Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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November 2007
Leben lassen
von Daniel Schmidt

Er grinste, als er sie wild fluchend neben dem Auto am Straßenrand stehen sah. Dampf strömte aus der geöffneten Motorhaube empor und umrahmte die Szene im Gegenlicht der untergehenden Sonne. Ein schönes Bild, fand er. Fast so perfekt wie der Regenbogen, der sich hinter ihm vor den schwarzen Wolken abzeichnete wie ein farbenfrohes Tor zur Hölle. Er lies seinen Wagen ausrollen, stieg aus und näherte sich behutsam der Frau, die gerade ihre Schuhe mit Tritten gegen Autoreifen lädierte.
"Kann ich helfen?"
"Diese verfluchte Karre. Ich glaub der Kühler is im Arsch. Und dabei hab ich die Mistkiste erst eine Woche! Und anrufen kann man auch niemanden, kein Empfang in dieser öden Gegend."
"Ja, wir sind hier auf dem Land."
"Ach, wirklich?" Sie klang gereizt.
Er drehte seinen Kopf zum Regenbogentor.
"Sehen Sie mal da!"
Sie folgte seinem Blick.
"Ich hab jetzt echt andere Sorgen als so einen bekackten Regenbogen."
"Na ja, wo ein Regenbogen ist, da ist auch der Regen nicht weit. Ich schätze, in fünf Minuten ist er hier, und das wird heftig sein. Sie können also entweder hier im Sturmregen sitzen bleiben und ich rufe von zu Hause die Pannenhilfe, oder wir schleppen ihr Auto zu mir auf den Hof, warten den Regen ab und sehen weiter."
Sie starrte auf die dunklen Wolken, dann auf ihn, schien ihn zu mustern.
"Ich bin Hinrich."
"So so, na dann fahren Sie die Sonja und ihre Schrottmöhre mal auf Ihren Hof, Hinrich."
Mit schnellen Bewegungen, beinahe als mache er es täglich, spannte er das Seil zwischen den Fahrzeugen.
"So, wir können. Warnblinkanlage einschalten und immer bremsbereit sein, ich möchte nicht, dass Sie mir hinten drauf fahren."
"Ich geb mir Mühe."
Sie fuhren los und Sekunden später benetzten die ersten Regentropfen die Straße. Dann wurde es sehr schnell sehr dunkel und aus dem anfänglichen Tröpfeln wurde ein Platzregen, dem die Scheibenwischer kaum Paroli bieten konnten.
Er fuhr sehr langsam, blickte ständig in den Rückspiegel, obwohl er kaum noch was sah und kämpfte sich durch Regen und Sturm. Rechts und links schlugen Blitze ein und verwandelten die Bäume in gespenstische Gestalten. Jeder Donnerknall glich dem Einschlag einer Bombe in unmittelbarer Nähe. Plötzlich stoppte Hinrich den Wagen und stieg aus. Er gab Sonja ein Handzeichen, dass sie im Auto bleiben sollte. Ihr blieb nichts weiter übrig, als ihm zuzusehen, wie er etwas aus dem Kofferraum nahm, sich vor dem Auto bückte und kurze Zeit später die Dinge, die er in der Hand hielt, zurücklegte. Dann fuhr er weiter.

