Der Tod aus der Teekiste
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Februar 2008
Lebensliebe
von Susanne Bloos

Mit langsamen, präzisen Bewegungen deckt Hannah den Tisch. Zwei Kaffeetassen aus dünnem Porzellan mit zarten Lilien bemalt, passende Untertassen und Kuchenteller. Das gute Silber, das sie durch alle Schwierigkeiten des Lebens gerettet hat, das mitreiste von Pommern nach Hamburg, in die große Stadt, in der sie Alfred traf. Alfred mit dem blonden Haar, den tiefen, dunklen Augen und dem jungenhaften Lachen, das so ansteckend war. Viele Nachmittage haben sie an der Elbe gesessen, einander Geschichten aus ihrem Leben erzählt, und immer wieder nahm er ihre Hand, streichelte sie voller Wärme und Zärtlichkeit und brachte Hannah mit der Kraft seiner Erzählungen vom wilden Schwein, das sein Bruder auf den Heuboden getragen hatte, zum Lachen. Wenn Alfred erzählte, wurden die Bilder lebendig, Johann, wie er die Sau schulterte, die wackelige Treppe erklomm und das quiekende Tier oben freiließ. Wie er sich ausschüttete vor Lachen, weil niemand die Sau wieder nach unten bekam, wie der Vater Johann befahl, das Tier zu retten, bevor es durch die Luke fiel, und wie er sich danach eine saftige Ohrfeige und jede Menge Arbeit auf dem Hof einfing. Wenn Alfred erzählte war es, als sehe man durch seine Augen, als wäre man direkt dabei.
Fast zärtlich legt sie die Gabeln neben den Teller, faltet die Servietten, überprüft die Zuckerdose. Wenn Alfred heimkommt, soll alles zu seiner Zufriedenheit sein, wie es das immer war in all den Jahren seit ihrer Hochzeit.
Ja, bei einem der Treffen am Hafen nahm er ihre Hände in seine, kniete vor ihr und der Bank und fragte sie ganz ernsthaft, ob sie seine Frau werden wolle. Sie hatte gelacht und geweint und genickt, und dann bekam sie den ersten Kuss von ihm, den ersten richtigen. Und es war um sie geschehen, sie hatte sich endgültig in seinen Augen verloren, die so voller Weisheit und zugleich voller jugendlichem Leichtsinn steckten.
Sie bezogen eine kleine Wohnung nahe des Michels, nichts Großartiges, nur zwei kleine Räume, eine winzige Küche und ein Kohleofen, aber es war ihr gemeinsames Reich, und Hannah machte ein kleines Paradies daraus. Geschmackvoll richtete sie ihr Heim mit den wenigen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln ein. Als Klaus geboren wurde, rückten sie näher zusammen, seine Wiege stand im Schlafzimmer, Alfed und Hannah liebten einander von nun an leise, aber noch immer leidenschaftlich wie am ersten Tag.
Als Klaus drei Jahre alt war, kam Elisabeth dazu, und die Wohnung wurde zu klein. Da Alfred eine Gehaltserhöhung bekommen hatte, konnten sie sich eine größere Wohnung leisten, drei Zimmer in Barmbek, es gab sogar ein kleines Bad mit WC in der Wohnung, es erschien Hannah wie Luxus. Die Kinder teilten sich ein Zimmer, und Hannah und Alfred genossen ihre wiedergewonnene Freiheit, entdeckten einander jede Nacht aufs Neue.
Beide Hände liegen nun auf der Kaffeekanne mit ihrem silbernen Wärmeschutz, sie kann die Finger nicht mehr so gut kontrollieren, das Zittern ist manchmal zu stark, sie will die Kanne nicht fallen lassen. Behutsam stellt sie sie aufs Stövchen, der Kaffee soll nicht kalt werden, bis Alfred kommt.
Während sie den Kuchen schneidet, Marmorkuchen, wie jeden Sonntag seit über dreißig Jahren, wandern ihre Gedanken wieder zurück. Klaus und Lisbeth als Kinder, Klaus, der immer gute Noten nach Hause brachte, Lisbeth, die lieber in der Gegend umherschweifte, mit den anderen Kindern Verstecken und Fangen und komplizierte Spiele spielte, deren Regeln ihr als Mutter verborgen blieben. Wie oft kam sie mit einem angeschlagenen Knie nach Hause, den Rock schmutzig oder gar zerrissen, aber die Augen voller Leuchten. Hannah fiel es immer schwer, mit dem Mädchen zu schimpfen, sie war so fröhlich und lebendig. Aber sie musste doch auch etwas lernen, damit sie einmal einen Beruf ergreifen konnte, und sie musste wissen, sich zu benehmen, damit eines Tages ein Mann sie nähme.
