'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Februar 2008
Frankie
von Tanja Muhs

Das Rauschen des Meeres, ansonsten Ebbe, Dalkey Island verschwunden im Nebel, der Regen peitscht das Fenster blind. Nur hin und wieder Lautfetzen wie ein weit entferntes Nebelhorn. Kalt, es ist so kalt, hier oben am Fenster, da unten am Strand. Frankie! Zudecken, jemand muss ihn zudecken. Sie muss es tun. Colleen schüttelt die Decke ab, die ihr jemand um die Schultern gelegt hat, verschüttet den Inhalt des Bechers, der inzwischen kalt geworden ist, über den gelben Teppich und dreht sich zur Tür. Eine massige Frau füllt den Rahmen, schüttelt den Kopf, bewegt ihre Lippen. Was sie sagt, geht unter in dem Sturm, der in Colleens Ohren tobt.
Die letzte Nacht, gemeinsam und doch nicht nur zu zweit, sie hört das Meer noch, das über die Kiesel rollt, als sie schon unter dem Dach des Friseurladens auf ihn wartet. Frankie kommt hinaus, schlendert zwischen den Zapfsäulen hindurch in ihre Richtung, beschwingt wie die weiße Tüte, ein blecherndes Geräusch, und er lacht. Schau, dein Haar, sagt er, seine Hand spielt verträumt mit Colleens regennassen Locken. Wenn ich wieder Geld habe, lass sie dir abschneiden. Das Ballybrack Barbers quietscht im Wind, waschen, schneiden, fönen, 47 Euro, eine Menge Kröten für ein paar Haare, aber lass sie dir schneiden, die Locken, das bist nicht du, nicht du. - Was soll die Schweinerei? Der Fahrer ist in die Eisen gestiegen, Frankies Lippe hängt an der Dose Bulmers. Erst gröhlt er hier rum, dann versaut er mir den ganzen Bus mit dem klebrigen Zeug- Aussteigen! Das wirst du noch bereuen, Frankie lacht, wenn du mein Bild in der Zeitung siehst! Francis Muir, seine Hand klopft gegen seine Brust, auf der Bühne mit Clannad und U2. Dann geh schon mal die Straße rauf und klingel mal an, vielleicht hat U2 gerade Zeit, zischt der Fahrer. Scheiß-Tinker, sagt er und schließt die Türen. Frankies Augen blitzen, die Bulmers-Dose klatscht gegen das Rückfenster, Frankie stolpert, Scheißkerl, sagt er, ich bin doch kein verdammter Tinker. Ihr Rock saugt sich voll mit dem Regen, der in Pfützen auf der Straße steht, ihre Knie brennen vom Hinunterhocken. Egal, was du bist, ich liebe dich trotzdem, und sie kämpft ihre Zunge zwischen seine Lippen, die nach Bulmers schmecken. Ich bin ein gottverdammter Seemann, sagt Frankie. Ein Auto hupt, sie muss Frankie stützen, er zeigt den Mittelfinger. Die vernagelten Fenster der Corporation Houses beobachten sie, als sie die Häuserfront entlanggehen, sein Arm liegt schwer auf ihrer Schulter, ihr Arm hat die Taille seines schmalen Körpers umgriffen, ein wankendes Schiff in Seenot.
Mit festem Griff wird Colleen vorwärts geschoben, die massige Frau zwingt sie weg von Fenster und Tür, drückt sie hinunter auf das Sofa. Dumpfe Stimmfetzen aus dem Flur. „Wir haben sie gefunden... war am Strand...kniete daneben...ist im Wohnzimmer“. Zitternd, trotz der Decke, die wieder über ihren Schultern liegt, trotz des Bechers Tee, der wieder dampft in ihrer Hand, hört sie das Meer über die Kiesel rollen. Frankie wirft die leere weiße Tüte in den Busch vor der Haustür, die letzte Dose hinterher, sie stolpern hinein ins Dunkel. Seine Lippen schmecken jetzt nach Guinness, bitter, bittersüß. Der Regen tropft aus seinem dunklen Haar auf ihre Brüste, seine schlanken Finger finden schließlich ihren Weg, fahren ihr Rückgrat hinunter, über die Rundung ihres Pos, wandern hinauf zwischen ihre Schenkel. Seine Wangenknochen noch höher im Mondlicht, seine Augen tief, dunkelblau, fast schwarz wie die See bei Nacht.
