Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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November 2007
Zwischenlicht
von Lars Blumenroth

»Ist Lisa im Haus?«, fragte er. Sein Gesicht war von Motorenöl verschmiert und glänzte hitzig in der Abendsonne.
»Ja«, sagte Selma. »Sie holt Limo.«
»Und du passt auf die Pferde auf.« Seine Stimme klang plötzlich verändert.
Selma erstarrte.
»Wir haben uns noch gar nicht richtig kennen gelernt«, sagte er und kam auf sie zu. Fahrig wischte er sich mit einer dreckigen Hand über die Stirn. Selma roch seinen Schweiß.
»Ich bin Achim.« Er reichte ihr seine Hand.
Selma schluckte. »Ihre Finger sind schmutzig«, sagte sie.
»Ach, das macht doch nichts«, antwortete er.
Unsicher wich Selma einen Schritt zurück. Lisas Vater stank und war dreckig. Sie wollte ihn nicht berühren. Aber er wollte es, das sah sie ganz deutlich in seinen Augen.
Du hast ja schon richtige Titten, Kleine, hörte sie seine Stimme in ihrem Kopf.

»Und es macht Ihnen wirklich nichts aus?«
»Nein, ganz bestimmt nicht.« Er lachte. »Lisa bringt öfter Freundinnen übers Wochenende mit.«
Melina hatte sich längst zugunsten ihrer Tochter entschieden. Trotzdem zögerte sie. Immerhin war ihr der Mann unbekannt, auch wenn er der Vater von Lisa war, Selmas bester Freundin.
»Ich kann Ihnen versichern, es macht nicht die geringsten Umstände. Die Mädchen werden ohnehin die meiste Zeit mit den Pferden verbringen.«
Melina musste grinsen. Selma liebte Pferde. »Na gut, Sie haben mich überzeugt.«
Neben ihr stieß Selma einen Freudenschrei aus.


Wie gebannt starrte Selma Achim an. Dann ließ sie endlich die Zügel fallen und rannte ins Haus.
»Vorsicht!«, schrie Lisa, aber es war schon zu spät. Scheppernd zersprangen zwei Gläser Limonade auf dem Boden.
»Scheiße! Mensch, Selma, was …« Lisa hielt inne. Der Gesichtsausdruck ihrer Freundin erschreckte sie. »Was ist los?«
»Nichts!«, sagte Selma schnell.
»Was ist mit den Pferden?«
»Die – also, ich …«
»Ich habe deine Freundin wohl erschreckt«, sagte Lisas Vater plötzlich. »Die Pferde stehen am Zaun. Aber vorher machst du den Mist hier wieder sauber.« Dann verschwand er irgendwo im Haus.
Lisa seufzte.

»Warum ist deine Mutter eigentlich gestorben?«, fragte Selma leise. Der Gedanke, dass man keine Mutter mehr haben konnte, war für sie ungeheuerlich. Und nun, da sie bei Lisa zu Hause war, traute sie sich endlich, danach zu fragen.
»Ach, sie war krank«, antwortete Lisa und zuckte mit den Schultern.
»Aber – bist du denn nicht traurig?«
Lisa zog die Augenbrauen zusammen. »Klar bin ich traurig«, sagte sie, »aber wenn ich den ganzen Tag rumheule, kommt sie auch nicht wieder.«
Selma nickte. Irgendwie kam sie sich mit einem Mal richtig kindisch vor.
»Außerdem ist es schon lang her«, fügte Lisa noch an.
»Glaubst du, sie ist – noch irgendwo – da?«
Lisa grinste. »Bestimmt.«


»Du verarschst mich!«, lachte Lisa.
»Nein!«, widersprach Selma. »Ich habe seine Stimme deutlich gehört.«
»Aber er hat nichts gesagt?«
»Nicht in echt, halt nur in meinem Kopf.«
»Du spinnst!« Lisa führte Schneeflocke in die Ställe.
»Nein, wirklich! Ich hab mich total erschrocken und …«
»Und was hat er gesagt?«, fragte Lisa und grinste breit. »Dass du doof bist?«
Selma hielt inne.
»Na?«, rief Lisa neckisch.
»Er hat gesagt, dass – er mich – hübsch findet«, presste Selma hervor.
»Suuuper«, spottete Lisa, »und dafür musstest du Gedanken lesen?«
Selma sah ihre Freundin fassungslos an.
»Was ist?«
»Ich – also – findest du das normal?«
»Dass mein Vater dich hübsch findet? Klar, bist du doch auch, oder?« Dann blieb Lisa abrupt stehen. »Moment! Du meinst doch nicht, dass mein Vater …«
Selma sah, wie sich der Gesichtsausdruck ihrer Freundin verfinsterte.

