Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Januar 2008
Die Stellenanzeige
von Gertraude Schreiber

Mit einem letzten Sprung hechte ich in den Bus. Hinter mir schnappt die TĂŒr zu. Das war knapp. Hoffentlich komme ich pĂŒnktlich zu meinem Vorstellungstermin. Erst als der Bus anfĂ€hrt, fĂ€llt mir ein, dass ich keine Fahrkarte habe. Ich gehe nach vorn zum Fahrer, um nachzulösen.
„Bitte einmal Endstation.“
Meine Hand mit dem Geld verharrt in der Luft, ich kneife die Augen zusammen und öffne sie wieder.
Der Fahrersitz bleibt leer.
Der Blinker tickert, das Lenkrad dreht sich nach links, und ich sehe, wie sich der Bus in den Verkehr einfĂ€delt. Meine Nackenhaare strĂ€uben sich. Vor uns schert jemand ein, der Bus bremst scharf ab, weicht aus und windet sich durch die Fahrzeugschlangen. Nur mit MĂŒhe löse ich meine Hand von der Haltestange, wo sie einen nassen Abdruck hinterlĂ€sst. Ich traue diesem technischen Fortschritt nicht. Um ehrlich zu sein, erfĂŒllt mich ein unbĂ€ndiger Hass gegen die Automatisierung.

Mein letzter Arbeitsplatz wurde aufgrund technischer Neuerungen wegrationalisiert. Inzwischen erledigen hirnlose Automaten meine Aufgabe und ich bin arbeitslos. Wozu habe ich in China mein Handwerk erlernt, es in SĂŒdamerika verfeinert und in den USA den letzten Schliff bekommen? Sollen die vielen Jahre Auslandserfahrung umsonst gewesen sein?
Ich war immer stolz darauf, dass ich bei meiner Arbeit ohne neumodischen Schnickschnack auskomme. Ich bin ich ein bestens ausgebildeter Handwerker, pĂŒnktlich, prĂ€zise und schnell, so steht es jedenfalls in meinen Zeugnissen. Aber das zĂ€hlt leider nicht mehr, auch nicht in meinem Beruf. Jeder Trottel ist heutzutage in der Lage, die wenigen Handgriffe zu tun, die ihm die Technik ĂŒbrig lĂ€sst.
Als ich auf der Homepage meiner Innung von dieser Stelle in meiner Heimatstadt las, die wie maßgeschneidert zu meinem Profil passte, wollte ich es erst nicht glauben. Dann habe ich mich beworben. Ich muss diesen Job bekommen! Die Anzeige war kein Zufall, sondern ein Wink des Schicksals, da bin ich mir sicher.

