Ganz schön bissig ...
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Februar 2008
Für immer
von Claudia Schäckel

Nervös. Ich bin nervös. Alles soll perfekt sein. Genauso perfekt wie sie. Ich sehe ihre langen, beinahe schwarzen Haare vor mir und meine den leichten Vanilleduft riechen zu können, der von ihnen ausgeht. Wenn ein Luftzug durch sie hindurch streicht, trägt er eine Ahnung davon mit sich und umschmeichelte alles in ihrer Nähe. Allein die Erinnerung daran fühlt sich warm an und lässt mich lächeln. Zum mindestens zehnten Mal sehe ich auf den großen Kalender, der fast die ganze Wand über dem Tisch bedeckt. Heute ist der vierzehnte Februar. Mit großen, roten Kreuzen habe ich jeden Tag ausgestrichen, der mich dem „Heute“ näher gebracht hat. Genau vor fünf Jahren habe ich sie zum ersten Mal gesehen. In einem Bistro neben dem Kino. Seit diesem Moment kann ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Ihr Lachen, ihre warme Stimme. Heute ist unser fünfter Jahrestag und alles soll perfekt sein.

Eine junge Frau mit kurzen, blonden Haaren betritt das Bistro neben dem Kino. Wie jedes Jahr treffen sie sich hier. Jedes Jahr am vierzehnten Februar, zum Frühstück. Sie tritt an den Tisch in der Ecke, an dem schon ein älteres Pärchen und zwei weitere junge Frauen sitzen. Zur Begrüßung umarmt sie jeden der Anwesenden und der älteren Frau drückt Sie einen sanften Kuss auf die Wange.

Quark mit Obst und Brot mit Honig. Ich habe keine Zeit zum Frühstücken und schiebe alles lustlos vor mir auf dem Tisch hin und her.
„Norman, du musst etwas essen.“
Ich weiß. Die freundlich klingende Stimme hat recht, ich muss etwas essen, das gehört zu den Regeln. Mehr als ein Nicken schaffe ich nicht und greife nach dem Quark. Wenn ich schnell esse bin ich schnell fertig und kann wieder in mein Zimmer. Ich muss noch so viel vorbereiten. Die Blumen, schwarze Rosen, die passen so schön zu ihren Haaren. Fünf, für jedes Jahr Eine und eine Schleife in der Farbe von Vanille. Die Pralinen, die aussehen wie Muscheln, mit der Nugatfüllung. Sie schmecken so „viel zu süß“ wie sie. Und natürlich brauche ich noch eine Karte. Vorne drauf ein Herz. Nein, besser zwei, die ein wenig übereinander liegen.
Demonstrativ schiebe ich die leere Quarkschüssel in die Mitte des Tisches.
„Kann ich gehen?“

Die Gruppe im Bistro zahlt und bricht auf.

Die Blumen liegen auf dem Tisch neben den Pralinen, jetzt brauche ich nur noch die Karte und muss mir etwas ausdenken zum hineinschreiben. Das wird, wie jedes Jahr, am schwersten sein. Irgend etwas, das mit unserem ersten Zusammentreffen zu tun hat. Sie saß mit einer Freundin an einem Tisch in der Ecke und frühstückte, als sie mir auffiel. Ihre Stimme war warm und jedes Wort klang weich. Es fühlte sich an, als ob ich diese Stimme mein ganzes Leben lang gesucht hatte. Und ihr Lachen, es klang in meinem Kopf nach, breitete sich aus und schob die Einsamkeit zur Seite, die ich mit mir herumtrage, seit ich denken kann. Jetzt sitze ich hier vor einer leeren Karte und soll in Worte fassen, um wie viel heller und wärmer die Sonne nach einem Unwetter scheint.

