicht geht. Niemals kann das gut gehen. Gerade du weißt das.“
„Dann eben in eine andere Wohngruppe oder sonst wohin. Das entscheidest du. Deine Aktivitäten sind gefragt und nichts anderes.“
„Das kannst du doch nicht bringen. Bitte, Karina. Du bist die einzige, die mich versteht. Du kannst mich nicht hängen lassen.“ Seine Augen füllten sich mit Tränen.
„Lass das Gehampel“, fuhr sie ihn an. „Und fang mir ja nicht wieder von dem Lebensgefährten deiner Mutter an. Das hatten wir bis zum Abwinken. Nicht er hat Schuld an deiner Misere, sondern du, du ganz allein bist verantwortlich. Deine Aktivitäten sind gefragt.“ Sie stand auf und nahm ihre Tasche. „Ach ja. Vor dem Auszug bringst du deinen ganzen Mist hier in Ordnung, vor allem die Küche. Andere wollen die auch noch benutzen. Entlassungsbericht und Adressen von Anlaufstellen kannst du im Sozialbüro abholen. Ich muss weiter, verdiene schließlich mein Geld nicht im Schlaf.“
„Karina, entschuldige, ich sehe das ein. Es war wirklich Scheiße, wie ich mich benommen habe.“ Er war aufgesprungen und wollte sie festhalten. „Bitte setz dich wieder, Karina. Ich mach dir nen Kaffee. Lass uns in Ruhe darüber reden. Deswegen bist du doch auch hier.“
Mit einem Ruck zog sie ihm den Arm weg. „Quatsch nicht rum! Du packst deine Brocken! Basta!“ Sie schob den Stuhl unter den Tisch und ging hinaus.
„Ich krieg dich doch!“, röhrte es hinter ihr. Sie hielt kurz inne, bevor sie die Wohnungstür von außen zuknallte.

Seit wann war sie so schreckhaft? Ihr war, als hörte sie im Zimmer jemanden atmen. Als sie die Luft anhielt, war es vorbei. Sie nahm die Schlafbrille ab und blinzelte in das Licht der Straßenlaterne, die durch den Vorhang gedämpft in ihr Zimmer schien. Allmählich zeichneten sich die Umrisse ab. Ganz still saß er draußen auf der Fensterbank. Als ein Auto vorüber fuhr, breitete er die Flügel aus und die großen Schatten seiner Schwingen schwebten lautlos an Wänden und Zimmerdecke entlang. Sie folgte ihnen mit den Augen, bis er wieder an seinem Platz saß. Dann wartete sie auf das nächste Auto, verfolgte den kurzen Flug und wie er sich wieder setzte. Seit ihrer Kindheit machte sie das oft, wenn sie nicht einschlafen konnte.
Die Mutter hatte ihr die Geschichte vom Nachtvogel vorgelesen, immer wieder die Stelle, wie der kleine Junge ihn vertrieben hatte. Nur war sie längst kein Kind mehr und glaubte nicht mehr an den Nachtvogel. Und da er nicht existierte, konnte sie ihn auch nicht vertreiben.
Sie legte die Schlafbrille wieder über die Augen und versuchte noch einmal einzuschlafen. Aber das war äußerst schwierig, wenn es im Kopf wild durcheinander wirbelte und jedes Motorengeräusch wie ein Torpedo in die rasenden Gedanken schoss. Also beobachtete sie den Nachtvogel noch eine Weile, sah ihn ab und zu die Schwingen ausbreiten, die großen Schatten die Decke entlang huschen und dann wieder auf der Fensterbank sitzen. Je später es wurde, desto seltener erhob er sich zu seinem Schattenflug.
„Karina, ich liebe dich. Und ich weiß, dass auch du mich liebssst…“ Woher kam das Flüstern? Jetzt verfolgte er sie sogar bis in die Nacht und raubte ihr den Schlaf.
„Das geht entschieden zu weit.“ Ihre Stimme klang rau. „Gib endlich Ruhe.“
„Karina, ich brauche dich. Nur du kannst mir helfen, das weißt du doch auch.“
„Nein, nein. Verschwinde endlich aus meinem Leben.“
„Wie denn, wenn du nicht mit mir redest? So abgedreht kenne ich dich gar nicht. Du warst richtig hysterisch. hast mich und bist einfach abgehauen. Was soll ich denn jetzt tun?“
„Mit mir gibt es nichts mehr zu besprechen. Hab ich dir das nicht deutlich genug gesagt?“
„Du hast es versucht. Aber so einfach geht das nicht. Was war nur los mit dir, Karina? Bist du nicht zu weit gegangen? Kannst du es verantworten, wenn ich in der Gosse lande? Du weißt doch genau, wie du das verhindern kannst. Nur du. Diese Härte passt nicht zu dir, du Sanfte, Liebe. Gib doch ruhig zu, dass du einsam bist und dich sogar ein bisschen freust, wenn ich bei dir bin. Eine schöne junge Frau wie du hat was Besseres verdient, als die ganze Nacht allein schlaflos im Bett zu liegen. Wir können reden und kuscheln, nach Herzenslust. Gib zu, dass du das auch willst.“
Sie atmete tief ein und versuchte ruhig zu bleiben. War sie zu hart gewesen? Wenn ihm nun etwas Schreckliches passierte? Nein, nein, ihm passierte schon nichts. Und wenn… „Ich gebe zu, dass es ein Fehler war, dich in meine Nähe zu lassen. Essen gehen, Kino, Shopping. Nichts dergleichen hätte ich mit dir machen dürfen, schon gar nichts von mir erzählen. Jetzt verfolgst du mich und machst dich hier breit. Nirgends hab ich vor dir Ruhe. Wie die Geister, die man nicht los wird.“
„Hi, hi, hi, die Geister“, kicherte er. „Übrigens, gemütlich hast du es hier. Und wie gut es bei dir riecht. Dolce und Gabbana. Ein schönes Geschenk war das, nicht wahr? Wie du dich gefreut hast! Wusste ich doch, dass dieser Duft zu dir passt. Süß wie du. Du Süße, du!“
„Hör auf zu labern. Da ist nichts mehr.“
„Das meinst du doch nicht ernst. So stark, wie du dich immer gibst, bist du nicht. Du möchtest dich anlehnen, Nähe spüren. Je stärker du dich aufspielst, desto stärker zeigt das deine Sehnsucht nach Liebe.“
„Verpiss dich, es ist zu Ende, verdammt noch mal.“
„Warum sollte das denn zu Ende sein?“ Er lächelte breit. „Das ist nie vorbei. Schließlich hat es doch mal so schön angefangen. Mit uns beiden sollte es nie so enden wie...“
„Hach! Männer!“, sagte sie verächtlich. „Konnte ich ahnen, dass du genauso ein Versager bist wie all die anderen Sprücheklopfer? Zu nichts zu gebrauchen, total lebensuntüchtig. Schlimmer noch. Du bist ein besonders ausgeprägtes Exemplar dieser Spezies von Nullnummern, eine weinerliche Klette bist du. Wenn man dir den kleinen Finger reicht, hat man dich am Hals kleben. Wie ich das hasse! Wie ich dich hasse! Ich werde dich los, du schräger Vogel!“ Sie packte das Kissen, knetete es zu einem Klumpen und schleuderte es mit Wucht gegen das Fenster. Es schepperte und klirrte. Der Vorhang wurde zur Seite geweht und gab kurz den Blick auf die Baumkrone frei.

Letzte Aktualisierung: 27.11.2007 - 19.18 Uhr
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