Selma gab Foxy die Sporen und lenkte das Tier neben Lisa.
»Wo ist eigentlich dein Vater?«
»Ach, der ist ganz sicher in der Garage und bastelt an seinen Autos, warum?«
»Weil ich ihn noch nicht gesehen habe.«
»Sei froh. Solange er sich schmutzig machen kann, nervt er uns nicht.« Lisa lachte.
»Ich wünschte, meine Mutter wäre so locker. Die muss immer alles ganz genau wissen und nervt absolut. Ein Wunder, dass ich übers Wochenende hier sein darf.«


Lisa saß auf dem Bett. »Los!«
Selma kniff die Augen zusammen, bis sie bunte Kästchen aufblitzen sah. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt.
Springreiten, tauchte plötzlich in ihrem Kopf auf.
»Springreiten?«, fragte sie vorsichtig.
Lisas Mund klappte auf. »Woher weißt du das?«
»Also ist es richtig?«
»Jaah! Woher weißt du das?« Sie sprang aus dem Bett und packte Selma an den Schultern. »Was denke ich jetzt?«
Darauf kommt sie nie!
»Darauf kommt sie nie?«, hauchte Selma.
Lisa wich zurück. »Das ist ja absolut geil!« Entgeistert schüttelte sie den Kopf. »Das ist …« Sie ließ sich auf ihr Bett zurückfallen. »Weißt du, was wir damit anstellen können?«
»Das funktioniert nicht immer!«, sagte Selma. »Nur wenn ich jemanden sehr gut kenne …«
»Ach was, bei meinem Vater hat es doch auch geklappt oder?«
»Das ist was anderes«, sagte Selma und fröstelte.
»Wieso?«
»Na ja, es klappt auch, wenn – wenn ich in – Gefahr bin.«

»Also ich weiß nicht, irgendwie ist mir Finn zu blöd.«
»Ich find ihn süß.« Selma spürte wie sie rot wurde.
»Hast du schon mal gehört, wie der mit seinen Freunden …«
Das Licht flackerte. Lisa hielt erschrocken inne. Selma bekam eine Gänsehaut. Dann war es vorbei.
»Baah, ich kann das nicht leiden!«, sagte Lisa und rückte näher an Selma heran.
»Ist doch nur der Strom.« Selma versuchte das mulmige Gefühl zu ignorieren, das in ihr aufstieg.
»Meine Mutter hat immer gesagt, dass das Licht flackert, wenn Geister anwesend sind.«
Selma wollte lachen, konnte aber nicht.
»Angeblich bewegen sie sich zwischen Licht und Dunkelheit. Wenn das Licht lange genug flackert, können sie sogar in unsere Welt …«
»Lass das!«, sagte Selma. »Ich hasse solche Märchen!«


»Du bist hier nicht in Gefahr!«, sagte Lisa und guckte böse.
Selma schluckte. »Okay«, antwortete sie leise.
Die Kleine ist … muss vorsichtig … sicher …
»Hast du was gesagt?«, fragte Selma, obwohl sie längst wusste, dass Lisa weder etwas gesagt noch etwas hörbar gedacht hatte.
»Nein«, antwortete Lisa.
... kann ich vielleicht … aber nicht …
Selma erstarrte. Das waren Achims Gedanken. Er musste in der Nähe sein. Vielleicht direkt vor der Tür? Das Licht begann wieder zu flackern.
»Verdammte Scheiße!«, fluchte Lisa und verkroch sich in ihrem Bett. »Ich hasse das!«
Selma wurde plötzlich kalt. »Glaubst du die Geschichte?«
»Was?«
»Na, mit dem Zwischenlicht.«
»Spinnst du?«
»Aber du fühlst es auch, oder?« Selma hatte das Gefühl, als würde gleich hier im Zimmer ein Gewitter losbrechen.
»Was soll ich fühlen?«
Das Flackern hörte auf.
Dann klopfte es an der Tür. Beide Mädchen schrien entsetzt auf.

