Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Februar 2008
Narben
von Stefanie Sachse

Die ganze Nacht hatten die Gewitter mit dem Artilleriefeuer um die Wette gedonnert. Wie mit Peitschenhieben hatten sie sich gegenseitig angefeuert.
Die ganze Nacht hatte sie kein Auge zugetan. Immer wieder schrieen sie. Vor Angst, vor Schmerzen, vor Erleichterung. Überall schrieen sie. Erst im Schlamm, dann im Hospiz und schließlich in Liesbeths Kopf und es hörte nicht auf.
Ob es Eberhard auch so ergangen war? Nein, sicherlich nicht. Sie hatten gesagt, das Gas habe ihn sofort umgebracht. Warum hatte er seine Maske auch nicht aufgehabt?
Er war ihr Ältester. War mit ihrem Mann gezogen- sein Vorbild.
Sie presste den Verband noch fester auf eine Brust, doch das Blut sickerte darunter hinweg.
Wenigstens schrie der Mann nicht mehr.
„Ich hab ihn!“ sagte der Arzt und hielt einen Kugelsplitter gegen das Licht.
„Lissi, du kannst jetzt loslassen!“ Aus ihren Gedanken geweckt, ließ Liesbeth den Verband los. Eine andere Frau nähte bereits die Wunde.
Der Amerikaner hatte Glück im Unglück. In seiner Brust hatten mehrere Munitionssplitter gesteckt. Einige nur knapp am Herzen vorbei. Er würde es überleben.
„Amerikaner schreien genauso wie Deutsche.“ Hatte sie heute Nacht festgestellt. Er war der erste Amerikaner, den Liesbeth zu Gesicht bekam.

Den Tag über waren keine neuen Verletzten eingeliefert worden und nun könnte auch sie bald schlafen. Obwohl die sich davor fürchtete. Sie träumte schon lange nicht mehr, aber die Gedanken, die Sorgen um ihren Mann kamen immer, wenn es ruhig war, wenn sie nichts zu tun hatte. Er schickte keine Briefe mehr, eine Todesnachricht kam auch nicht. Verschollen. Seit Monaten.
Morgen würde sie nach Hause gehen. Sie musste zu den Kindern, zu ihrer Schwiegermutter. Gott sei Dank mussten sie das hier nicht sehen.

Kurz vor dem Abend ging Liesbeth noch mal durch die Reihen. Verbände mussten gewechselt werden.
Die Kriegsgefangenen lagen in einem separaten Raum. Sie ging zuerst zu dem Amerikaner. Seine Uniform lag über der Bettkante. Es gab Soldaten mit mehr Abzeichen als ihn. Seine Brust hob sich sacht auf und ab. Die Verbände waren voll gesogen. Mit einer Schere schnitt Liesbeth sie auf und entfernte die Blutreste von seiner Brust. Er zuckte zusammen, als sie einen der Fäden anstieß. „Entschuldigung!“ sagte sie und sah in sein schmutzverschmiertes Gesicht. Seine Augen erinnerten sie an Bernsteine.
„D-a-n-k-e!“ sagte er in schlechtem Deutsch und lächelte sie an.

In den kommenden Tagen ging sein Fieber runter. Aber die Nähte eiterten. Jedes Mal, wenn Liesbeth den Verband wechselte oder Suppe ausgab, sagte er „Ich heißen Thomsen!“ Sie lächelte und ging, sobald seine Bernsteinaugen sie musterten, anfingen sie anzustarren.
„Der nimmt dich ja wie ein Tiger seine Beute ins Visier!“ flüsterte die Krankenschwester.
„Ach, lass ihn doch. Der tut schon nichts. Und wenn, dann drück ihm auf seine Nähte, dann wird er ganz zahm!“
„Ich find ihn unheimlich!“
„Eva, du findest jeden unheimlich.“
„Naja, er ist der Feind. Und was man sich so alles über die Amerikaner erzählt…“
„Es wird viel zu viel geredet. Findest du etwa, dass die Franzosen wie Teufel aussehen?“
„Naja, die Afrikaner, die für sie kämpfen, schon!“
Liesbeth zuckte mit den Schultern.
Ob jemand, wie dieser Amerikaner etwas seinem Sohn angetan hatte? Oder Willhelm? Eigentlich war es egal. Die Deutschen waren nicht anders. Oder?
Am Nachmittag standen Soldaten vor dem Hospiz. Liesbeth wusste, sie würden die fremden Soldaten holen. Als sie durch den Raum ging, um die Flügeltür zu den Deutschen zu schließen, verfolgten sie wieder die Bersteinaugen.
Er hatte es schon mehrere Male mitbekommen, wenn der Hauptmann kam.
Sie versuchte ihn anzulächeln, aber ihre Blicke hielten den Seinen nicht stand.
„Heute holen sie auch dich!“ flüsterte sie ihm zu. Wahrscheinlich verstand er sie nicht, denn er lächelte sie an.
„I know!“ Er nickte.
(Das war der Moment, in dem sie sich in ihn verliebte.)

