Der Tod aus der Teekiste
Der Tod aus der Teekiste
"Viele Autoren können schreiben, aber nur wenige können originell schreiben. Wir präsentieren Ihnen die Stecknadeln aus dem Heuhaufen."
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Volker Bauer IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
November 2007
Höllenfahrt
von Volker Bauer

„Wo, zur Hölle, sind wir hier bloß?“ Tobias schaltet die Nebelscheinwerfer ein.
„Vermutlich genau dort.“ Karen legt ihr rechtes Bein angewinkelt auf die Frontablage des Autos.
„Sehr witzig.“ Tobias tippt mit dem Finger gegen das Navigationsgerät. Es piepst, der Bildschirm leuchtet kurz auf, dann erscheint ein „Error-Zeichen“ auf dem Display. „Echtes Mistteil – das nächste Mal nehmen wir nicht wieder das Sonderangebot.“
„Du hast es ausgesucht, Schatz, nicht ich.“ Karen dreht den Kopf nach rechts und starrt zum Fenster hinaus. Für einen kurzen Moment reißt der Nebel auf und trotz der Dunkelheit sind schemenhaft ein paar Sträucher zu erkennen.
„Sieht fast aus wie eine ... Moorlandschaft.“
„Moor? Du spinnst ja. Würdest du uns jetzt bitte einfach schnell nach Hause fahren? Ich bin todmüde!“
„Was denkst du, was ich seit Stunden tue? Mit Absicht im Kreis fahren?“ Tobias stoppt den Wagen an einer Kreuzung vor einem Straßenschild. Schief und quer hängt das Schild an einem Pflock.
„Das ist also deine tolle Abkürzung? Wir mussten ja mal wieder mitten durch die Pampa!“
„Sei doch mal still. Ich muss nachdenken. An dem Schild waren wird doch schon mal. Mist!“ Tobias schaltet das Fernlicht ein, was die Sicht aber nicht verbessert.
„Was soll das denn heißen? Störe ich dich jetzt schon beim Denken? Ist es schon so weit?“
„Links oder rechts ... das gibt’s doch nicht.“ Eine weitere Nebelschwade zieht vorbei und einen Moment lang ist gar nichts mehr draußen zu sehen außer zwei Lichtern, die in ein weißes Nichts leuchten.
„Das nächste Mal trinkst du bitte nicht wieder soviel Wein.“
„Was hat der Wein damit zu tun, dass das verdammte Navi nicht geht?“
„Früher gab's auch kein Navi und trotzdem kam ich zu Hause an.“
„Du wolltest unbedingt zu Bert auf den Geburtstag, nicht ich.“
„Und du wolltest nicht, dass wir dort übernachten. Dann wären wir morgen gemütlich bei Tageslicht nach Hause gefahren.“
„Was, wenn ich vorschlagen würde, dass wir bei Eva zum Geburtstag eingeladen sind? Und auch noch übernachten?“
„Untersteh dich!“
„Genau. Da haben wir es.“
„Das ist was anderes. Bert und ich - wir haben eine ... freundschaftliche Beziehung.“
„Ach. Und Eva und ich?“
„Sie ist nur hinter deinem Geld her, glaube mir.“ Karens Augen verdrehen sich.
„Hat sie dir gesagt, oder?“
„Als Frau ... hat man so ein Gespür.“
„Du und dein Gespür. Also, ich fahre links.“ Tobias setzt den Blinker.
„Wenn ich daran denke, dass ich jetzt gemütlich in einem Bett liegen könnte.“ Karen gähnt.
„Kannst du damit mal aufhören? Bitte.“
„Stimmt doch. Wir haben bloß nicht bei Bert übernachtet, weil du ihn nicht leiden kannst.“
„Dafür du ja um so mehr, wie man gesehen hat.“
„Geht das wieder los. Bloß wegen diesem dämlichen Foto.“
„Dämlich? Wenn ich mit Eva so rumknutschen würde!“ Tobias biegt links ab. Er drückt ein wenig zu heftig auf das Gaspedal, sodass der Wagen mit quietschenden Reifen beschleunigt.