Nach einer guten halben Stunde hatten sie es geschafft. Er öffnete das Scheunentor und fuhr so weit in die Scheune, dass beide Autos im Trockenen standen. Sie stieg aus.
"Wow, so was hab ich ja schon ewig nicht mehr erlebt. Scheiße Mann, die Welt geht unter!"
"Na, so schlimm wirds wohl nicht werden."
Hinrich schälte sich aus seinem durchnässten T-Shirt und wrang es aus. Sonja betrachtete den muskulösen braungebrannten Oberkörper. Trotz der geschätzten 50 Jahre war er noch gut in Form. Sie pfiff anerkennend durch die Zähne.
"Na, da hat aber einer trainiert!"
Hinrich lachte.
"Nein, da hat einer gearbeitet. Kommen Sie, ich mache uns einen Tee!"
Er schloss das Scheunentor ab, bevor sie das Haus betraten.
"Haben Sie Angst, dass Sie jemand ausraubt? Ich hab kein anderes Haus weit und breit gesehen!"
"Man weiß es nie, manchmal treibt sich hier merkwürdiges Gesindel herum. Ich zieh mir mal eben was anderes an, Sie können sich derweil in die Küche setzen, ich komme sofort."
Sonja lies ihren Blick über die alten Möbel schweifen.
"Die Möbel sind ja der Hammer, solche kenn ich noch von Oma. Sind alle im Sperrmüll gelandet, schade eigentlich" rief sie ins Nebenzimmer.
"Ja, sind auch Erbstücke!" antwortete Hinrich und erschien kurz darauf wieder in der Küche.
"Mögen Sie Kaninchen?"
"Ja, schon."
"Gut. Gießen Sie bitte den Tee auf, wenn das Wasser kocht. Ich komme gleich wieder."
Hinrich setzte Teewasser auf, bereitete die Kanne vor, stellte zwei große Tassen auf den Tisch und verschwand.

Sonja blieb neben dem Herd stehen, starrte aus dem Fenster in die Nacht, die ab und zu von einem Blitz erhellt wurde, wartete darauf, dass das Wasser kochte. Bei jedem Donner zuckte sie zusammen. Nach einer Weile, sie hatte den Tee schon längst aufgegossen und wärmte nun ihre Hände an der Kanne, kam Hinrich zurück, mit einem Stück Fleisch in der Hand. Er stellte einen Topf auf den Herd, goss etwas Öl hinein, gab Rosmarin und andere Gewürze hinzu und legte die Fleischstücke in das heiße Fett. Während sie bräunten, schälte er Kartoffeln, die er in kleinen Stücken mit köchelte, nachdem er das Fleisch mit Wein abgelöscht hatte. Er war mit sichtlicher Begeisterung bei der Sache und sog den aus dem Topf steigenden Duft voll Vorfreude ein. Sonja beobachtete ihn die ganze Zeit.

"Was ist mit Ihnen? Sie sind plötzlich so still?" fragte er.
"Ich bin fasziniert, ich habe noch nie einen Mann mit solcher Leidenschaft kochen sehen."
Hinrich warf ihr einen vielsagenden Blick zu. "Was ich mache, das mache ich mit Hingabe, alles andere wäre reine Zeitverschwendung."
Sonja pfiff leise durch die Zähne. Wieder blieben ihre Augen an den muskulösen Oberarmen kleben.
"Wollen Sie mal probieren?"
"Sehr gern!"
Hinrich hielt ihr den Löffel hin, von dem sie mit spitzem Mund etwas Soße schlürfte. "Hmm, das ist echt lecker! Sowas hat noch keiner für mich gekocht!"
"Na dann lassen Sie uns essen."

Sie trugen Geschirr und den Topf zu dem kleinen Tisch und stellten alles breit. Hinrich spendierte einen Rosé. Sie stießen an, aßen schweigend und warfen sich immer wieder ein verstohlenes Lächeln zu. Der Wein und das Essen wärmten von innen, ja es war fast so, als würden sie ständig zusammen kochen und essen, so vertraut schien alles. Sonja streichelte über die Hand von Hinrich. "Danke für das Essen und dass du mich aufgesammelt hast."
"Gern geschehen." Hinrich lächelte in Sonjas Ausschnitt während er noch etwas Wein nachschenkte.
"Mach mich nicht betrunken, ich muss noch nach Hause fahren."
"Dein Auto ist kaputt."
"Ach ja, richtig."
"Wartet denn jemand auf dich?"
Sonja seufzte. "Nein, da wartet niemand."
Sie hielt ihr Glas in die Höhe. "Du hast Recht, machen wir es uns gemütlich."
Verträumt sah sie Hinrich an, in dessen Augen die Vorfreude aufblitzte.