Die Stiefel des Hauptmannes hallten in dem Raum. Wie immer an solchen Tagen war es still. Alle schliefen, zumindest taten sie so. Der Hauptmann ging von Bett zu Bett, besah sich unter strengen Blicken die Krankenblätter.
„Wieso ist dieser Mann schon 4 Wochen hier?“ dröhnte der Bariton.
„Der Mann hat eine schwere Gehirnverletzung.“ sagte Liesbeth.
„Das seh ich!“ Die Enden seines spitzen Schnurrbartes wippten bei jedem Wort auf und ab.
„Kann er laufen?“
„Wahrscheinlich nicht!“
„Dann ist ihm sowieso nicht mehr zu helfen.“
Der Hauptmann nickte mit samt seiner Pickelhaube. Der Mann im Bett schrie, versuchte sich mit aller Gewalt gegen die Soldaten zu wehren.
Draußen viel ein Schuß. „Russenschwein!“ sagte der Hauptmann und beugte sich zum Krankenblatt des Amerikaners.
„Hier steht, dass der Mann nur entzündete Wunden hat!“
Die Krankenschwester neben Liesbeth runzelte die Stirn.
„Er ist vor wenigen Minuten verstorben. Anscheinend hatte er innere Verletzungen, die wir übersehen haben!“
Der Hauptmann musterte Liesbeth. „Nicht, dass mir das bei meinen Soldaten passiert, Fräulein.“
„Nein, sicherlich nicht!“ Liesbeth machte einen Knicks.
Er stieß übertreiben seine Hacken zusammen. „Hmpf!“ machte er. „Einen Amerikaner hatte ich noch gar nicht. Sein Glück. Ich möchte heute auch einen Blick auf die anderen Soldaten werfen!“
„Warum?“ rutschte es Liesbeth raus. Ihr Lid zuckte.
„Das sind schließlich meine Männer! Haben Sie ein Problem damit, Fräulein?“
„Nein, natürlich nicht!“ Sie öffnete die Flügeltür und der Hauptmann schritt durch die anderen Krankenzimmer.
„Schwester!“ Liesbeth hielt die Luft an. „An diesem Bett fehlt das Krankenblatt!“
Eva sah zu dem Kranken hinüber und dann zu Liesbeth. „Das wollte ich gerade neu beschriften, als Sie ankamen!“ sagte sie.
„Dann beheben Sie diesen Fehler sofort wieder!“
„Jawohl, Herr Oberst!“ Eva machte einen Knicks und ging aus dem Raum.
Liesbeth fiel die Anspannung aus dem Gesicht und atmete mit geschlossenen Augen aus.
„Diese Männer haben die beste Behandlung verdient!“ sagte der Hauptmann, wobei sein Schnurrbad wippte. Er trat den Rückzug an.

„Ich heiße Liesbeth!“ flüsterte sie dem Mann in dem Bett ohne Krankenblatt zu. Seine Bernsteinaugen funkelten sie an.

***

Martha war entsetzt, als sie hörte, dass Thomsen ein Amerikaner war und dass Liesbeth ihn aufgenommen hatte.
„Du verrätst uns, unser Land, König und Kaiser!“
„Es sterben genug Menschen. Ich ertrag es einfach nicht mehr, Soldaten zusammenzuflicken, damit man sie gesund erschießt!“
„Du bringst uns alle in Gefahr. Wenn sie ihn hier finden, …“
„Die haben genug an den Fronten zu tun“!
„Ich billige es nicht, dass eine verheiratete Frau mit einem fremden Mann zusammen lebt.“
„Thomsen ist kein Fremder mehr. Und wenn dir das nicht passt, steht es dir jeder Zeit frei, zu gehen. Das ist immer noch mein Haus!“
„Das ist das Haus meines Sohnes!“ entrüstete sich Martha.
„Solange Willhelm verschwunden ist, führe ich diese Familie. Und jetzt kein Wort mehr darüber!“

