Der Tod aus der Teekiste
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"Viele Autoren können schreiben, aber nur wenige können originell schreiben. Wir präsentieren Ihnen die Stecknadeln aus dem Heuhaufen."
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Dezember 2007
Nachtstraße
von Sylvia Seelert

Ich erinnere mich: Zwei Kometen kollidierten auf der Nachtstraße und noch Tage und Wochen schmerzten ihre scharfkantigen Trümmer in mir. Wenn die Nacht fällt, wie an jenem Abend, die Luft frostkalt steht und Sterne mit klaren Blicken herabschauen, dann rühren sich die Splitter, schieben sich zu dem zusammen, was ungebrochen war.
Gewärmt vom Licht der Geburtstagskerzen, sechsundzwanzig an der Zahl, begann der Lauf der Stunden. Es waren wunderbare im Kreise vertrauter Freundinnen, die lachten und erzählten. Maike, Ramona und ich. Augen leuchteten zwischen den Geschenken, Papier knisterte, Gläser klirrten und Sekt prickelte überschäumend auf der Zunge. Nach Mitternacht die große Verabschiedung: Umarmungen, Schwüre, Abschiedsworte. Zusammen mit Ramona ging ich durch einen langen Flur hinaus in die Nacht.
„Wir sehen uns morgen beim Joggen“, versprach sie und schlug die Autotür hinter sich zu. Ihre Rücklichter sah ich noch aufflammen bevor sie in der Dunkelheit verschwanden.
Sie bog links ab, mein Weg führte mich nach rechts. Als ich nur Momente später zur selben Kreuzung kam, lagen die Überreste von zwei abgestürzten Kometen auf der Nachtstraße. Wo waren nur der Knall und das Knirschen von zersplittertem Glas geblieben? Sie hätten mich warnen müssen. Es war so still, so unheimlich still. Grotesk verbogene Autoleichen lagen auf dem grauen Asphalt. Doch die Stille war trügerisch. Das wusste ich in dem Moment, als ich dies eine Gesicht hinter der geborstenen Fensterscheibe erkannte und mein Mund ihren Namen rief:
„Ramona!“
Eine Marionette, der führenden Seile beraubt, so lag sie da und ihr schwarzes Haar ergoss sich über das Lenkrad. Bitte nicht, schrie die Angst in mir, während meine Hände sich in ihren Körper krallten. Sie erwachte. Doch was für ein Erwachen. Wäre sie nur stumm geblieben. Es war nicht sie, es war ein Tier, das ich hörte. Laute, die ich nicht beschreiben kann. Ihren Namen rief ich immer und immer wieder.
Der andere fiel mir ein und ich rannte zu ihm herüber. Durch sein dunkles Fenster kamen Töne, noch grauenvoller. Sie ließen mich zurückprallen, warnten mich, warnten mich davor näher zu treten und Dinge zu sehen, die nicht für meine Augen bestimmt waren.
So ging ich zurück. Ihr Haar streichelte ich, versuchte mit meiner Stimme in ihr das Menschliche zu wecken. Wir taumelten durch einen Traum, durch Landschaften von Schmerz, Entsetzen und Hilflosigkeit. Wir wachten nicht auf.
Sirenen ertönten und Blaulicht zerschnitt die Stille der Nacht. So viele Menschen um uns herum. Sie zogen uns aus den Bruchstücken dieser Schattenwelt, nahmen Ramona und den anderen mit sich.
Ganz still und verlassen stand ich mitten auf der Straße, blickte um mich und fragte:
„Wie hat das alles nur so weit kommen können? Eben noch schien alles richtig zu sein …“
Ich erinnere mich. Jedes Mal, wenn ich zu Ramona gehe. Das Tor quietscht leise in den Angeln und ich halte ihre Lieblingsblumen in der Hand: goldgelbe Rosen mit Kamille und Ringelblumen. Das ist wie durch Sommerfelder laufen und schauen, wie der Wind seine Muster in das Korn malt. Mit diesen Worten hat sie immer daran gerochen. Laufen kann sie nicht mehr, auch nicht mehr sprechen. Nur ihre Augen blicken klar vom Bild im Stein herab. Und ich weine, wenn ich ihr die Blumen hinstelle.
„Du hast es mir versprochen …“

Letzte Aktualisierung: 27.12.2007 - 16.05 Uhr
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