Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Februar 2008
Dreiweiberei
von Juli Jaschek

„Ich glaube, der Frack passt nicht mehr!“ Besorgt zerrte der Tenor Alfred Rasch an den schwarzen Ärmelmanschetten. „Oder? Schau mal bitte, wie viele schon da sind!“
Anna warf einen flüchtigen Blick zu der Schiebetür, die ihre Küche vom Wohnzimmer trennte. Dahinter war Gemurmel und Stühlerücken zu vernehmen. „Sind genug da. Der Frack ist O.K. Komm!“
Sie fasste ihn bei der Hand, gemeinsam traten sie in den mit etwa 20 Personen gefüllten Raum. Höflich klatschte das Publikum.
Anna setzte sich an den Flügel, Alfred stellte sich davor. Er legte die linke Hand auf das spiegelnde Schwarz des Instruments, schaute seiner Freundin angespannt in die Augen, glaubte ein Zucken darin zu sehen und stürzte sich sofort in die Puccini-Arie.
Anna beeilte sich, den verpatzten Einsatz nachzuholen, ihre Hände glitten über die Tasten – wann würde er atmen? Alfred sang, eine Braue hoch gezogen, was seine schweißglänzende Stirn in unregelmäßige geometrische Felder zerlegte. Anna zögerte den Akkord hinaus, bis der Sänger den Unterkiefer entspannte. Schluss. Eine Sekunde Stille. Applaus.
Erfreut verbeugte sich Alfred. Trotz des eng ihm auf dem Leib sitzenden Fracks wich Spannung aus ihm. Das war gut, denn nun kam das Prunkstück – die Arie des Tamino aus Mozarts „Zauberflöte“.
„Dies Biildnis ist bezaubernd schön“, knödelte Alfred los, „wie ha-nooch kain Auge je gesehn!“ Von klein an hatte seine Mutter ihm erzählt, dass er eine wunderbare Stimme besaß, deshalb hatte er es mit Gesangsunterricht nicht so genau genommen. Talent und Begeisterung trugen ihn auf ihren Schwingen und besonders letztere überkam ihn nun mit mächtigem Gebraus. Die Braue arbeitete sich höher, er setzte den Fuß einen winzigen Schritt vor – „Ich fühl es, wie dies Götterbild – mein Hä-hä-härz mit neuer Regu-hung füllt...“
Besorgt blickte Anna zur Tür, hinter der sie Herzog, ihren uralten Schäferhund wusste. Manche Töne regten ihn dazu an, gleichfalls in Gesang auszubrechen. Doch es blieb ruhig. Herzog verzichtete auf ein Duett.
Nach dem Konzert blieb noch Publikum – zum Großteil Freunde und Nachbarn. Anna ging herum, schenkte Wein nach und schaute auf die Uhr. Bald Mitternacht. Musste Alfred nicht langsam los? Es war der zweite Freitag im Monat, also Elfis Tag.
Der Tenor Alfred Rasch, im Hauptberuf Realschullehrer für Wirtschaftskunde, lebte zusammen mit drei Frauen. Das war schon immer so gewesen. Als Anna ihn kennen lernte, hatte er sie zunächst damit vertraut gemacht, dass er jeden Nachmittag wie auch die Sonntage mit seiner Mutter verbrachte. Und dazu gab es noch Elfi. „Du bist die Wichtigste für mich!“, hatte Alfred Anna versichert. „Aber Elfi ist auch noch da. Warte mal, ich stelle sie dir vor. Dann wirst du verstehen...“
Der Nachmittag zu dritt im Café brachte Anna wenig Erkenntnisgewinn. Elfi war zart und hatte ein winziges, dreieckiges Gesicht. Ihre Ohren ragten durch das dünne Haar wie Satellitenschüsseln aus einem morschen Schindeldach. Gesprochen wurde nicht viel, außer dass Elfi ab und zu jammerte, dass ihr zu kalt sei und Alfred sich dann im Raum umsah, als suche er jemanden, der diesen Zustand ändern könnte.
„Was gefällt dir denn bloß an der?“, fragte Anna hinterher verärgert.
„Sie hat einen tollen Arsch“, entschuldigte sich Alfred.
„Also ein Arsch mit Ohren“, konstatierte Anna.
Aber ihr Ärger nützte nichts. Es blieb bei den drei Frauen und der genauen Einteilung von Alfreds Wochen und Jahren: die Nachmittage mit Mama, am Abend kam er zu Anna in die gemeinsame Wohnung, an den Wochenenden wurde im Turnus gewechselt, ebenso in den Sommerferien: drei Wochen Elba mit Anna, dann ebenso viel Zeit mit Elfi.
„Wenn das alle machen würden?“, hatte Anna anfangs eingewandt, „stell dir vor, ich hab auch noch einen und der wieder eine...“
„Das ginge nicht“, gab Alfred zu. „Aber das passiert sowieso nicht.“
„Warum?“
„Weil nicht alle Herzen groß genug sind für mehr als ein Gefühl.“ Er wies auf seinen in der Tat geräumigen Brustkasten: „Hier ist genug Platz für euch alle!“
Die Zeit verging, Anna empfing ihre Klavierschüler und Musikerfreunde an den freien Nachmittagen, an den Elfi-Wochenenden besuchte sie Konzerte. Inzwischen war sie so gewöhnt an diesen Rhythmus, dass ein unvermuteter Taktwechsel sie verstörte.
„Was ist?“, fragte sie deshalb, als die Gäste gegangen waren.
„Ich bleibe hier“, erklärte Alfred aus der Tiefe eines Polstersessels heraus. „Das mit Elfi ist vorbei.“
„Was?“
„Wir haben uns friedlich getrennt.“
„Heißt das, wir sind ab jetzt zu zweit?“, fragte Anna ungläubig. „Zu dritt“, verbesserte sie gewissenhaft. Die Mutter war ja auch noch da.
Alfred faltete die Hände auf seinem Bäuchlein. „Bea und ich – wir sind uns in letzter Zeit näher gekommen. Sie gibt Religionsunterricht. Sie bringt mich weiter auf einem spirituellen Weg, das fühle ich.“
Anna erinnerte sich den Namen in letzter Zeit öfter gehört zu haben.
„Möchtest du sie kennen lernen?“, fragte Alfred höflich.
„Um Gottes Willen!“ Anna hob beide Hände vor das Gesicht. „Und wohin führt euch euer spiritueller Weg, wenn ich fragen darf? Ich nehme an, du nimmst deinen Körper auch mit, wenn ihr darauf wandelt? Oder darf der diesmal zu Hause bleiben?“
„Ich habe Bea von unserem bisherigen Rhythmus erzählt“, erklärte Alfred sanft. „Sie sagt, er passt perfekt in ihre Wochenplanung.“