Solche Gespräche hatte Liesbeth die letzten Monate zu genüge geführt. Dabei bekam Martha Thomsen kaum zu Gesicht. Sie ging ihm aus dem Weg. Die Kinder hingegen liebten ihn.
Da Thomsen nicht aus dem Haus konnte, hatte er viel Zeit mit den Kindern verbracht. Eigentlich war er Martha sogar eine Hilfe. Denn 6 Kinder gleichzeitig zu hüten, war nicht einfach.
Die Zwillinge starben bald an einer Lungenentzündung, die 2. Todesnachricht kam kurz danach: Auch Emil, der 2. älteste Sohn war gefallen. Liesbeth war froh, dass Thomsen da war. Die Sachen ihres Mannes passten ihm, waren nur an den Ärmeln etwas kurz. Sein Deutsch hatte sich deutlich gebessert. Thomsen war ein guter Zuhörer. Oft sprach Liesbeth so schnell, dass sich die deutschen Worte in seinem Kopf drehten, ohne dass er sie verstehen konnte. Aber er wusste, wann sie in den Arm genommen werden wollte, wusste, wann sie seine Schultern zum Ausweinen brauchte und er wusste, wann sie mit ihm schlafen wollte.

„Ich will nach Hause!“ sagte er ihr eines Morgens, als sie aufwachte.
Erschrocken sah sie ihn mit zuckendem Lied an. „Nach Hause?“
Er strich ihr eine Locke aus dem Gesicht und nickte.
„Wie willst du dahin kommen? Das schaffst du nicht.“ Sie richtete sich auf, sah in seine Bernsteinaugen.
„Ich habe gehört Radio. Well, ich muss es tun schaffen zu den Franzosen. Jetzt sie sind stark auf dem Vormarsch, haben durchbrochen die Fronten!“
Sie legte ihre Hand auf seine Brust, zeichnete mit ihrem Finger die Narben nach.
„Du kannst mich doch nicht alleine lassen. Sie werden dich vorher erschießen.“ Eigentlich wusste sie, dass es irgendwann so weit kommen würde. Sie dachte nur nicht, dass es so bald sein würde. Daran würde auch ihr Bauch nichts ändern können.
„Du kannst doch bei uns bleiben.“
Er lächelte sie an. „No. Irgendwann dein Mann kommt zurück und dann, hm?“
„Wann willst du gehen?“
„Heute Nacht!“
Sie schwieg, nahm seine Hand und legte sie auf ihre Scham. „Küss mich!“ sagte sie und seine Arme zogen sie zu sich.

***

Am Abend packte sie ihm einige Sachen zusammen und legte das Bündel neben seine Jacke und die Hose. In die Innentasche der Jacke schob sie ein Kuvert und ein Foto. Sie wollte, dass er erfährt, dass er bald…was er ihr bedeutete. Hoffentlich schaffte er es.

Sie brachte ihn bis zum Hospiz. Sie wollte sich vom Schreien betäuben lassen, wenn er weg war.
Der Abschiedskuss war kurz und trocken. Wie der Kuss eines Freundes.
„Nimm mich mit!“ hauchte sie ihm ins Ohr und drückte sich fest an in.
„Du hast Familie! Eine ganze wunderbare. Sherly kann keine Kinder bekommen, aber wenn, dann ich wünschte mir welche wie die deinen. Mach es gut, Lissy Zeiselman!“ Er löste sich aus ihrer Umarmung und ging.
Sie schaute in den Himmel, der mit Gewitter drohte.
„Sherly? Du bist verheiratet?“

Als sie am frühen Morgen wieder nach Hause kam, brannten schon die Lichter. Sie hörte die Kinder im Wohnzimmer singen. Der Kamin war gestochen und auf dem Herd stand Suppe.
Als sie ins Wohnzimmer kam, saß die Familie um den Tisch.
„Papa ist wieder da!“ rief Edgar.
Er saß zwischen den Kindern und schlang die Suppe hinunter.

Zwei Wochen später sagte sie ihm, dass sie schwanger sei. Er hatte nur genickt.

Letzte Aktualisierung: 01.02.2008 - 11.01 Uhr
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