Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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März 2008
Der Ypsilon-Baum
von Juli Jaschek

Zum Geburtstag vom Alois Angersdorfer kam dieses Jahr auch der Bürgermeister, erstens, weil es ein runder Geburtstag war und zweitens weil es mit dem Alois was zu bereden gab. An der mit Buttertorten, Nusskranz und Hefegebäck vollgeschlichteten Tafel saßen die Gäste: die fünf Angersdorfer–Brüder, alle stramm und groß mit Augen so dunkel wie Lakritzbonbons, ihre Frauen, Kinder, Enkelkinder und Nachbarn.
Das waren, dachte der Bürgermeister, während er sich Kaffee eingießen ließ, die Alten Tänninger. Früher hatten nur solche die Gemeinde besiedelt: Bauern, Metzgersmeister, Sparkassenangestellte. Mit den Jahren kam immer mehr ortsfremdes Volk dazu. Tänning lag recht idyllisch, zudem nur sechs Kilometer von der Landeshauptstadt entfernt, da fanden es die dort tätigen Professoren und Ingenieure und Filmemacher nett, sich hier anzusiedeln. Sie bauten geschmackvolle Häuser, legten wundervolle Gärten an und in ihrem Gefolge erschienen plötzlich auch Feinkosthändler, Biometzger und sogar ein vegetarisches Lokal. Im Prinzip hätten die Neuen Tänninger so weiter unter sich bleiben können, einige machten allerdings Anstalten ins dörfliche Leben vorzudringen: sie erschienen zu Feuerwehrbällen, spendeten für das Gemeindehaus und bemühten sich sogar, im lokalen Dialekt zu sprechen. Seit neuestem prangte der Name „Gartenstadt Tänning“ auf dem Ortsschild. Das ging auch zurück auf das Betreiben dieser besonders rührigen Neu-Tänninger.
„Jetzt hätt ich noch was mit dir zum Reden“, sagte der Bürgermeister zum Alois und wischte sich Kaffeeschaum vom Mund.
„Red“, entgegnete der Angesprochene mit der behäbigen Liebenswürdigkeit eines Herrn über 300 Hektar Land und ebenso viel Stück Milchkühe. Alois war der älteste der Brüder und Tännings letzter Bauer.
„Es ist wegen dem Baum. Das wird jetzt schwierig, wenn du den wirklich umschneiden willst.“
„Wieso?“ Gemütlich stopfte sich der Alois ein Stück Torte in den Mund.
„Weil es da seit gestern eine Eingabe gibt. Da wollen die vom Verein ‚Gartenstadt’, dass deine Esche ein ‚geschütztes Naturdenkmal’ wird, so nennen sie das.“
„Ja und? Is mir doch wurscht!“, entgegnete der Alois. „Der Grund is als Bauland ausgewiesen und im Sommer bau ich dahin ein Kaufhaus. Da kann ich doch den Baum ned drauf stehen lassen. Wenn da ein Kaufhaus hin soll, gell?“ Er schnäuzte geräuschvoll und schüttelte den Kopf, während er in das Stofftuch schaute. Ideen hatten diese Städter da dauernd!
Von links mischte sich Ferdl, der Neffe vom Alois ein. „Was wollen die denn überhaupt auf der Gemeinde? Warum gehen denn die ned zur Unteren Naturschutzbehörde? Also, wenn die einmal so anfangen, dann habens ja gleich verloren!“ Er schaukelte auf seinem Stuhl und schaute überlegen drein. Der Ferdl war erst fünfundzwanzig und zunächst mit den Kindern einiger Neu-Tänninger zusammen auf dem Gymnasium gewesen. Allerdings nicht bis zum Schluss, denn, wie er sagte „I bin doch ned blöd, wo ich in der Zeit schon was verdienen kann.“ Ein Jahr vor dem Abitur war er abgegangen, um bei einer Umzugsfirma zu jobben, darauf verschwand er für einige Zeit nach Südostasien, kehrte zurück, gründete eine Band und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Irgendwie konnte der Ferdl alles – vom Gitarrespielen bis zum Autoreparieren, aber eine richtige Arbeit kam dann doch nie vor. „I bin doch ned blöd“, war Ferdls Lieblingssatz, gefolgt von „die sand doch alle blöd“, wobei er allerdings stets liebenswürdig grinste und zwei Grübchen erscheinen ließ.
„An deiner Stelle wär ich da nicht so sicher“, sagte der Bürgermeister zum Alois und als er bemerkte, wie der gleich in die Höhe gehen wollte, fügte er moderater hinzu: „Es is natürlich alles nur ein Schmarrn. Aber letzte Woche war diese Frau Rucktäschl bei mir im Amt -“
„Wer?“, unterbrach ihn der Alois.
„Die Frau von dem Professor halt und die andere, diese dünne Frau Doktor Setzl war aa dabei...“
„Is das die, die wo in der Kirch immer so laut singt?“
Da musste der Bürgermeister passen, weil er evangelisch war. „Jedenfalls haben die da ein Schreiben abgegeben, das war also eine Art Gutachten, und da stand irgend was mit deinem Baum, dass er saualt ist und dass die Esche schon mal Baum des Jahres war und noch was... mit einem Ypsilon was, das klang also alles recht offiziell jedenfalls.“
Der Alois neben ihm hatte sich bei den letzten Worten aufgerichtet. Ypsilon! „Hat das was mit dieser Ypsilanti zu tun?“, fragte er und setzte die Kaffeetasse hart auf. „Ja freilich, wenn da jetzt noch die Roten aufmarschieren auf der Gemeinde...!“
„Die Ypsilanti ist gar nicht so schlecht“, mischte sich der Ferdl ein und hielt seiner Tante Minni, die mit der Schnapsflasche herumging, sein Glas hin.
„Zur Verdauung“, sagte die Minni und schenkte fürsorglich allen ein.
„Ich schneid mein Baum um, das wirst sehen – ruck-zuck liegt er da!“, ereiferte sich der Alois weiter. Dann wandte er sich an seinen Neffen: „Wie is des, wie lang braucht man, bis so a Eschen umgschnitten ist?“
Kurz hielt der Ferdl inne beim Schaukeln. Dann stieß er sich wieder mit den Füßen ab und schaukelte weiter. „Wenn man das richtige Werkzeug hat und weiß, wo man hinlangen muss“, sagte er lässig, „dann ists in zehn Minuten vorbei.“
„Aha“, sagte der Alois zum Bürgermeister, „hast das gehört?“

