Das alte Buch Mamsell
Das alte Buch Mamsell
Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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November 2007
Verbindlichkeiten
von Axel Weiß

1.
"Wissen Sie, als der alte Hilgentrop im letzten Frühjahr gestorben ist - da kam das niemandem gelegener als mir."
"Wieso das?" fragte ich erstaunt.
Karls betretenes Gesicht sowie eine kurze Pause ließen schon erahnen, dass ihm etwas Unangenehmes auf der Zunge lag.
"Nun, ich befand mich in gewissen geldlichen Nöten ... Hilgentrop indes war ein vermögender Mann, sein Kolonialwarengeschäft lief blendend. Überdies hatte er sich ein zweites Standbein eingerichtet; dank seiner Zeit als Großwildjäger in Deutsch-Ostafrika war er im Besitz zahlreicher Trophäen. Seine geschickt gefertigten Tischlampen, Kleiderhaken und Papierkörbe aus den Hörnern von Antilope, Büffel und Gazelle ließen es schön in der Kasse klingeln. Nicht zu reden von all dem anderen Kram, der reißenden Absatz fand ... Schilde, Speere und überhaupt Waffen der Eingeborenen.
Kurz, ich wandte mich an ihn, und er half mir aus der Klemme. Kein unerheblicher Betrag ... hat mir wieder auf die Beine geholfen. Aber noch bevor ich die Schuld begleichen konnte, segnete der Kaufmann das Zeitliche."
"Und", wollte ich wissen, "Ende der Geschichte?"
"Es ist eher der Anfang." sagte er und beugte sich mir über den Tisch entgegen. Mit gesenkter Stimme fuhr er fort: "Das Geld machte mich nicht glücklich. Stellen Sie sich vor, der Tote bestand über das Grab hinaus darauf und wollte nicht eher ruhen, bis die Verbindlichkeiten erledigt waren."
Ich gab mich ungläubig.
"Sie können es mir glauben - der Geizhals hat mich geärgert, dass es nicht zum Aushalten war! Ständig hat es irgendwo im Haus unerklärlich geklappert und geraschelt. Keine Nacht konnte ich mehr ruhig durchschlafen. Meine Alte hörte es ja auch, sie wusste aber nichts von der Schuld und wähnte eine umfangreiche Mäusefamilie hinter den Wänden. Endlich ist mir Hilgentrops Geist im Traum erschienen. Hat mir gedroht, wenn ich das Geld nicht zurückzahle, schlage er mich tot."
"Sie haben sich also an die Verwandten gehalten?" mutmaßte ich.
"Ging nicht, er hatte keine. Eines Nachts wies er mir eine Stelle im Wald und befahl, das Geld dort zu vergraben. Unter der alten Wilddiebseiche habe ich schließlich den Betrag auf Heller und Pfennig in der Erde versenkt. Seitdem - Ruhe."
"Eine tolle Geschichte. Nur dürfen Sie nicht erwarten, dass ich ihr den geringsten Glauben schenke."
Er zuckte mir den Schultern und seufzte: "Das habe ich befürchtet. Die Sache drückte mir aufs Gemüt, und ich wollte mich einer fühlenden Seele anvertrauen. Was mich betrifft, so bin ich nun erleichtert. Es täte mir aber aufrichtig leid, wenn Sie denken, ich habe Sie auf den Arm nehmen wollen."
Ich fragte, wem er noch davon erzählt hatte.
"Bei Gott, nur Ihnen!" beteuerte er lallend, wobei das aufgedunsene Gesicht durch den reichlich genossenen Punsch herrlich leuchtete.
Und auch mir brauste es heiß durchs Blut, als wir den Rathauskeller verließen und uns auf der Gasse voneinander verabschiedeten.
Der alte Gauner, ging es mir durch denk Kopf. Tatsächlich hatte er eine Seite in mir empfindlich zum Klingen gebracht. Was mochte dran sein an seiner Erzählung? War er tatsächlich ein solcher Narr, dass er Geld im Wald vergrub?
Meine Abenteuerlust war jedenfalls kräftig entfacht worden, und ich beschloss, dem Ganzen auf den Grund zu gehen. Später, so dachte ich mir, konnte ich ja alles auf den Punsch schieben ...
Nachdem ich also nach Hause geeilt und mich mit einem Spaten bewaffnet hatte, machte ich mich auf den Weg in den Wald.
Sternenklar spannte sich über mir das Himmelszelt und ein freundlich gesinnter Mond sandte mir helles Licht durch die Stämme der urwüchsigen Eichen, als ich mein Ziel erreicht hatte.
Wie ich den bizarren Baum mit seinen hundertvielfältigen Verästelungen betrachtete und mich des gespenstischen Anlasses meiner Anwesenheit besann, da überkam mich so recht eine wildromantische Stimmung. Vorn fern her klagte schauerlich ein Uhu und rundete die Szene vollends ab.
Ich grub und grub, einmal um die Eiche herum. Die gefrorene Erde brachte mich tüchtig ins Schwitzen, aber wie besessen rammte ich den Spaten immer wieder hinein. Innerlich frohlockte ich bereits, dass ich Karl bei nächster Gelegenheit der Aufschneiderei bezichtigen konnte ...
Da stieß ich auf Widerstand. Es wird die Wurzel sein, dachte ich. Aber je mehr ich grub, desto klarer offenbarte sich mir der Deckel einer kleinen Holztruhe. Mit doppelter Anstrengung war sie bald freigelegt. Verschlossen. Na, ein Geist wird wohl leicht durchs Schlüsselloch hineinkriechen können, überlegte ich. Aber auch mir sollte der Zugang nicht verwehrt bleiben. Unter den wuchtigen Schlägen des Eisenblattes waren die Scharniere bald zersprungen.
Gerade wollte ich den Deckel entfernen, da tönte es mit unheimlich tiefer Stimme: "Finger weg von meinem Eigentum, sterblicher Nichtsnutz!"
Einen Augenblick wagte ich nicht zu atmen, dann bezwang ich meine Angst und wandte mich langsam um.
Mit schwankenden Schritten wankte die gespenstische Erscheinung mir entgegen, ließ dabei ein grässliches Heulen vernehmen, das dem Uhu ernsthaft Konkurrenz machen konnte.
"Sie alter Teufel!" herrschte ich Karl an und riss ihm das Bettlaken vom Leib.
"Hoho", spottete er, "wusste ich es doch, dass Sie mir auf den Leim gehen. Ist ja bekannt, dass Sie neugierig wie ein Waschweib sind, Hehe ... Wie Sie sich abgemüht haben - einfach köstlich. Hoffentlich holen Sie sich in der kalten Luft keinen Schnupfen!"
Er hatte die ganze Sache von langer Hand geplant und war mir nachgeschlichen. Ich verfluchte ihn.
"Will aber nun mein Geld wieder an mich nehmen. Sie sind ja durch meinen verfrühten Einsatz gar nicht dazu gekommen, es in Augenschein zu nehmen. Ja, da schauen Sie! Es sollte eben alles ganz echt wirken ..."
Richtig, nun grinsten mich die angeblichen Verbindlichkeiten höhnisch an. Einige zehntausend Mark mussten es sein, die der Witzbold sich nun in raschelnden Scheinen in die Taschen stopfte.
Derweil kicherte er weiter: "Wenn Sie möchten, graben Sie die Kiste ruhig wieder ein. Ich habe keine Verwendung mehr dafür. Im Übrigen, grämen Sie sich nicht. Mich hat der Spaß auch Schweiß gekostet ... musste ja schließlich das Ding erstmal hier hoch schaffen und verbuddeln. Aber Ihr blödes Gesicht ist es mir wert gewesen, Hehe ..."
Ohne lange nachzudenken riss ich schwungvoll den Spaten in die Höhe und ließ ihn auf Karls Schädel niederfahren. Dort schlug er mit hässlichem Geräusch auf.
Er brach über der Kiste zusammen. Mit ungeahnt kaltem Blut zertrümmerte ich ihm sein Haupt bis zur Unkenntlichkeit.
Erst im Morgengrauen war meine schreckliche Arbeit getan, hatten Karl und Kiste tief im kalten Waldboden ihr verschwiegenes Grab gefunden.
Ein Gockel krähte, als mich die schlafende Stadt im Schutz der Dämmerung aufnahm.
Das Gesicht hinterm hochgestellten Mantelkragen verborgen, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, die Taschen prall gefüllt mit Geld, schlich ich nach Hause.

