Der Cousin im Souterrain
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Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Februar 2008
Sechs Jahre mit Lisa
von Robert Pfeffer

Hier am Fenster sitze ich total gerne. Das ist mein Platz. Seit sechs Jahren. Ich liebe meinen Stammplatz. Natürlich sitze ich nicht immer hier, aber immer gerne. Und ich liebe Lisa. Mit ihr wohne ich zusammen hier. Manchmal ist Lisa ziemlich anstrengend. Ich selbst bin nie anstrengend. Ehrlich! Das glauben Sie nicht? Doch, ist aber so. Ich erzähle Ihnen ein bisschen von Lisa und mir, dann werden Sie schon sehen, dass ich recht habe.

Vor ziemlich genau sechs Jahren lernte ich Lisa kennen. Nun ... es war Liebe auf den ersten Blick! Na jedenfalls, als sie mich endlich ansah. Denn erst beachtete sie mich gar nicht. Wir waren zwar im selben Raum, sogar dicht beieinander, aber anstatt mich anzusehen, schien sie irgendeinen Punkt an der Decke zu suchen. Ihre Augen rollten dabei hektisch von links nach rechts und wieder woanders hin, wie bei einem Kugellabyrinth, bei dem man auch nicht weiß, wohin die Reise als nächstes geht. Und dann diese hektischen Bewegungen dazu. Ab und zu ruderte sie mit den Armen, schien in die Luft zu greifen. Keine Ahnung, warum. Während ich mir gerade Sorgen machte, dass sie mich dabei durchaus mal treffen könnte, schlug sie auch schon zu. Nicht fest, auch wohl nicht absichtlich, aber doch spürbar. Ich war verstört, behielt sie aber weiter im Auge, für den Fall, dass noch ein Hieb kam. Dann sah sie mich endlich an. Zum ersten Mal blickte ich in diese blaugrünen Augen. Groß und neugierig sahen sie aus. Wie bei einer Katze, die sich duckt und gleich zum Sprung auf ihr Lieblingsspielzeug oder eine Beute ansetzt. Dann musterte sie mich von oben bis unten. Wie ein Scanner. Ich glaube, diesen Blick haben Frauen von Geburt an. Mit diesem Scannerblick entscheidet sich, ob es was wird oder eben nicht. Nach einigen Sekunden wissen sie dann das Ergebnis. Die Frauen. Die Männer nicht unbedingt ebenso, denn es wird nicht immer sichtbar, was die Frauen denken. Sie können einen sogar anlächeln, während sie schon überlegen, wie sie einen am besten abservieren. Lisa machte auch erst mal ein Geheimnis aus ihrem Scan-Ergebnis. Sie drehte sich weg. Ich wähnte mich schon auf der Verliererseite, da plötzlich wandte sie sich mir wieder zu und lächelte. Gesagt hat sie keinen Ton. Nur gelächelt. Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie bei Frost, Sturm und eisigem Wind von draußen in eine mollig warme Wohnung kommen? Genau so ging es mir, als ich dieses Lächeln sah. Sie taute mich vollständig auf damit. Und dann hat sie mich berührt, immer noch ohne ein Wort. An meinem Arm strich sie entlang, bis hoch an die Schulter. Eine feurige Spur, die mich ihre Zuneigung fühlen ließ.

Die ersten Wochen vergingen wie im Flug. Wir lernten uns besser und besser kennen, die Vertrautheit wuchs. Lisa und ich waren Tag und Nacht zusammen. Ohne ihr kurzes Atmen konnte ich gar nicht mehr richtig einschlafen. Manchmal konnte ich allerdings auch nicht fassen, wie sich ihre Laune änderte. Dann stieß sie mich vor den Kopf, schubste mich mitunter sogar weg, konnte meine Nähe wohl nicht ertragen. Im nächsten Augenblick war sie wieder schmusig bis über meine beiden Ohren. Ich sagte ja, sie kann richtig anstrengend sein.