Dennoch ließ es dem Alois keine Ruhe. Schon am anderen Tag war er auf der Gemeinde. „Also, was is jetzt das mit der Ypsilanti und meinem Baum?“, fragte er ungeduldig.
Der Bürgermeister kramte in seinen Papieren. „Ja, jetzt wart mal Ypsilon... Ypsilon ... Herrschaft, was war jetzt das? – Ah da! Jetzt! So – was steht da...?“ Umständlich kramte er seine Lesebrille hervor. „Also, da steht, dass dein Baum schon über hundert Jahre alt ist und eine Zierde für die ... was? ... ah ja, Gartenstadt Tänning und überdies eine Esche und das wär mal der Weltenbaum Y – Ygg – Yggdrasil gewesen. Bei den alten Germanen...“ Er ließ das Papier sinken und blickte in das Gesicht vom Alois, das bei den letzten Worten immer röter geworden war.
„Das is mir scheißwurscht mit dem ganzen Ypsilon!“, schrie der wutentbrannt. „Die Eschen is mei Baum und den schneid ich um, wann ich will!“
Der Bürgermeister sah abwechselnd auf das Papier und den rotkopfigen Alois vor sich. Die Neu-Tänniger waren wichtige Leute. Sie kannten alle möglichen Herrschaften in allen möglichen Positionen in der Landeshauptstadt, das war wahr. Andererseits – wer vor ihm stand, das war der letzte Bauer von Tänning. Der sich um das Gemeindeholz kümmerte, bei der Freiwilligen Feuerwehr engagiert war, der den Faschingszug anführte mit seinem Trecker und den Maibaum beschaffte jedes Jahr.
„Weißt, wie wirs machen“, sagte er so ruhig wie möglich. „Am Samstag bin ich den ganzen Vormittag bei der Einweihung vom neuen Feuerwehrhaus, das ist am anderen Ende vom Ort. Dann schneidst sie halt um in Gottes Namen, die Esche. Aber wenn jemand drauf kommt und mich am Ende anruft – länger als zehn Minuten kann ich den dann auch ned hinhalten, verstehst? Und bis dahin habt ihrs geschafft, sagst?“
„Des glaubst! Des werd ned lang dauern bei mir: Ruck-zuck und der Baum liegt! Und dann ists wurscht – was gscheng is, is gscheng!“ Die Daumen in die Hosenträger gespreizt stand er da und blähte die Nasenflügel über seinem schwarzen Schnauzer.