„Ras ruhig, Schatz, vielleicht werden wir geblitzt, dann wissen wir später wenigstens, wo wir heute Nacht waren.“
„Fahr du doch, wenn du es besser ka ... – ACHTUNG!“ Tobias legt eine Vollbremsung hin.
„Spinnst du – mein Bein!“ Karen wirft ihm einen wütenden Blick zu.
„Hölle, was war denn das?“ Tobias bläst die Backen auf.
„Was denn, siehst du schon Gespenster? Da war doch nichts.“ Karen reibt sich ihr Bein.
„Ich dachte, da steht jemand mitten auf der Straße“, erklärt Tobias.
„Großartig. Seit wann bist du so schreckhaft?“
„Ich steig aus und schau nach.“ Tobias löst seinen Gurt.
„Was?“
„Ich steig aus.“
„Hier? Da war niemand, Schatz, besprich das nächste Woche mit deinem Psychiater und lass uns jetzt weiterfahren, okay? Ich bekomme gleich meine Migräne.“
„Die bekommst du doch sonst nur, wenn wir ins Bett gehen?“ Tobias öffnet die Wagentür und steigt aus.
„Tobias, bitte!“ Karens Stimme überschlägt sich. Zu spät. Die Tür fällt ins Schloss. Tobias ist ausgestiegen. Karen dreht sich um und sieht hinaus. Nichts. Nur Schwärze. Rundherum. Sie wirft einen Blick auf die Uhr im Auto: Genau Mitternacht. Die Uhr ist offensichtlich stehengebleiben. Sie greift nach ihrem Handy. Kurz nach drei und die Empfangsanzeige auf Null.
„Toll“, wispert Karen. Dann drückt sie auf die Hupe. Immer wieder. Aber nichts geschieht, niemand kommt. Plötzlich taucht eine bleiche Fratze an der Fahrerseite auf. Karen stößt vor Schreck einen Schrei aus. Die Fratze senkt sich und Tobias Gesicht erscheint. Er grinst. Die Tür öffnet sich und er steigt ein. Er legt eine Halloweenmaske auf den Rücksitz.
„Das Ding lag auf dem Boden hinterm Auto. Muss vom Wind hochgeweht worden sein. Hast du dich etwa erschreckt?“
„Kaum.“ Ihre Stimme zittert. Mit geweiteten Augen starrt sie ihn an.
„Du siehst aus, als wäre dein Puls auf hundertachtzig.“
„Fahren wir?“
„Sicher.“ Tobias fährt los. In dem Moment klingelt Karens Handy.
„Hurra, Empfang!“ Sie nimmt das Handy. „Hallo? Bert, ich ... nein ... noch nicht. Stell dir vor, Tobias hat sich verfahren. Ja, total, keine Ahnung wo wir sind. Sein Navigationsgerät ist ausgefallen und eine Landkarte braucht man ja sowieso nicht mehr heutzutage. Umkehren? Gerne, aber dazu ... Hallo? ... Hallo? ... Mist, der Empfang ist weg. Fahr doch mal an den Rand oder ein paar Meter zurück! Halt endlich an, verdammt noch mal!“
Tobias hält an.
„Ein paar Meter die Straße zurück, da war noch Empfang.“
„Ist das so wichtig?“ Tobias haut mit der flachen Hand gegen das Lenkrad.
Plötzlich leuchtet grell ein Fernlicht von hinten in den Wagen, eine lautes Dauerhupen dröhnt durch das Auto und ein LKW donnert vorbei.
„Hölle! Das war knapp! Was war das denn?“ Tobias langt sich an die Stirn.
„Jemand, der im Unterschied zu dir offensichtlich den Weg kennt. Schatz, das Auto hat doch einen Rückwärtsgang, oder?“ Karen tippt auf ihr Handy.
„Wie du willst!“ Tobias legt den Rückwärtsgang ein und beschleunigt. Der Motor heult auf. Nach hinten ist die Sicht noch schlechter als nach vorne. Plötzlich schlingert das Auto, ein dumpfes Platschen erklingt und der Wagen neigt sich zur Seite.