Jeden Tag nach dem Mittagessen setzte sich Anna an den Flügel. Herzog lag vor ihr auf dem Boden, die Schnauze auf den Boden gepresst, die Augen erwartungsvoll auf sie gerichtet.
„HER-zog!“, sagte Anna. Der Hund richtete sich auf. Er war uralt, das ganze Gesicht war voll weißer Haare. Nun stellte er die Ohren auf und hechelte erwartungsvoll. „Mu-SIK“, rief Anna und drosch in die Tasten. Herzog legte den Kopf schief und heulte mit Begeisterung. „Huu-wu! Wu-wuu-u!“ „Juu-hu!“, schrie auch Anna. Ein paar Minuten amüsierten sie sich prachtvoll, dann ging die Klingel.
Die erste Schülerin heute war Frau Karl. Sie trug einen violetten Stoffturban, den sie auch zum Klavierspielen nicht abnahm. Mit gespreizten Ellbogen ging sie auf die Tasten los, als wollte sie Strudelteig aus ihnen formen.
„Terz“, sagte Anna. „Das ist eine Terz hier.“
„Ich habe eine Terz gespielt!“, entrüstete sich Frau Karl und schlug weiter auf die Tastatur.
„Hier steht kein Fis“, sagte Anna.
Frau Karl war beleidigt. „Das haben Sie mir letztes Mal aber anders gesagt!“
Als nächstes kam das Kind von Annas Nachbarin, ein achtjähriges Mädchen zu ihrer ersten Klavierstunde.
„Kennst du das?“ Anna begann zu spielen. „Na?“
Das Mädchen setzte sich kerzengerade hin. „Hänschen Klein“, sagte es todernst.
„Sag mal – geht der Ton hier rauf oder runter?“
Die Schülerin lauschte. „Runter“.
„Jetzt schau, wohin meine Hände gehen! Nach unten? Gut! Und nun leg deine dahin!“
Als das Kind eine Tonleiter gespielt hatte, lachte es verblüfft.

