Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Februar 2008
Flamme bin ich sicherlich
von Anna Stern

„Es geht ihm nicht gut, nicht wahr.“ Der Unterton verwandelte die Worte in fettglänzende Schadenfreude.
Diese dumme Frau, dachte sie, diese hässliche, dumme Frau.
„Friedrich ist indisponiert, Elisabeth.“ Ihre eigene Stimme war kühl wie eine dünne, glatte Klinge. Aber das plumpe Gesicht zeigte keine Reaktion; ihrem zähflüssigen Denken verdankte Elisabeth eine dicke Haut, eine Elefantenhaut. Nein, Llama, so nannte Friedrich seine Schwester. Louises Lächeln zuckte auf und weckte die argwöhnische Seele des Gift spuckenden Tieres, das ihr im Speisezimmer des Pastorenhauses gegenübersaß.
„Was genau hat er geschrieben?“ Die leicht hervorquellenden Augen klebten an dem zusammengefalteten Briefchen, das der Junge gebracht hatte. Louise hatte es langsam und ordentlich gefaltet und unter die Tasse aus feinem Porzellan gesteckt. Sie hatte etwas Zeit gebraucht, um der Leere standzuhalten, die plötzlich diesem sonnigen Tag alles Licht entzogen hatte. Jetzt zuckte sie betont nachlässig mit den Schultern. „Er ist indisponiert“, wiederholte sie gedehnt.
Der Kopf zuckte auf dem zu kurzen Hals. „Vielleicht sollte ich nach ihm sehen. Vielleicht braucht er etwas.“ Die Worte spannen ein klebriges Netz, das Louise mit einer schnellen Handbewegung zerriss. „Er will nicht gestört werden.“ Der scharfe Klang ließ Elisabeth zusammenzucken.
Louise stand auf. „Ich wünsche Dir noch einen schönen Tag, Elisabeth.“ Mit hocherhobenem Kopf verließ sie das Zimmer.

Morgen würde sie Tautenburg verlassen. Über zwei Wochen hatte sie hier verbracht, in dieser kleinen Stadt mit den beschaulichen Häusern und engen Straßen. Fast ein Wunder, dass ihre Gedanken hier geflogen waren, weit und hoch. Das war unzweifelhaft Friedrichs Verdienst.
Sie blieb stehen. Heute würden sie sich nicht sehen.
Der Schatten der Enttäuschung lähmte sie, und die Erinnerung an die vergangenen Tage umschlang ihr Herz wieder und wieder; eine Kette, die zu eng angezogen war. Warum wurde er ausgerechnet heute krank? Warum konnte er nicht bis morgen damit warten? Das kindische Bedürfnis, mit dem Fuß aufzustampfen, setzte sie wieder in Bewegung, aber die innere Weigerung, den Tatsachen ins Auge zu sehen, ließ sie ihre Lippen aufeinanderpressen.

Zwei Frauen kamen ihr entgegen, sie unterhielten sich lebhaft und trugen Körbe mit Lebensmitteln. Louise konnte ihre Blicke spüren, als sie auf dem schmalen Bürgersteig an ihnen vorbeilief, ohne höflich Platz zu machen. Denkt, was ihr wollt, ihr langweiligen Schnepfen. Geht doch in eure biederen Häuser, zu euren kleingeistigen Gatten. Kocht und putzt und erzieht eure Kinder. Das ist so viel einfacher, als etwas aus sich selbst zu machen, als dem eigenen Leben einen Sinn zu geben. Über sich hinauszuwachsen. Ihr Herz schlug laut und sie hatte die Hände zu Fäusten geballt.

In den Gesprächen mit Friedrich hatte sie es gespürt, Empfindungen, die mit Worten nur unzulänglich beschrieben werden konnten. Freiheit war ein großes Wort, aber gab es dieses Gefühl des Unbegrenzten wieder, die Erregung angesichts der offenen Weite, die vor ihr lag, die so erreichbar war, so greifbar? Die Abenteuerlust, die ihr Blut schneller fließen ließ und ihre Wangen rötete, das Kitzeln der Anspannung und die Vorfreude auf das, was sie erwartete. Erkenntnis, wie ein sprudelnder Strahl, der sie aufnehmen, der sie tragen würde, hoch und höher. Das waren die Momente, in denen sich das Leben in ihr potenzierte, die sie stark machten und sie wissen ließen, dass niemand sie aufhalten könnte.

Noch gestern waren sie zusammen diese Straße entlang gegangen, Worte waren hin- und hergeflogen, mit einem Klingen gegeneinander gestoßen, explodiert wie ein leuchtendes Feuerwerk. Wie mitreißend er sein konnte, seine Erklärungen, nein, Beschwörungen, stießen mit spitzem, scharfem Schnabel in ihre Gedankenwelt, brachen die erlernte Ordnung ihrer Begriffe auf, scheuchten übernommene Urteile auf und schlugen eine Schneise für sie, für ihre eigenen Reflexionen. Wie anregend er war, wie wagemutig - niemand hatte bisher die Welten für sie eröffnet, in denen er zu hause war, kämpfte, unterwarf. In diesen Momenten verschwamm die Wahrnehmung, die sie von ihm hatte, und hinter der Fassade des unscheinbaren, kurzsichtigen Professors glomm etwas auf, einer Flamme gleich, die größer und heller wurde, heißer und verzehrender.

