Ganz schön bissig ...
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November 2007
Personaler Paule
von Susanne Ruitenberg

Mein Mittwoch begann völlig normal. Ich stand um sechs Uhr auf, frühstückte mit Luise, küsste sie zum Abschied und wünschte ihr einen schönen Tag. Sie winkte mir an der Haustür nach, wie immer. Für den kurzen Weg zum Büro nahm ich den Smart. Den Kombi ließ ich ihr, falls sie Besorgungen machen wollte. Luise ist freischaffende Künstlerin. Das ganze Dachgeschoss ist ihr Atelier. Sie malt nicht nur, sondern verarbeitet allerlei Kram vom Sperrmüll und aus dem Baumarkt zu – nun – Kunstwerken. Mir erschließen sie sich nicht. Ich muss auf einem Bild erkennen können, was es darstellt. Ein Segelboot in den Wellen, oder ein Sonnenuntergang. Und eine Skulptur zeigt vorzugsweise eine schöne nackte Frau; meinetwegen auch ein rassiges Pferd. Ein Ding mit zehn Armen aus rostigen Antennen, mehreren Ghettoblastern als Körper und Kopfhörern aus Duschköpfen kann ich nicht zwingend als Menschenskind, Medienkind erkennen. Aber sie hat zweitausend Euro dafür bekommen und über das ganze Gesicht gestrahlt, als der Schnösel von der Werbeagentur den Scheck überreichte. Ich will mich nicht beschweren. Anderer Männer Ehefrauen kaufen den ganzen Tag Schuhe oder teure Klamotten oder gehen fremd ... Luise ist halt Künstlerin.

Ich fuhr also ins Büro, zu Personal Systems, inc. Das ist ein großer Laden, der in Personaldienstleistungen macht. Vermittlung und Leihpersonal. Ich bin sozusagen Menschenhändler. Mein Kumpel Kalle nennt mich nur noch ‚Personaler Paule’. Ha ha. Da sitze ich den ganzen Tag lang und versuche, meine vielen offenen Stellen zu besetzen. Es ist zum Haare raufen. Die Firmen wollen die eierlegende Wollmilchsau – für lau. Mitte zwanzig, fünfzehn Jahre Berufserfahrung, aber zum Preis eines Praktikanten. Die Kandidaten springen mir im letzten Moment ab, weil sie etwas Besseres gefunden haben, die Firmen brauchen ewig, um eine Entscheidung zu fällen und überhaupt fehlen gut ausgebildete Leute. Dafür könnte man Heerscharen von analphabetischen Lagerarbeitern vermitteln, wenn die einer haben wollte. Früher hat mir mein Beruf Spaß gemacht. Ich habe mich gefreut, wenn ich jemanden aus der Arbeitslosigkeit rausholen konnte. Der Kick einer gelungenen Vermittlung, die zwanzig Prozent Provision – goldene Zeiten. Heute ist es nur noch frustrierend.
Bis zum Mittag hatte ich fünf Kandidaten interviewt, die kaum den Bleistift gerade halten konnten und vergeblich dem Müller von der Keksfirma Bix klarzumachen versucht, dass er keinen Qualitätsmanager für ein Jahresgehalt von Fünfunddreißigtausend kriegen wird. Ich meine, da verdient eine Chefsekretärin ja mehr.
Zur Kaffeezeit rief dann Luise an. Ihre Mutter habe sich das Bein gebrochen und sie sei auf dem Weg zu ihr. Ob ich ein paar Tage allein zurecht käme. Ich sagte ihr, dass ich ein großer Junge bin, der die Mikrowelle bedienen kann.