Nach zwei Jahren kam unsere erste richtig große Krise. Sie lernte Ewald auf ihrer Geburtstagsparty kennen. Ich konnte ihn ja von Anfang an nicht leiden. Woher sie ihn kannte, weshalb er überhaupt eingeladen war, das hab ich nie erfahren. Er saß einfach auf dem Sofa, als sie gerade die Kerzen auf ihrem Geburtstagskuchen ausgepustet hatte. Mit einem Mal war ich wie Luft für sie. Lisa hatte nur noch Augen für Ewald. Dabei müssen sie ihr eigentlich gebrannt haben, denn er hatte so ein schrilles Aussehen, lauter knallige Farben. Vor allem auf giftiges Grün schien er zu stehen, obwohl er leicht gelbliche Haut hatte. Stellen Sie sich mal eine neongrüne Jacke zum gelben Hemd vor, das passt doch nicht, oder? Wie kann man denn nur auf dieses Kirmes-Outfit kommen? Na ja, Klamotten hin oder her: Sie hat sich von ihm blenden lassen und zog nun mit ihm, statt mit mir durch die Gegend. Es dauerte auch nicht lang, da lag er plötzlich in ihrem Bett und ich war komplett abgemeldet. Das hat mich doch sehr mitgenommen. Ich saß nur noch in der Ecke und wurde ignoriert. Wochenlang. Trotzdem konnte ich nicht anders, als Lisa weiter lieben. So lebten wir also in einer etwas seltsamen Dreierbeziehung. Eine total bescheuerte Zeit. Ewald und Lisa teilten das Bett miteinander, ich schlief auf dem Sofa. Sich für einen von uns zu entscheiden, das kam ihr überhaupt nicht in den Sinn. Wenigstens meinen Platz hier am Fenster, den hatte ich immer für mich. Hier hat Ewald nie gesessen.

Nach ziemlich genau einem halben Jahr kam dann der große Knall. Ewald war von einem auf den anderen Tag verschwunden, so plötzlich, wie er zuvor aufgetaucht war. Ich hab das zunächst gar nicht mitbekommen, Lisas Eltern hatten aber etwas damit zu tun. Sie erzählten ihr, dass sie Ewald in den Nachrichten gesehen hätten. Offenbar gehörte er zu einer großen Gruppe von Einwanderern aus China. Seine leicht gelbliche Haut erklärte das zwar, trotzdem wunderte mich seine Herkunft, denn er sah sonst überhaupt nicht asiatisch aus und sein Name war auch keineswegs chinesisch. Wie auch immer, dieser Schnösel und seine ganze Truppe hatten irgendetwas mit einer fiesen Chemikalie zu tun. Und deshalb haben Lisas Eltern ihr gesagt, was ich schon länger wusste, nämlich dass er nicht der Richtige für sie sei. Ich fand zwar krass, dass sie ihn für Lisa offenbar einfach so „entsorgt“ haben, aber es war mir im Grunde auch egal. Schon am nächsten Tag war ich wieder ihr bester Freund. Auch wenn es sich einerseits natürlich schön anfühlte, so war es auf der anderen Seite trotzdem ein echtes Wechselbad der Gefühle. Da stellt mich dieses weibliche Wesen förmlich in die Ecke und schaut mich nicht mehr an. Ich kam mir schon verstaubt vor und von einer Sekunde zur nächsten wurde ich abgepustet und war wieder die Nummer 1. Irre, was ich mit mir machen lasse, oder? Nachtragend bin ich zum Glück nicht.

Vor zwei Jahren gab es noch mal eine Phase, in der es kurz kritischer wurde. Eine wasserstoffblonde, irgendwie lackiert wirkende Tusse zog bei uns ein, die brachte gleich ihren ganzen Hausstand mit. Also jede Menge Klamotten, Möbel und sogar ein Boot. Die war ziemlich schräg, denn einerseits war sie oft nackt, andererseits auch häufig im Brautkleid unterwegs. Aber schon nach kurzer Zeit verflog meine Sorge wieder, denn wenn es um wirkliche Gefühle ging, dann kam Lisa immer zu mir. Die Blonde war wohl mehr ein Zeitvertreib für sie.

Vor ein paar Wochen habe ich allerdings gemerkt, dass wir vielleicht bald den nächsten Prüfstein in unserer Liebe vor uns haben. Lisas Eltern mischten sich wieder ein. In meinem Beisein haben sie ihr gesagt, es würde bald der Vergangenheit angehören, dass sie ständig mit mir abhängt. Mit dem Lotterleben sei ab Sommer Schluss.

Jetzt ist Sommer und in ein paar Tagen kommt Lisa in die Schule. Das hat sie mir erzählt. Danach werden wir sehen, wie es weitergeht. Ich werde sie immer lieben. Ihre erste große Liebe war und bleibe nur ich. So oder so. Mein Platz hier am Fenster wird auch meiner bleiben, egal wie viele Ewalds, Blondinen oder andere auch kommen. Und Lisa wird mich bestimmt immer weiter lieben, denn ich bin ja wirklich nicht anstrengend. Finden Sie doch auch, oder?

Letzte Aktualisierung: 10.02.2008 - 17.23 Uhr
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