Zwei Autos fahren kurz hintereinander auf den Parkplatz. Die junge Frau mit den kurzen blonden Haaren steigt zuerst aus und hilft ihrer Mutter aus dem Wagen. Ihr Vater kommt um den Wagen herum und nimmt seine Frau liebevoll in den Arm. Aus dem zweiten Auto steigen die beiden anderen jungen Frauen. Schweigend tritt die Gruppe durch das offene Tor und geht durch die Reihen gepflegter Gräber, bis sie vor ihrem Ziel stehen bleiben.
Anna
geb. 12.7.1977 – verst. 14.2.2003
geliebte Tochter und Schwester


Ich kann meine Schuhe nicht finden. Alles ist perfekt und ich muss jetzt gehen, aber ich kann meine Schuhe nicht finden. Ich habe das Zimmer wieder und wieder durchsucht und merke die Wut über dieses sinnlose Hindernis in mir hoch steigen. Dann muss ich eben ohne Schuhe gehen. Tief durchatmen, noch mal konzentrieren. Hab ich alles. Ich starre auf den Inhalt meiner Hände, die Blumen, die Pralinen und die Karte. Zwischen meinen Händen, nackte Füße. Wieder steigt mir heiße Wut in den Kopf und wer auch immer sie mir weggenommen hat, wird das bestimmt nicht wieder tun. Ich muss versuchen mich zu konzentrieren. Wichtig ist jetzt nur sie. Alles andere hat Zeit. Allein die Vorstellung von ihrem Gesicht lässt mich wieder zur Ruhe kommen. Ich mache mich auf den Weg und strecke eine Hand nach dem Türgriff aus. Ich drücke die Klinke runter um mein Zimmer zu verlassen, aber die Tür lässt sich nicht öffnen. Sie ist verschlossen. Eingesperrt. Ich kann nicht zu ihr.

Ein gellender Schrei hallt durch einen langen Korridor. Vorbei an Türen, einige offen einige zu. Vorbei an den hohen vergitterten Fenstern und an wenigen Menschen, die entweder zusammenzucken oder nicht einmal durch solch markerschütternde Schreie aus ihrer Abwesenheit gerissen werden. Das Schreien steigert sich. Wut, Verzweiflung und harte Schläge gegen eine Tür. Eilig kommen drei entschlossen aussehende Männer in grünen Kitteln um eine Ecke. Sie bleiben vor der Tür stehen, hinter der eine sich überschlagende Stimme flucht und droht. Die drei Männer überprüfen ruhig und routiniert die Zwangsjacke, die sie mitgebracht haben, wechseln noch einen Blick, nicken sich kurz zu und öffnen die Tür.

Sie überfallen mich. Ich versuche mich zu wehren, aber sie sind zu dritt und drücken mich, mit dem Gesicht nach unten, auf den Boden. Ich bekomme keine Luft, kann meine Arme nicht mehr bewegen. Versuche zu treten. Ich muss doch zu ihr, sie wartet auf mich. Sie ist das einzige, das mich die Tage ertragen lässt. Ihre dunklen Augen, die Haare, Vanille, ihr Gesicht. Wieso starren ihre Augen so leer? Wieso klebt Blut an ihren Haaren? Und an meinen Händen? Ich kann die Vorstellung von ihr nicht mehr fest halten. Die Welt entgleitet mir und wird dunkel.

Eine Ärztin steht neben den Pflegern am Bett, die leere Spritze und die Flasche mit dem Beruhigungsmittel noch in der Hand. Sie beobachtet den Mann auf dem Bett und sein sich langsam entspannendes Gesicht. Zufrieden mit seinem Zustand dreht sie sich weg und hebt die Blätter auf, die auf dem Boden verstreut liegen. Auf einem sind fünf schwarze Blumen gemalt, einfache Striche, wie eine Kinderzeichnung. Auf dem zweiten ein Viereck mit verschiedenen Kreisen und Ovalen im Inneren. Beide Blätter sind durch den Kampf zerknittert. Sie streicht sie sorgfältig glatt. Jedes Jahr die gleichen Bilder, nur die Anzahl der Blumen ändert sich. Einer der Pfleger reicht ihr das letzte Blatt, das in der Mitte zusammen gefaltet ist. Vorne drauf zwei Herzen die sich überschneiden. Sie zögert einen Moment bevor sie es öffnet um die ungelenk geschriebenen Worte zu lesen. Die gleichen wie jedes Jahr.

Für immer Mein

Letzte Aktualisierung: 25.02.2008 - 21.06 Uhr
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