Noch drei Stationen, dann muss ich raus. Am liebsten wĂŒrde ich sofort aus dem Fahrzeug springen, doch dann kĂ€me ich zu spĂ€t. Bis zur Endhaltestelle „Vorhof“ solle ich fahren, steht in der Einladung, die angenehm riecht - rauchig und sĂŒĂŸlich zugleich.
Ich schaue mich um, suche nach einem Hinweis fĂŒr FahrgĂ€ste ohne gĂŒltigen Fahrschein.
Nichts. Hoffentlich steigt kein Kontrolleur ein.
Ratlos gehe ich nach hinten, spreche zwei FahrgÀste an.
„Kennen Sie sich hier aus? Ich meine, ist es ĂŒblich, dass der Bus zum Vorhof automatisch gelenkt wird?“
Keine Antwort. Sie schauen durch mich hindurch, ohne sich zu rĂŒhren, nicht einmal ihre Wimpern zucken. Obwohl ich in meinem Leben viele seltsame Kunden hatte, finde ich ihr Verhalten komisch. Eine Gruppe junger Leute, die in der letzten Sitzreihe miteinander tuschelt, mag ich nicht fragen. Sie haben die Kapuzen tief in die Stirn gezogen, so dass ihre Gesichter wie dunkle Löcher wirken.
Ich setze mich hin und schaue aus dem Fenster. Wir fahren an Industrieanlagen, BĂŒrogebĂ€uden und schĂ€bigen Mietskasernen vorbei. An diese Gegend kann ich mich nicht erinnern.
Keine Menschenseele ist zu sehen. Zwischen struppigem Unkraut verschwindet eine Katze in der DĂ€mmerung. Zwei Hunde kĂ€mpfen mit hochgezogenen Lefzen um einen blutigen Fetzen. Ich kenne diese Sorte, sie ist groß, stark, dauernd hungrig und gehorcht ihrem Herrn aufs Wort. Wenn ich erst die Stelle habe, werde ich mir so einen wieder anschaffen.
Der Bus stoppt.
„BĂŒĂŸerweg“ lese ich auf dem Haltestellenschild. Die Kapuzen verlassen den Bus, marschieren im GĂ€nsemarsch davon. Lautlos schließt sich die TĂŒr, leises Surren verrĂ€t, dass wir weiterfahren. Ich kann nicht mehr hinaus sehen, denn die Scheiben sind beschlagen. Egal, noch zwei Stationen und ich bin am Ziel. Als der Bus erneut anhĂ€lt, steigen die beiden stummen FahrgĂ€ste aus. Durch die TĂŒröffnung erhasche ich einen Blick auf den Namen der Haltestelle „Platz der Ver...“, dann schließt sich die TĂŒr.
Ich bin allein.
Ein Blick auf meine Uhr zeigt, dass es eng wird. Noch nie bin ich zu spĂ€t gekommen, das macht einen schlechten Eindruck. Der Bus surrt vorwĂ€rts, biegt um eine Kurve, um eine weitere, danach geht es bergab. Ich versuche, die Scheibe frei zu wischen, aber der Belag muss außen sein. Ich beginne zu schwitzen, öffne mein Jackett und lockere die Krawatte.
Bin ich nervös?
I wo, ich doch nicht. Es ist die Temperatur im Bus, die unaufhaltsam steigt. Vermutlich funktioniert die Klimaanlage nicht. Verdammte Technik! Wenn ein Fahrer da wĂ€re, könnte ich reklamieren. Ich darf nicht verschwitzt bei meinem kĂŒnftigen Arbeitgeber ankommen, wie wĂŒrde das denn aussehen. Mit den Bewerbungsunterlagen fĂ€chele ich mir KĂŒhlung zu. Gut, dass die nĂ€chste Haltestelle meine ist.
Immer weiter geht es abwĂ€rts, das muss der neue Tunnel unter dem Fluss hindurch sein. Endlich stoppt der Bus, die TĂŒr öffnet sich und lĂ€sst mich aussteigen.
Ich bin am Ziel.
Mittlerweile ist es finster geworden und ich versuche mich zu orientieren. Der Platz ist umgeben von Fabrikhallen, die mit ihren hohlen Fenstern wie ausgebrannte Ruinen aussehen. Ein bekannter Geruch steigt in meine Nase. Demnach bin ich richtig hier. Irgendwo muss ein Firmenschild oder der Eingang zur Firma sein.
Plötzlich höre ich ein lautes Knarren. Wenige Meter vor mir erkenne ich eine Wand mit einem riesigen Metalltor, hinter dem es bullert und faucht. Das Tor wird zur Seite geschoben. Heißes Licht strömt heraus, es wird hell, schmerzhaft hell. Inmitten des lodernden Vierecks erkenne ich die schwarze Silhouette eines Mannes.
„Sind Sie der Henker?“, donnert mir seine Stimme entgegen.
Ich will antworten, aber die Hitze raubt mir den Atem. Also nicke ich nur und halte meine Unterlagen hoch. Höhnisches GelÀchter brandet gegen die Mauern, wird zu ihrem Spielball und hÀmmert gegen meine SchlÀfen. Der Schwarze hinkt ein paar Schritte in meine Richtung. Dann winkt er mich zu sich.
„Ich habe auf Sie gewartet. Willkommen in meinem Reich.“

Letzte Aktualisierung: 26.01.2008 - 21.13 Uhr
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