Am Samstag holte der Ferdl die Motorsäge aus der Garage, den Vorschlaghammer und Keile und ging mit seinen fünf Onkeln zur Wiese, wo die Esche stand. Einen Augenblick lang schnitt es ihm ins Herz, als er den Baum sah mit seiner dunkelgrau borkigen Rinde, den mächtigen Stamm mit gut einem Meter Durchmesser und das hellgrüne, fiederige Laub, weit oben, denn der Solitär überragte alles in der weiteren Umgebung.
„Also“, befahl sein Onkel, „gemmas an!“
Der Ferdl warf die Motorsäge an. Ein jäher Jaulton – aber der hatte schon genügt - am Nachbarhaus öffnete sich ein Fenster.
Eine Minute später stand eine dünne Frau mit grauen Haaren und im Nachthemd neben ihnen im taunassen Gras und zeterte schrill: „Hören Sie mal ... uralter Baum ... Umweltmord .... Polizei ...!“ Sie zückte ein Handy.
Mit einem Schritt war der Alois bei ihr und entriss es ihr, aber da tauchten am Zaun noch weitere Gestalten auf – da hatte die wohl vorher noch im Haus telefoniert? - die meisten von ihnen Frauen und alle kreischten durcheinander: „Umweltfrevel! – Polizei - Bürgermeister!“
Der Alois drehte ihnen den Rücken zu. „Was is jetzt?“, schrie er zum Ferdl hinüber, der sich über die Motorsäge beugte. „Schlaf ned ein!“
Der Ferdl ließ die Säge sinken und runzelte die Stirn. Im gleichen Moment spurtete die Grauhaarige los. Jetzt war sie am Baum und klammerte sich daran fest. „Ich geh hier nicht weg!“, schrie sie gellend.
Es regnete graue Borkenstücke, bis drei Angersdorfer-Brüder die Frau wieder vom Baum gelöst hatten.
„Lassen Sie die Frau los!“, brüllte ein Mann jenseits des Zauns.
„Und??“, schrie der Alois über seine Schulter und die fuchtelnde Frau hinweg zum Ferdl, während ein Sprechchor anhob:
„ZU FÄLLEN EINEN SCHÖNEN BAUM
BRAUCHTS EINE VIERTELSTUNDE KAUM
ZU WACHSEN, BIS MAN IHN BEWUNDERT
BRAUCHT ER, BEDENKT ES, EIN JAHRHUNDERT!“ „Viertelstunde, Viertelstunde“, knurrte der Alois. „Erst hat er gsagt, zehn Minuten braucht er! Was is jetzt? Hast es immer no ned?!“
„Ich muss doch die Kette noch spannen!“ kam es vom Ferdl zurück.
Immerhin, die Ohrschützer hatte er schon auf. Jetzt setzte er die Säge an. Der Motor jaulte auf. Dann gab es einen Knall, er war so laut als würde ein Meteorit in eine riesige Blechschüssel fallen.
Das Geschrei verstummte. Der Ferdl nahm die Ohrschützer ab. „Die Kette ist gerissen“, gab er bekannt.
„Da kommt der Bürgermeister!“, rief eine Stimme vom Zaun.

„Kann er denn wenigstens ein kleines Kaufhaus noch hinbauen auf seinen Grund?“, erkundigte sich Minni besorgt bei ihrem Neffen, der auf einen Abendschoppen vorbeigekommen war.
„Ein kleines wird schon gehen“, beruhigte sie der Ferdl. „Wenn er bloß ned dauernd so rumgeschrien hätt! Weil deswegen war die Kette zu fest gespannt. Nervosität, verstehst? Außerdem – einen hundertjährigen Baum fällen – ich bin doch ned blöd!“

Letzte Aktualisierung: 23.03.2008 - 11.16 Uhr
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