2.
Nur zögernd dringen die Strahlen der Frühlingssonne zwischen die altehrwürdigen Fachwerkhäuser des westfälischen Städtchens. Das Tagewerk hat schon lange begonnen, auf den Straßen herrscht reges Treiben.
Und noch ehe man sich zum zehn Uhr Brot begeben hat, ist die grausige Neuigkeit bereits einmal durch die ganze Stadt geeilt; gibt es fast keinen, der es noch nicht weiß. Der magenleidende Gerichtsassessor Hörschelmann hat soeben die Apotheke mit einer Packung Kaiser Natron verlassen, da tritt ein neuer Kunde unter Glöckchengeklingel ein.
"Ich habe ihn ja ganz gut gekannt", sagt der Apotheker, "im Grunde ein netter Kerl. Litt aber an Neurasthenie ... und ein Hypochonder war er außerdem. Krankte bald an diesem, bald an jenem. Denken Sie sich - vor kurzem behauptete er gar, ein Geist verfolge ihn!"
"Ach so?" fragt der Lehrer, der einen Hang zu allem Okkulten hat, "ein Geist - welcher Art?"
"Na, das weiß ich nicht. War vielleicht auch einfach das schlechtes Gewissen, das ihn quälte ..."
Fragend schaut ihn der Lehrer an.
"Haben Sie denn noch nichts von dem Spaten gehört? Ein blutverschmierter Spaten wurde bei ihm gefunden ... und vor knapp einem Monaten ist doch sein Trinkfreund, der Karl Jüttmann, spurlos verschwunden."
"Sie meinen ... ?"
"Gar nichts meine ich! Sowieso: de mortuis nil nisi bene."
"Ich erfahre ja nichts, wenn ich den ganzen Morgen in meinem staubigen Klassenzimmer zubringen muss! Weiß man denn, wie er getötet wurde?
"Allerdings", antwortet der eben hinzugetretene Dr. Gregor Amelunxen - seines Zeichens Leiter der völkerkundlichen Abteilung des Stadtmuseums und in dem besagten Fall um Konsultation ersucht worden.
"Das Mordwerkzeug lag direkt neben der Leiche. Er ist brutal zu Tode geprügelt worden, mit einer Sjambok. Einer afrikanischen Nilpferdpeitsche."

Letzte Aktualisierung: 16.11.2007 - 20.04 Uhr
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