Alfred kam früher heim als sonst. „Anna“, stöhnte er, „ich bin in einem entsetzlichen Zustand! Bea hat sich verliebt. In einen – Countrysänger!“ Ächzend ließ er sich aufs Bett fallen. „Das sind diese Typen mit Cowboystiefeln und weißen Haaren. Ich halte das nicht aus. Mein Hä- mein Häärz!“ Er griff sich mit der Hand an die linke Brustseite.
Herzog, der die Silbe missverstanden hatte, setzte sich aufrecht hin und begann erfreut zu hecheln.
„Ein Amerikaner“, wimmerte Alfred und wälzte sich hin und her. „Was? Nein, ich meine, ja – er lebt in Colorado. Sie sagt, dass sie ... das hätte ich nie – nie -!“ Wieder stöhnte er auf.
„Will Bea denn nach Amerika ziehen?“, fragte Anna verwirrt.
„Nein, nein. Sie hat ihn hier getroffen auf einem Festival. Und...“, aus den Kissen drangen Schluchzgeräusche, „sie sagt, dass sie an ihn denkt. Und wenn ich mir denke, dass sie – an einen anderen denkt– ! Haben wir Valium im Haus?“
So begann Alfreds Leidenszeit. Er meldete sich krank, blieb den ganzen Tag im Bett, auch die Besuche bei seiner Mutter unterblieben. Stattdessen erschien die nun an seinem Lager. War sie gegangen, rief der Patient nach Anna. Er brauchte Wärmflaschen, Tee mit Rum, Zwieback, Bananen. Vor allem brauchte er Ruhe. Herzog hatte seine Schnauze zu halten. Wenn Annas Schüler übten, gesellte sich lautes Jammern aus dem Schlafzimmer dazu. „Ääh“ war zu hören. Oder rief er „Mein Häärz“? Es klang genau wie bei Mozart.
Nach zehn Tagen suchte Anna Beas Adresse aus dem Telefonbuch und marschierte zu ihr. „Das geht so nicht weiter“, erklärte sie, kaum, dass sie bei der anderen eingetreten war. „Hör auf damit, ihm zu sagen, dass du den anderen liebst!“
„Wo denkst du hin?“, sagte Bea würdevoll. Sie war korpulent, hatte ein fettglänzendes, helles Gesicht und schwarzes Pagenhaar. Ein bisschen wirkte sie wie eine zu groß gewordene Japanerin. „Ich kann doch nicht lügen! Meine Integrität steht auf dem Spiel!“
„Falsch“, sagte Anna, „Sein Leben steht auf dem Spiel. Er hat ein schwaches Herz, sogar bei einem Hauskonzert kommt er fast um vor Aufregung!“
„Also Fred und ich – es hieß immer, dass wir unsere Freiheit respektieren. Und dass Platz genug in seinem Herzen ist für... Erst seit ich ihm von Mike erzählt habe, will er plötzlich nur noch mich und kann ohne mich nicht leben! Und überhaupt - was soll ich denn tun? Ich meine, ich habe den anderen ja nur einmal aus der Ferne gesehen. Was? Nein, nein, wir kennen uns nicht!“

Auf dem Nachhauseweg begegnete Anna dem Pianisten Felix B. Sie wechselten ein paar Worte. Felix war bekannt für seinen klassisch strengen Stil. Anna spielte ganz anders. Alle machten das gleiche, dachte Anna, und doch wieder nicht: Da spielte eine ein Fis statt eines F und merkte es nicht, eine andere spitzte die Ohren. Herzog sang, ohne Noten zu kennen, Alfred auch. Manche hatten ein starkes Herz, andere nicht.

Alfred lag im Bett, das Gesicht zur Wand. Anna trat ans Fenster. „Schau, es ist Frühling! Weißt du was? Ich hab den Felix B. getroffen. Nach so langer Zeit! Ob das Zufall war?“ Sie summte die Takte aus Taminos Arie: „...dies Götterbild, mein Herz mit neuer Regung füllt.“
Alfred wandte sich um, sachte zog Empörung in seinen Blick, verdrängte die Qual darin und passte gar nicht zu seinem zerdrückten, blauen Pyjama.

Letzte Aktualisierung: 22.02.2008 - 11.17 Uhr
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