Plötzlich wurde Louise ihr rascher Atem bewusst. Ihre Schritte hatten sich beschleunigt, waren fast in ein Laufen übergegangen. Sie zwang sich langsamer zu werden und blickte sich um. Sie hatte beinahe die Stadtgrenze erreicht, bald würde sie auf den Pfad treffen, der in das bergige, grüne Umland führte.

Friedrichs Flamme. Wie faszinierend sie war. Seine Energiequelle, der Ursprung seines unzweifelhaften Genies.
Aber sie war auch flackernd, züngelnd, unberechenbar.
Und sie hatte Louise schon zu Beginn ihrer Bekanntschaft klar gemacht, was Friedrich von ihr wollte. Was er wirklich wollte.

Der Schatten eines hohen, gusseisernen Gitters fiel auf sie und umhüllte sie wie ein Netz. Das Problem war nicht, dass er verliebt war. Damit konnte sie umgehen. Ihr Kiefer verhärtete sich. Sie hatten alle versucht, sie zu besitzen. Sie in eine Rolle zu zwängen, sie abhängig zu machen.
Friedrich war nicht anders – und hatte doch seine eigenen Vorstellungen von ihrer Zukunft.

Ihre Zukunft. Ihr Weg. Vor ihrem inneren Auge betrachtete sie den Pfad der Zeit, der sie bis hier geführt hatte und der in Wirklichkeit ein schmaler Grat war, rutschig und abschüssig. Jeder ihrer Schritte war bewusst ausgeführt, oft vorsichtig abwägend, manchmal aber auch leichtsinnig; und hin und wieder hatte sie die Augen schließen müssen, und sich nur noch von ihrem Instinkt leiten lassen. Die Entscheidung, die drängende Einladung Friedrichs anzunehmen, war von einem inneren Kampf begleitet gewesen. Sie wusste von den Stolpersteinen, die sie in Tautenburg erwarteten – aber konnte sie sich diese Gelegenheit entgehen lassen?

Sie war als Schülerin gekommen. Begierig, von ihm zu lernen, in der Hoffnung, dass er ihrem Denken eine Richtung geben würde, ein Ziel. Und er war hilfsbereit gewesen, verständnisvoll, bemüht.
Louises Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an. Sie hatte genommen, was er ihr geben konnte, hatte mit beiden Händen zugegriffen. Hatte von seinem Wissen profitierte, von seiner Erfahrung, und nun lagen die nächsten Projekte klar und deutlich vor ihren Augen. Er war ein guter Lehrer.

Als sie ausatmete, klang es wie ein Seufzer. Es gab Momente, in denen sie sich wünschte, dass er mehr in ihr sah. Immer, wenn er sagte, er wolle gleichberechtigte Denker neben sich, kritische Köpfe, ebenbürtige Diskussionspartner. Ja, sie war sich sicher, dass er es auch so meinte. Nichts verachtete er mehr als uninspiriertes Nachgeplapper; nichts machte ihn glücklicher als das Aufeinandertreffen auf einen Denker seines Ranges.

Aber gleichzeitig spürte sie deutlich die Grenze, an die sie ihre gemeinsamen Spaziergänge immer näher heran führten - und ab dort würde er bedingungslose Gefolgschaft verlangen.

Sie hatte es in seinen Augen gesehen. Hinter der höflichen Zurückhaltung, der fest gemauerten Konvention und der ihm eigenen Schüchternheit glühte die Flamme, ein wildes Tier auf dem Sprung. Tückisch in seinem schwachen Schein, konnte das Feuer jeden Moment ausbrechen, über sie hinwegfegen, sie gnadenlos verschlingen. Es gab andere Anzeichen. Manchmal umzüngelte die Flamme seine milde, leise Stimme und gab ihr einen herrischen Ton. Manchmal knisterte sie in seinen Briefen, als dicke, schwarze Unterstreichung oder als heftig gezeichnetes Ausrufungszeichen, bei dem man das Knacken der brechenden Bleistiftmine zu hören vermeinte.

Er würde ihr nicht ihren eigenen Willen lassen. Er wollte einen Samen in ihr pflanzen. Seine Gedanken, seine Philosophie. Sie sollten in ihr keimen, sie von innen verwandeln. Er suchte einen Nachfolger und sie war ihm zugefallen, wie von einem Stern.

Sie blieb mitten auf der Straße stehen. Die Sonne stand hoch, der Wendepunkt des Tages schwebte über ihr. Niemand war ihr bis hierher gefolgt, selbst die Geräusche der kleinen Stadt blieben hinter ihr zurück. Sie richtete ihren Blick starr nach vorne, ohne die blühenden Hecken neben ihr zu sehen.

Nein, sie würde nicht für immer Schülerin bleiben, ewig am Rockzipfel ihres Lehrers hängen. Sie war nicht bereit jemandem zu folgen. Sie wollte selbst vorangehen.

Sie atmete tief ein und wieder aus, und das Rascheln der Blätter, die Wärme der Mittagssonne und das Zwitschern der Vögel holte sie zurück in den Fluss des Lebens. Sie lächelte und streckte ihr Gesicht dem Himmel entgegen.
Was für ein schöner Tag. Und wie gut, dass sie ihn allein verbringen konnte.

Der gepflasterte Weg lenkte ihre schnellen Schritte aus der kleinen Stadt heraus, ein frischer Wind trieb sie voran. Morgen würde sie Tautenburg verlassen, einer offenen Zukunft entgegen.

Letzte Aktualisierung: 20.02.2008 - 16.41 Uhr
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