„Huch! Pass doch auf!“
„Mist nochmal, der Straßengraben.“ Tobias wechselt den Gang und versucht Gas zu geben. Zu spät, die Räder drehen durch und der Wagen rutscht immer weiter zur Seite, bis der Motor mit einem heftigen Rucker abstirbt.
„Wow. Jetzt hast du's geschafft. Bist du als Student nicht mal Taxi gefahren?“
„Du wolltest, dass ich zurückfahre in dieser elenden Suppe. Mist! Jetzt haben wir den Salat!“
„Hab' ich vielleicht gesagt, Schatz, fahr doch mal bitte mal schnell den Wagen in den gottverdammten Graben?“
„Könntest du nur einmal ... still - hörst du das?“ Es gluckst und blubbert leise von irgendwoher. Tobias schaltet die Innenbeleuchtung des Autos an. Einen Moment herrscht Schweigen im Auto. Sie starren sich an.
„Hört sich an, wie wenn ...“ Karen greift nach dem Haltegriff am Dach, denn das Auto bekommt heftige Schieflage. Sie schreit auf.
„Das gibt es doch nicht - wir versinken! Raus!“ Tobias drückt mühsam die Fahrertür auf und klettert halb aus dem Wagen. Sein Bein versinkt augenblicklich bis zum Knöchel im Schlamm.
„Meine Handtasche!“ Verzweifelt sucht Karen ihre Handtasche auf dem Rücksitz.
„Lass dir ruhig Zeit. Als Moorleiche machst du bestimmt eine gute Figur.“
„Sehr charmant!“ Sie findet ihre Handtasche und schiebt sich in Richtung Fahrertür. Tobias reicht Karen die Hand und hilft ihr aus dem Auto.
Sie kämpfen sich durch Schlick bis zum Straßenrand.
„Oh Gott, meine Schuhe sind hin.“ Karen setzt sich auf den Asphalt.
„Das Auto ist hin.“ Tobias setzt sich daneben.
Die Lichter des Wagens ragen wie zwei Lichtsäulen schräg in den Nachthimmel. Ansonsten ist in der Dunkelheit und dem Nebel wenig zu erkennen. Es blubbert leise. In Schüben versinkt das Fahrzeug im Morast.
„Naja, Schatz, jetzt hast du immerhin einen Grund, dir wieder mal ein neues Auto zu kaufen.“
„Und du dir das zweihundertste Paar Schuhe.“
„Es sind nur achtundfünfzig.“
„Macht das einen Unterschied?“
„Für dich offensichtlich nicht. Für Bert wohl.“
„Ach, wie soll ich das denn verstehen?“
„Tut mir leid, aber vermutlich ist es besser so. Einmal musstest du es ja so oder so erfahren.“ In der Ferne ist das Geräusch eines näher kommenden Autos zu hören. Sie zieht ihre schlammbedeckten Schuhe aus.
„Verstehe, so ist das also. Freundschaftliches Verhältnis. Dass ich nicht lache.“
„War es auch, bis ...“ Sie verstummt, fährt dann fort: „Vielleicht solltest du zu Eva gehen.“
„Offen gesagt, da war ich schon.“
„Was?“
„Als du auf dem Kongress in Berlin warst. Sie hatte ... Geburtstag.“
„Wusste ich's doch. Aber, um ehrlich zu sein, ich war gar nicht in Berlin.“
„Nein?“
„Nein.“
Ein Auto nähert sich, hält an. Der Fahrer steigt aus.
„Guten Morgen, Unfall?“
„So ähnlich. Können Sie mich mitnehmen?“ Karen ist aufgestanden.
„In Ordnung.“ Der Mann öffnet ihr die Tür, sie steigt ein, dreht das Fenster herunter.
„Du hörst von meinem Anwalt.“
„Wegen dem Geld, oder?“
Schweigend dreht sie das Fenster wieder hoch, das Auto fährt weg. Tobias starrt den kleiner werdenden Rücklichtern hinterher.
Mit einem letzten Blubbern versinkt sein Wagen endgültig im Schlamm. Er nimmt Karens Schuhe und wirft sie in hohem Bogen in die Dunkelheit. Dann ist Ruhe. Entgültig.

Letzte Aktualisierung: 13.11.2007 - 23.07 Uhr
Dieser Text enthält 9548 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.