Klaus machte sein Abitur, im gleichen Jahr schloss Lisbeth mit der mittleren Reife ab. Klaus ging zum Wehrdienst, Lisbeth stritt sich nächtelang mit ihrem Bruder deswegen. Dann ging Klaus nach Heidelberg und studierte Medizin, während Lisbeth eine Lehre in einer Tischlerei begann. Sie war das erste Mädchen, das hier genommen wurde, und sie hatte es nicht leicht. Aber Lisbeth klagte nicht. Sie biss die Zähne zusammen und wurde besser, als alle anderen Lehrlinge. Der Spott wurde nicht geringer, aber Lisbeth wurde übernommen. Was sie abends trieb, wusste Hannah nicht. Lisbeth kam oft spät nach Hause, hatte wieder den wilden Blick ihrer Kindheit, sagte jedoch nichts. Vermutlich hätte Hannah auch die Spiele ihrer erwachsenen Tochter nicht verstanden.
Dann flog Klaus zu einem Ärztekongress in die USA und kam nie zurück. Das Flugzeug verunglückte bei der Landung, Klaus überlebte nur wenige Tage. Hannahs Hände verkrampfen sich, ihr Blick fällt auf das Bild aus glücklichen Tagen, das vor ihr an der Wand hängt, sie seufzt und wischt eine kleine Träne weg. So lange ist es her, und noch immer spürt sie den Schmerz wie ein Messer in ihrer Brust. Ohne Alfreds warme Stimme, ohne seine sanften Hände und seinen Trost hätte sie nie überlebt. Gemeinsam ertrugen sie den Schmerz, bis er in etwas Dumpfes, Pochendes verwandelt war, das hin und wieder auf einen Ausbruch lauerte, so wie jetzt.
Kurz nach Klaus' Tod erfuhren sie, was Lisbeth abends trieb. Die Polizei rief an und bat sie, ihre Tochter auf dem Revier abzuholen. Sie hatte mit anderen Plakate geklebt gegen die Regierung. Hannah war entsetzt, doch ihre Tochter zeigte keinerlei Reue.
"Siehst du nicht, was mit uns passiert, Mama? Wir werden verdummt!" Lisbeths Wut war unerklärlich. Sie hatte doch alles, was sie brauchte. Ein Zimmer, einen Beruf, Freunde. Nur einen Mann, aber Lisbeth wollte wohl auch keinen. Hannah verstand nicht.
Ihre Hände sortieren die Blumen in der Vase, entfernen verwelkte, machen Platz für neue, die Alfred ihr wie immer mitbringen wird. Sie füllt etwas Wasser nach, gibt Schnittblumendünger hinein.
Lisbeth behielt ihre Arbeit noch eine Weile, erschuf wunderschöne Möbel, mit denen sie ihre erste kleine Wohnung einrichtete. wie sie es geschafft hatte, diese zu bekommen, war der Mutter unklar, aber sie hatte ein Zimmer mit Kohleofen und Toilette auf halber Treppe, und allen erschien es wie ein Palast nach der Enge der familiären Wohnung.
Dann eines Tages gab es Gerüchte. Atomtransporte, die sich durchs Land zogen. Hannah verstand nicht viel davon, nur, dass es Menschen gab, die dagegen waren. Lisbeth zum Beispiel. Hitzig redete sie auf die Eltern ein, doch diese schüttelten nur den Kopf. Der Müll muss doch irgendwo hin, was soll es denn helfen, wenn man das blockiert? Lisbeth verließ wütend die Wohnung. Und kam nie wieder.
Bei den Demonstrationen hatte es Unruhen gegeben, Panik auf beiden Seiten, es wurden Steine geworfen und in die Menge geschossen. Lisbeth verstarb im Krankenhaus.

Alfred nimmt behutsam Hannahs Hand, zieht seine Frau an sich und küsst sie auf die Stirn.
"Sie kommen nicht wieder, mein Engel, aber sie sind immer bei uns." Dankbar lehnt sie sich an ihn. Noch immer kann sie die Liebe spüren, die zwischen ihren Herzen pulsiert, noch immer sieht sie hinter seinen nun etwas eingetrübten blauen Augen das Strahlen des jungen Mannes. Jeden Sonntag geht er zum Friedhof und legt Blumen auf die Gräber seiner Kinder. Hannah schafft es nicht, bleibt zuhause, bereitet den Kaffeetisch vor.
Eine kleine Ewigkeit stehen sie so, aneinander geschmiegt, Hannahs Augen feucht, Alfreds voller Güte.
"Ich liebe dich", murmelt er in ihr ergrautes Haar, und sie drückt ihre Lippen in seine Halsgrube und lächelt.

Letzte Aktualisierung: 17.02.2008 - 15.09 Uhr
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