Um fünf stand plötzlich mein Chef in der Tür. „Paul, wir haben ein Problem.“
„Wer hat heutzutage keins?“
„Nee, im Ernst. Die Abwicklung hat mir eben erst gesagt, dass Betty krank ist und keiner die Wochenzettel eingegeben hat. Kannst du vielleicht ...“
Ich seufzte. „Gib her, Luise ist sowieso nicht da.“
Er zog einen Stapel Ausdrucke hinter dem Rücken hervor und floh mit sichtbarer Erleichterung aus meinem Büro, bevor ich es mir anders überlegen konnte. Ich schüttelte den Kopf und richtete mich gedanklich auf einen langen Abend ein. Erst mal einen Kaffee. Ich wählte den dreifachen Espresso und einen schönen fetten Schokoriegel aus dem Automaten. Den Kaffee trank ich zu schnell und bekam Herzklopfen. Nachdem ich wieder gerade gucken konnte, begann ich mit dem Einhämmern der Arbeitsstunden. Meiser hatte die Neun-Tage-Woche erfunden. Fink war wie immer nicht in der Lage gewesen, die Spätschichten ordentlich einzutragen. Auf fast jedem Zettel gab es Kuddelmuddel. Die Eingabe dauerte und dauerte. Inzwischen war es dunkel geworden. Und neblig. Die Bürotürme gegenüber verschwanden völlig in der grauen Suppe. Wahnsinn, wie Nebel die Geräusche dämpft. Man hat das Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein. Das Licht bekommt eine andere Qualität. Alles etwas – unwirklich, anders kann ich es nicht beschreiben. Ob es an der Luftfeuchtigkeit lag? Unser altes Gemäuer begann zu knacken und zu knistern. Ich ging auf den Flur, vielleicht war ein Feuer ausgebrochen. Aber dann hätten die Rauchmelder gepfiffen. Keiner da, ich hatte das Stockwerk für mich allein. Auch gut, dann machte mir niemand den Drucker streitig. Ich setzte mich wieder und nahm mir den nächsten Zettel. Der Witzbold hatte mit unsichtbarer Tinte herumexperimentiert. Die Schrift verschwand vor meinen Augen. Würde er halt kein Geld kriegen diese Woche.
Mann, war das ruhig hier. Ich drehte mich zum Fenster. Die Nebelschwaden bildeten Gespinste, wie in einem billigen Horrorfilm. Der eine sah aus wie ein Ritter, und das da? Ein Kind, mit einer klaffenden Wunde auf der Stirn. Heute war ja Halloween! Vielleicht ging deshalb meine Fantasie mit mir durch. Obwohl Luise ja immer sagt, ich hätte gar keine. Auf einmal heulte der Wind, echte B-Film Geräuschkulisse. Aber das kam vom Flur! War doch jemand da und lüftete? Ich stand auf, um nachzusehen. RUMMS! Ein Knall aus der Etage über mir. Nun wurde mir das unheimlich. Wenn ich an Gespenster glauben würde – aber da hatte bestimmt nur jemand eine Aktenkiste fallenlassen. Und das Kettenklappern aus dem Besprechungsraum konnte nur die Putzfrau mit einem kaputten Staubsauger sein.
Ich setzte mich wieder und hämmerte noch ein paar Daten ein. Eigenartig, der Computer reagierte kaum. Als wären Tastatur und Maus eingerostet. Plötzlich merkte ich, dass ich beobachtet wurde. Mein Kopf schnellte hoch. Da stand jemand in der Tür. Den hatte ich noch nie hier gesehen. Ein schmalbrüstiger, älterer Typ.
„Guten Abend.“ Ich setzte mein Kundenlächeln auf, man weiß ja nie.
Er antwortete nicht gleich. Nach endlos scheinenden Minuten kam von ihm: „Sollst zum Chef kommen.“
„Ich, jetzt? Zu Dieter?“
„Kenne keinen Dieter. Zum Chef. DEM Chef. Gibt nur einen.“
Ich schüttelte den Kopf. Was wollte der Knilch?
„Na, das Büro im Neunten.“
„Vom Direx? Der hat noch nie was von mir ...“
„Sollst hingehen. Sofort.“
Er drehte sich um und war im nächsten Augenblick verschwunden. Wie hatte der sich so schnell – na, egal. Ich stand auf. Der Aufzug musste kaputt sein. Ich drückte und drückte, er kam nicht. Also zu Fuß. Augenblicke später stand ich vor Dr. Hübners Bürotür und wusste nicht, wie ich hingekommen war. Bevor ich klopfen konnte, schwang die Tür auf. Ich trat über die Schwelle. In Hübners Büro saß ein völlig unbekannter Mann! Er wirke – grau. Alles an ihm war grau. Die Haare, die Klamotten, sogar die Haut. Merkwürdig.