Selma putzte sich die Zähne, als sie plötzlich Lisa im Spiegel sah.
»Maaan«, nuschelte sie an der Zahnpasta vorbei und drehte sich um. Doch Lisa war nicht da. Irritiert sah Selma wieder in den Spiegel. Aber das Bild zeigte nur sie selbst. Ganz flüchtig nur hatte sie Lisa hinter sich gesehen. Und irgendwas war mit ihr nicht in Ordnung gewesen. Angestrengt versuchte sie das Bild wieder in den Kopf zu kriegen. Blut. Da war Blut gewesen, oder?
Selma spuckte die Zahnpasta aus. Eilig verließ sie das Bad und stürmte in Lisas Zimmer.
»Ist was?«, fragte Lisa und grinste.


»Man, du hast uns erschreckt!«, rief Lisa und warf ihr Kopfkissen zur Tür.
Achim fing es lässig auf. »Vielleicht solltet ihr euch lieber keine Geistergeschichten erzählen.«
Selma beobachtete Achim starr. Noch stand er ganz normal im Zimmer und war nichts weiter als Lisas Vater. Doch dann sah er Selma an und sein Lächeln verrutschte zu einem seltsamen Grinsen.
Verdammt, richtige Titten hat die Kleine!
Das Licht flackerte kurz.
»Man!«, rief Lisa wieder. »Mach dass das aufhört!«
»Ist nur die Glühbirne«, sagte Achim. »Wenn du willst, kann ich sie morgen …«
»Heute!«, forderte Lisa.
Keine Titten aber Ansprüche stellen …
»Bitte!«, fügte Lisa an.
»Morgen reicht auch«, Achim grinste anzüglich und die Glühbirne fing wieder an zu flackern.
Plötzlich sah Selma in diesem dunkleren Licht, dass Lisas Kopf stark blutete. »Lisa!«, rief sie erschrocken.
»Papa!«, schrie Lisa gleichzeitig.
Dann hörte das Flackern auf und auch das Blut war verschwunden.
»Na gut«, sagte Achim und ging aus dem Zimmer.

Lisas Pferd war bei weitem nicht so störrisch wie Foxy. Selma bekam das Tier kaum bewegt. Immerzu blieb es stehen.
»Wo bleibst du denn?«, rief Lisa.
»Ich komme ja schon!« Selma schnaubte. »Wenn Foxy nur einsehen würde …« Und da lag sie plötzlich, die Leiche. Selma blinzelte. Nichts als das hohe Gras und das Farn zum Waldrand. Doch sie wusste, was sie gesehen hatte. Lisa. Nackt. Den Kopf blutig geschlagen.


Als Achim wieder ins Zimmer kam, sah Selma mit einem Mal vor sich, was geschehen würde. Plötzlich ergaben all die Hinweise einen Sinn!
»Nicht!«, rief sie und sprang aus Lisas Bett. Das Licht flackerte nicht mehr, aber das würde sie wieder hinbekommen. Schnell knipste sie den Lichtschalter an und aus.
»Was machst du?«, schrie Lisa.
»Deine Mutter hatte recht!«
In schnellem Rhythmus blitzte die Glühbirne über Achim auf. Selma sah sein verdutztes Gesicht ein paar Bilder lang. Dann änderte sich plötzlich der Ausdruck und auch seine Position. Von der Dunkelheit zerhackt zuckte er auf sie zu, bis sie schließlich vom Lichtschalter weggestoßen wurde. Doch die Lichtblitze hörten nicht auf. Sie wurden immer schneller, bis die Glühbirne laut brummte. Lisa kreischte wie von Sinnen. Achim fluchte und hämmerte auf den Lichtschalter ein. Dann ging er auf die Lichtquelle zu.
Selma glaubte, Lisa nach ihrer Mutter schreien zu hören.
Plötzlich sah sie eine durchscheinende Gestalt zwischen dem Licht und der Dunkelheit. Mitten im Zimmer. Und sie griff Achim in den Kopf. Schrecklich viel Blut lief ihm aus der Nase, bevor die Glühbirne mit einem Knall zerplatzte.
»Mama!«, schrie Lisa in der Dunkelheit. Immer wieder: »Mama!«

Letzte Aktualisierung: 27.11.2007 - 19.14 Uhr
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