Das alte Buch Mamsell
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Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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März 2008
Das Schaukelpferd
von Sylvia Seelert

Vor und zurück. Die Holzkufen quietschten leise auf dem Parkett. Vor und zurück. Immer wieder. So beruhigend, fand sie. Die Hände umklammerten fest die Griffe, während sie ihren schmächtigen Körper im gleichmäßigen Rhythmus bewegte.
„Ich bin kurz drüben bei Ilse. Hab’ kein Zucker mehr für den Kuchen, den Mami backen will. Bin gleich wieder da, Schätzchen.“
Ein flüchtiger Kuss streifte ihre Wange. Sie schaukelte weiter, schneller, hoffte, die Kufen würden sich vom Boden lösen und sie zum Fenster hinaustragen. Es stand offen. Frühlingssonne blinzelte herein und warf Streifen auf den Boden.
„Mein Engel“, flüsterte eine Stimme hinter ihr. „Lass Papi mitreiten“.
Das Schaukelpferd blieb stehen, als ob es gegen eine Wand geprallt wäre. Es neigte sich kurz nach hinten und schon saß er mit ihr darauf.
„Ho“, rief er, „Ho, wir reiten gegen Westen und schießen die Indianer tot.“
Er schlang seine Arme um sie und versetzte dem Pferd einen heftigen Stoß. Sie ritten, schnell und heftig. Holz kratzte mit leisem Winseln über Holz. Er schwitzte. Ihr war ganz kalt.
Vögel zwitscherten in der Weide gegenüber, eine Fliege flog summend durch das Fenster, drehte ein, zwei Runden und setzte sich auf ihr Bett. Sie hörte Kinderlachen heraufschallen. Max, Toni und Rebekka spielten bestimmt wieder Himmel und Hölle. Ein Stein klackerte über das Pflaster gefolgt von scharrenden Füßen. Rebekka kicherte, Toni fluchte. Er war wohl in der Hölle gelandet.
Sie blickte auf ihren rosafarbenen Schulranzen mit dem Einhorn darauf. Es schwang seine Hufen in die Luft und starrte sie traurig an. Sie musste noch Hausaufgaben machen. Rechnen. Sie hasste rechnen. Die Zahlen wollten ihr nicht gehorchen. Viel lieber wäre sie jetzt draußen. Mit Rebekka. Sie mochte Rebekka. Gestern hatte sie ihre Süßigkeiten mit ihr geteilt.
„Papi hat dich ganz doll lieb“, hauchte er und strich durch ihr Haar.
Wo Mami bleibt? Sie wollte doch nur Zucker holen. Ilse war komisch. Ständig musste sie Geschichten erzählen. Von den Nachbarn, vom Bäcker, vom Kassierer im Supermarkt. Über alle wusste sie etwas. Bestimmt sprach sie mit ihrer Mutter wieder über Frau Bornholm. Das Luder. Trieb es mit jedem. Was ist ein Luder, hatte sie Mami gefragt. Zunächst wollte sie nicht antworten, druckste herum. Schließlich hatte sie gemurmelt: Eine böse Frau, die alle Männer an sich heranlässt. Mehr wollte sie nicht sagen.
Ihr wurde noch kälter. Böse. Sie schluchzte leise.
„Ist ja gut, mein Engel. Alles ist gut.“ Er küsste sie auf den Scheitel und stieg vom Pferd herab. Er nahm ihr Kinn in die Hand und schaute sie an. „Das ist ein Spiel. Unser Spiel. Wir töten die Indianer und Mami soll davon nichts wissen.“ Seine Finger bohrten sich in ihre Haut. Es tat weh. Sie nickte.
„Mein braver Engel“. Er küsste sie auf den Mund.
Plötzlich hasste sie das Schaukelpferd. Hasste den roten Holzsattel, das Quietschen der Kufen, den struppigen Schwanz. Sie würde es nie wieder anfassen.
„Bin wieder da. Ilse musste mir auf die Schnelle wieder das Neueste von der Bornholm erzählen.“ Lächelnd fasste er Mami um die Taille und drehte sie einmal im Kreis herum. Dann küsste er sie.
„Du warst nur zehn Minuten weg und schon habe ich dich vermisst.“

Letzte Aktualisierung: 27.03.2008 - 10.56 Uhr
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