„Guten Abend, Herr ...“
„Setzen Sie sich.“ Er deutete auf einen Stuhl. Ich platzierte mich vorsichtig auf die Kante.
„Name?“
„Paul Prechtel.“
„Was können Sie?“
„Nun, ich bin Betriebswirt und habe bisher ...“
„Nicht das.“
„Was denn?“
„Können Sie fürchterlich heulen? Kettenrasseln? Durch Wände gehen? Gegenstände kraft Ihrer Gedanken bewegen? Vielleicht sich manifestieren, als schwebendes Gespinst?“
Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Was sollte das? Dann fing ich an zu lachen. „Der ist gut! Hat Dieter Sie engagiert? Sind Sie Schauspieler? Deshalb hat er mir also die Tageszettel ... Und Sie sehen wirklich aus wie ein Gespenst, alle Achtung. Ihr Maskenbildner hat hervorragende Arbeit geleistet. Dieses fast Durchsichtige an Ihnen, und die rötlichen Augen.“ Ich sah mich nach allen Seiten um. Wo war sie, die versteckte Kamera? Diesen Halloweenstreich würden die Kollegen doch mit Sicherheit filmen. Ich stand auf. „Das ist ja ganz nett gewesen, aber ich muss ...“
„Setzen Sie sich!“ Er sah mich finster an. „Sie verstehen nicht.“
Ich zuckte mit den Schultern. Da nahm er meine Hand. Im nächsten Moment waren wir vor meinem Büro. Wie waren wir so schnell ...? Halt, die Tür ist doch zu, STOP! Er zog mich DURCH die Tür? Und zeigte auf meinem Schreibtisch. Ich schrie auf. „Wieso sitze ich da?“
Aber ich saß nicht, ich war über dem Schreibtisch zusammen gesunken, die Kaffeetasse umgekippt, den Kaffee über die Tageszettel verschüttet. „Bin ich ...?“
Er nickte. „Ich kann ihnen eine tolle Stelle anbieten, ist gerade frei geworden. Im Schloss Rheinburg haben die neuen Besitzer mit dilettantischen Beschwörungen Ritter Eduart den Einbeinigen in die nächste Ebene vertrieben. Der hat da seit achthundertsiebzig Jahren gute Arbeit geleistet. Diese Ignoranten. Ich habe mich entschlossen, das Personal aufzustocken. Sie werden zu viert sein, so können sie diesen hirnverbrannten Idioten das Leben gehörig schwer machen. Die anderen habe ich gestern schon rekrutiert. Eine feine Stelle. Abgemacht?“ Er hielt mir seine Hand hin. Ich wollte einschlagen – unsere Hände schwebten durch einander hindurch. Er grinste. „Kommen Sie jetzt. Dann können Sie gleich mit den anderen Lehrgang 1 – Spuken für Trainees absolvieren. Im Konfi C.“ Wir schwebten durch die Tür. Eine junge Frau mit Akten im Arm flog vorbei. „Ach, Chef, ich sollte Sie an den Termin mit dem Turmgeist von Schloss Wellingworth erinnern, er schwebt schon in Konfi J, und Sie haben nachher die Konferenzschaltung mit Burg Ehrengreif und Bergfried von Ibenbruck wegen der Chorgeister.“
„Danke, Miranda.“
Im Büro gegenüber schaukelte ein Geist über dem Computer in der Luft, die Hände auf der Tastatur; ein anderer diktierte einen Brief. Ich wollte mir die Augen reiben, aber meine Hände huschten durch meinen Kopf hindurch. Eine Personalvermittlung! Genau wie in meinem alten Leben. Erfreut schwebte ich zur Decke und machte einen Purzelbaum. Der Chef zwinkerte mir zu. Einen kurzen Augenblick dachte ich an Luise. Würde sie mich vermissen? Dann streifte ich alles ab, wie eine Hülle. Wir verließen mein Büro und schwebten nach oben, in die Konferenzetage, wo ich meine neuen Kollegen kennen lernen würde. Vor der Tür sprang mir ein Schild ins Auge: „SpookInc. – Geisterdienstleistungen aller Art. Zeitarbeit und Vermittlung in Dauerstellung, die dauert ... und dauert ... und dauert.“

Letzte Aktualisierung: 26.11.2007 - 12.17 Uhr
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