Honigfalter
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Februar 2008
geringelt
von Sylvia Seelert

Für Fergus Feinbaum waren Paare lebenswichtig. Sie gaben ihm Stabilität, so wie Beine, für Fergus schlechthin das Grundprinzip aller Paare, die dem Menschen festen Stand und Fortbewegung zugleich ermöglichten. Eine Zweiheit im zweifachen Sinne. Auf dieser Basis ordnete er sein Leben.
Stand Fergus morgens auf, so klopfte er achtmal auf seine Bettdecke. Bestand die Acht doch aus zwei Kringeln. Ein wunderbares Paar. Er liebte die Acht abgöttisch. Das Klopfen und Zählen beruhigte ihn, ließ sein Herz langsamer schlagen, wenn ihn jene Angst packte, für die er keinen Namen fand. Sie kam und verließ ihn, ganz wie es ihr beliebte.
Vom Schlafzimmer ins Badezimmer ging er mit genau sechzehn Schritten, aufgeteilt nach großen wie kleinen, und nahm die blaue Zahnbürste in die Hand. Neben der blauen besaß er noch eine rote. Eine für morgens und eine für abends. Neben jeder Zahnbürste stand eine entsprechende Zahnpastatube. Nach der Morgenwäsche kehrte er ins Schlafzimmer zurück, klopfte achtmal an den Schrank und entnahm ihm die Kleidung für den jeweiligen Wochentag. Jeder Tag hatte seine eigene Farbe, sortiert nach den sechs Regenbogenfarben, Sonntag dann eine Kombination aus schwarz und weiß. Die Kleidungsstücke, die er anzog, mussten eine gerade Anzahl bilden. Hausschuhe oder Schuhe zählten mit. Je nach Bedarf wurden die Kleidungsstücke um Schal, Brille oder Hut ergänzt, um die gewünschte Zahl zu erreichen. Nach dem Anziehen strich er sich vier Mal über den rechten Arm und ebenso oft über den linken. Fergus fühlte sich danach zufrieden und ruhig. Der Tag konnte beginnen, er war bereit dafür.
An diesem Morgen jedoch stand Fergus wie erstarrt vor seinem Kleiderschrank, in der Hand seine roten Montagssocken. Eine Motte hatte den Lavendelsäckchen getrotzt und Larven in diese Socke abgesetzt. Weiße Würmchen ringelten sich darin, offensichtlich frisch geschlüpft, denn die gefräßigen Mäuler hatten noch keinen Schaden angerichtet. Ekel schüttelte Fergus. Er stopfte die Socken in einen Plastikbeutel, verschloss diesen und warf ihn anschließend in den Mülleimer.
Das zweite Paar roter Socken befand sich in der Waschmaschine, die er an diesem Wochenende vergessen hatte anzustellen. Hatte ihn doch seine Mutter angerufen, mit röchelnder Stimme Kund getan „Ich glaube, ich sterbe“ und einfach wieder aufgelegt. Nun war dies zwar nicht der erste Anruf dieser Art, doch quälte Fergus immer wieder die Unsicherheit, dieses Mal könnte es stimmen. Und so eilte er stets pflichtbewusst zur ihr. Auch dieses Mal. Wieder Fehlalarm. Bei einer dampfenden Tasse Tee musste er sich Geschichten aus ihrer Zeit in Ostpreußen vor dem großen Krieg anhören. Dazu gab es Spritzgebäck. Später dann ein paar Schmalzstullen. Für die Wäsche hingegen blieb keine Zeit mehr.
Fergus schnalzte mit der Zunge und zählte dabei. Solange bis wieder Ruhe in seine Gedanken einkehrte. Schließlich erinnerte er sich an seine geringelten Socken. Sie waren ihm auf dem Wühltisch ins Auge gefallen, weil sie acht unterschiedlich farbige Streifen hatten. Entzückt über diesen Fund hatte er sofort acht Mal auf das Etikett getippt und sie anschließend gekauft. Doch dann wusste er sie keinem Wochentag zuzuordnen, weil keine Farbe beherrschend war, und so lagen sie vergessen in einem separaten Fach.
Nun hielt er sie nachdenklich in der Hand und strich über den roten Streifen, klopfte und schnalzte mehrmals, nickte zwei Mal und zog sie an. Das müsste gehen, dachte Fergus. Sobald er auf den Füßen stand, fühlte er ein Kribbeln in den Zehen. Er stampfte mehrmals auf, doch eine leichte Lähmung blieb. Er brauchte dringend Ersatz.
Sogleich warf er sich einen Mantel über, wickelte einen Schal um den Hals und stürzte das Treppenhaus hinunter, nicht ohne an den Müllbeutel zu denken, in dem die Mottenlarven gefangen waren. Diesen wollte er nicht länger in seiner Wohnung haben.
Im Kaufhaus an der Ecke stand er vor dem Wühltisch und klopfte erst einmal gegen das Holz, glich so nach und nach seinen Herzschlag dem rhythmischen Klopfen an. Der Weg zum Kaufhaus war für Fergus anstrengend gewesen. Die Zahl seiner Mitfahrer im Bus war nie gerade gewesen, immer stieg die verkehrte Anzahl ein oder aus. Hinzu kam das hartnäckige Kribbeln in seinen Füßen, das sich in seine Beine ausgedehnt hatte und ihn bei jedem Schritt schwanken ließ. Er fühlte sich schwach und ein Gefühl zunehmender Unruhe überkam ihn.
Nach und nach rupfte er Socken aus dem Stapel und ordnete sie nach ihren Farben. Ordnung ins Chaos zu bringen erfüllte ihn mit einem warmen Gedanken an Geborgenheit. Er schnalzte zufrieden. Schließlich ging er mit dem so dringend benötigten Paar roter Socken zur Kasse. Zufrieden tippte er mit dem Finger auf die Theke und fand Antwort. Zunächst glaubte er, sich verhört zu haben, und wiederholte das Tippen. Wieder wurde ihm geantwortet. Genau achtmal das gleiche Tippen auf der Theke. Er schaute auf, blickte zur Frau vor ihm, die sich nun umdrehte. Dunkles, langes Haar, roter Mantel. Er blickte auf den Mantel, der genau acht Knöpfe hatte, er schaute hoch in ihr Gesicht, in ihre blauen Augen und lächelte. Sie schnalzte und er antwortete. Gleichzeitig lächelten sie sich an. Für einen Moment setzte sein Herzschlag aus, ehe es im Vier-Vierteltakt vorwärts eilte: Was für ein Fund!

Letzte Aktualisierung: 15.02.2008 - 13.09 Uhr
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