"Kannst du vorher noch den Tisch abräumen, ich muss eben das Fell salzen."
"Das Fell salzen?"
"Ja, damit es nicht hart wird."
"Was für ein Fell?"
"Na, von Max."
"Und wer ist Max?"
Hinrich zeigte auf den Topf. "Du hast ihn eben gegessen."
"Das war… du hast ihn vorhin geschlachtet? Er hatte einen Namen?"
"Ja natürlich. Ist schon okay, er war sowieso dran."
"Ich… es ist nur… ich wusste nicht, dass du das so meintest, als du gefragt hast, ob ich Kaninchen mag."
"Hats dir nicht geschmeckt?"
"Doch, aber…"
"Na, dann ist ja alles bestens!"
Sonja drehte sich zum Fenster. Es hatte aufgehört zu donnern, der Regen hatte nachgelassen. Sie atmete langsam ein und wieder aus, bis der Würgereiz abgeklungen war.
"Was machst du mit dem Fell?"
"Gerben."
"Warum? Nähst du dir einen Mantel aus Kaninchenfell, oder was?"
Hinrich lachte. "Ich brauche keinen Fellmantel, das wäre wohl eher was für dich. Komm mit, ich zeigs dir."
"Ich weiß nicht, ob ich das sehen will."
"Na komm schon, es tut nicht weh."

Er ging in einen Nebenraum. Sonja folgte ihm. Als er das Licht anschaltete, schauten sie von mehreren Regalen lauter Tiere an.
"Ach du schei…." Sonja hielt sich den Mund zu, um nicht auszusprechen, was sie dachte. "Das ist abgefahren, du stopfst sie aus?"
"Ich präpariere sie. Das ist mein Hobby. So leben sie weiter, obwohl sie tot sind."
"Wow." Sie schaute sich die unzähligen Tiere an, Kaninchen, Katzen, ein Fuchs, ein Marder und andere. "Die hast du aber nicht alle gegessen?"
"Nein, natürlich nicht. Die Katzen sind eines natürlichen Todes gestorben. Und der Fuchs hat im Hühnerstall gewildert. Der Marder wurde mir gebracht. Ich habe noch mehr im alten Stall, dort stehen die großen Tiere, Rehe, Kühe, Pferde. Das einzige, was mir wirklich noch fehlt, ist…"
"Was ist da drin?" Sonja zeigte auf einen verschlossenen Schrank.
"Das sind meine Spezialarbeiten, die zeige ich normalerweise nicht." Er öffnete die Türen.
Sonja erstarrte. "Was ist das denn?"
Hinrich streichelte einem Igel über die Stacheln. "Das waren alles wunderschöne Tiere, bevor sie überfahren wurden. Ich hab versucht, sie wieder hin zu bekommen, bei manchen ging es gut, bei anderen eher schlecht. Es dürfen halt noch nicht so viele Autos drüber gefahren sein, sonst ist das Fell komplett ruiniert."
Sonja wandte sich ab, schob die Tür wieder zu. Sie sah blass aus.
"Was ist mit dir?"
"Ich… also… das ist wirklich krank. Mir ist schlecht!"
"Warum? Es kann ja passieren, dass man ein Tier überfährt, aber dann sollte man doch wenigstens den Anstand haben, anzuhalten und es zu begraben. Es einfach liegen zu lassen ist unmenschlich und kalt. Die Tiere haben was Besseres verdient. Ich gebe ihnen ihre Würde zurück."
Sonja schluckte. "Ich müsste mal dein Bad benutzen."
"Ich bin nicht krank!"
"Oh doch, in meinen Augen schon. Ich brauch trotzdem mal ein Klo. Dringend!"
"Es ist da hinten." Seine Hände in den Hosentaschen verkrampften sich zu Fäusten.

Kaum hatte sie das Licht angemacht, schrie sie schon los. Hinrich fiel ein, dass der Eimer mit dem Hasen, den er vorhin von der Straße gekratzt hatte, in der Wanne stand. Noch bevor er etwas sagen konnte, kam Sonja ihm entgegen gerannt. Ein kleiner Tritt an die Tür genügte, dass sie mit dem Kopf gegen die Kante prallte. Blut strömte aus der Platzwunde am Kopf, als sie am Boden lag.

Sachte strich er mit seiner Hand über ihre Wange. "Keine Sorge kleine Sonja, ich mach dich wieder schön."

© Daniel Schmidt 2007

Letzte Aktualisierung: 27.11.2007 - 20.27 Uhr
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