Ein rundes Gesicht beugt sich zu Colleen hinunter, eine blaue Mütze mit gelbem Band auf schütterem Haar, ein Schlagstock baumelt im Gürtel. Die Gardai sind gekommen. Die vollen Lippen des Gesichtes bewegen sich, doch was es sagt, übertüncht von dem Rauschen des Meeres, das über die Kiesel rollt, als Frankies dünne Lippen an ihren saugen, seine Zunge über ihre Zähne fährt. Tief dringt er in sie ein, wie ein versenkter Anker in ihrer Bucht, so fühlt sich nach Hause kommen an, denkt sie, sie beide gehören zusammen, egal, wer er ist, wer er war. Sie liegen beieinander, miteinander, vielleicht auch nur nebeneinander.
Hände umgreifen Colleens Schultern, schütteln sie sacht. Die massige Frau steht am Fenster, sagt: „Das Mädchen steht unter Schock. Vielleicht sollten wir einen Arzt holen.“ Frankie holt aus, seine Hand brennt auf Colleens Wange und weder das Meer, das über die Kiesel rollt, noch ihre Tränen können sie kühlen, löschen. Du dummes Stück! Manchmal wird Frankie wütend, einfach so, einfach so, und sie weiß nicht, warum. Seine Augen funkeln. Komm mir nicht so, du Dreckstück! Was weißt du denn schon? Nach Hause kommen, ha, dass ich nicht lache! Das Licht der flackernden Glühbirne wirft bedrückende Schatten. Es tut mir leid, Frankie, so leid, wenn ich etwas Falsches...! Ich dachte nur...Ich wollte...!
„Ich weiß, es ist nicht der richtige Zeitpunkt, aber können wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“ Die Stimme des Polizisten ist freundlich, doch es schwingt etwas in ihr.
Frankie, nein, geh nicht! Sie sitzt auf dem Boden, umklammert sein Knie, heult, er tritt nach ihr mit seinem freien Fuß. Was habe ich falsch gemacht? Ich liebe dich doch und du liebst mich, du hast es gesagt, gerade noch. Wir gehören zusammen, du und ich! Sie will ihm einen Kuss auf die Lippen drücken, egal, wie sie jetzt schmecken, ihn besänftigen, doch Frankie schiebt sie weg, so fest, dass ihr Kopf gegen die kahle Wand schlägt. Frankie, nein!
Das Walkie-Talkie schnarrt. „Wir haben ihn identifiziert. Francis Muir, 36 Jahre alt, wohnhaft in Ballybrack, Corporation Houses. Ein stadtbekannter Alkoholiker und Unruhestifter. Ist bis vor acht Jahren zur See gefahren. Seitdem sechs Vorstrafen wegen Diebstahls, acht wegen gefährlicher Körperverletzung und zahlreiche weitere Delikte.“
Er kann nur dort sein, dort zieht es ihn hin, wenn es ihn nicht in den Pub zieht und bei Mooney’s ist er nicht, auch im Auld Inn nicht und nicht im Ballybrack House. So viele Stunden ist er schon fort und es ist so kalt geworden. Colleen geht die Straße hinunter. Jetzt ist aus der Strand Road die Vico geworden. Sie kann es hören, denn hier wo die Reichen wohnen, ist das Meer so nah, rollt gurgelnd über die Kiesel unten am Killiney Beach. Frankie! Schnell, fast rennt sie, heftig schlägt das Herz in der Ader am Hals. Sie war mein Leben, sagt er, als er nach seiner Jacke greift, Frankies Gesicht anders, nicht mehr seines, unbekannt. Während er in Colleens kleinem Hafen dümpelt, ist er immer fort. In Gedanken bei ihr, nur bei ihr, Aoife, unberechenbar, unbezwingbar wie die See. Aoifes lange, schwarze Locken, wie sie wehten im Wind. Colleen hat den Weg zum Strand erreicht, zieht den Mantel enger um sich, es ist so kalt. Sie hastet die Stufen hinunter. Ihre Augen, ihr Herz, blind von peitschendem Regen, beißendem Wind, von Wut und Schmerz. Es waren immer drei, sagt er und lacht bitter, Aoife, das Meer und ich und drei sind einer zu viel. Aoifes Locken gibt es nicht mehr, nicht für ihn. Verloren, als ich an Land ging eines Tages, zurückkam zu ihr, war sie fort, sagt er, einfach fort und jetzt bin ich allein. Dann schaut er Colleen an, wendet sich um und geht. Frankie! Colleens Blick wandert über den Strand. Dort ist er! Er sitzt mit dem Rücken an einen kleinen Felsen gelehnt. Lecken dort die Wellen bereits an seinen Schuhen? Frankie!

Letzte Aktualisierung: 04.02.2008 - 23.12 Uhr
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