Der himmelblaue Schmengeling
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Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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April 2008
Strandläufer
von Ingrid Gertz

Sie fühlte sich wohl, grub ihre Glieder regelrecht in den noch warmen Sand, spürte jedes einzelne Körnchen kurz anhaften und gleich darauf, vor sich hin krümelnd wieder abwärts gleiten …herrlich.
Wenn der Trubel und die Tageshitze vorbei waren, wurde es doch erst so richtig angenehm.
Alle saßen jetzt in den kleinen, am ganzen Strand verteilten Restaurants, goutierten den frischen, direkt aus dem Meer auf einem der Grills gelandeten Fisch.
Aber das war ihr egal.
Egal, wie es Schwertfisch, Hummer, Hai und Co. hier erging.
Sie wartete.
Den weiß getünchten Bungalow im Hintergrund und die ständig wiederkehrenden, den Strand küssenden Wellen vor sich wissend, wartete sie.
Und erinnerte sich an seine kurzen, abschätzenden, zuerst wie zufällig wirkenden Blicke, an die Art, wie er sie regelrecht umkreist, von allen Seiten gemustert hatte.
Wie sie eingegangen war auf dieses Spiel: Mustern, Herantasten, sich von der Schokoladenseite präsentieren.
Ohne sehr groß zu sein, war er auf eine seltsam erregende Weise dunkel, geheimnisvoll, drahtig und sehr sexy. Sicher eine kleine Sünde wert …
Die Kreise, die er um sie gezogen hatte, waren immer enger geworden und seine Blicke fordernder. Wie in einem sinnlichen Tanz war sie mit lasziven, einladenden Bewegungen einer langsamen, lautlosen Melodie gefolgt, geschmeichelt und erregt von seinem so offensichtlichen Interesse, fasziniert von der Anziehung, die sie auf ihn auszuüben schien.
Näher, immer näher war er gekommen, bis seine kurze Berührung sie schlagartig aufgeschreckt, elektrisiert hatte, zur Besinnung kommen ließ.
Die Strandpromenade war, wie immer in diesen warmen Abendstunden noch sehr belebt gewesen. Das war kein Ort für ein besseres Kennenlernen, oder gar für das ihr vorschwebende ungestörte Stelldichein.
Zuviel Gewimmel, laute Stimmen, neugierige Augen und Ohren …
Sie musste sich lösen, freimachen vom bittersüßen Nebel der Begehrlichkeiten, die, zu schnell erfüllt, ihren Hunger nicht stillen würden.
Langsam, ihm alles versprechende Blicke zuwerfend und sich immer wieder umschauend, hatte sie sich in Richtung Strand bewegt.

Hier war der Sand von vereinzelten Horsten des Strandhafers durchbrochen.
Sicht- und windgeschützt hinter einer kleinen bewachsenen Düne lag ihr Lieblingsplatz in der Dämmerung.
Sie wartete, lauschte, war sich seiner aber sehr sicher, jedenfalls für heute Abend.
Fein rieselnde Sandkörnchen übertrugen die herannahende Bewegung in ihre Richtung und sie spürte ihn, noch bevor er bei ihr war.
Seine Silhouette wirkte mit dem im Hintergrund schwindenden Licht rabenschwarz, fast bedrohlich.
Aber sie war nicht ängstlich, kannte schließlich dieses alte und doch immer neue Spiel, und sie spielte es auf eigenem Terrain.
Das würde jetzt kein Geplänkel mehr sein, sie wusste es.
Ob er in seiner, bloß auf das Eine gerichteten Gier auch nur ahnte, worauf er sich einließ?
Gleich würde sie ihn umgarnt, in ihrem Bann haben, ihn benutzen …

Wohlig müde, restlos zufrieden und satt nahm sie ihren Weg hinauf zum Bungalow. Die Verandatür stand da schon seit Tagen einen Spalt weit offen und sie nutzte diesen Unterschlupf gerne.
An ihn, den Dunklen, Drahtigen, verschwendete sie keinen Gedanken mehr. Niemand würde ihn vermissen …
Kühl und einladend schimmerten weiße Bettlaken im Mondlicht, als sie sich, Ruhe suchend, durch die angelehnte Verandatür schob.
Völlig unerwartet öffnete sich die Zimmertür und gleißendes Licht überschüttete den Raum, schmerzte in seiner plötzlichen Intensität, ein Vibrieren des Bodens, ausgelöst von schweren Schritten, erfasste ihren Körper.
Sie würde ihren Schlafplatz heute nicht allein haben und suchte, so schnell sie konnte, Schutz hinter langen Vorhängen.

„Was ist denn los, Hans?“ Verständnislos registrierte Irene, wie er hektisch in Richtung Verandatür marschierte und sich dort an der, die ganze Wandbreite einnehmenden Gardine zu schaffen machte. Irgendetwas schien Hans zu suchen. Aber wie gewöhnlich dachte er wohl nicht mal im Traum daran, seiner Frau irgendeine Erklärung für diese plötzliche Betriebsamkeit zu geben.
Angestrengt schnaufend hob er Stück für Stück die Übergardine an und spähte den freigelegten Hintergrund sorgfältig aus.
„Hans, denk an dein Herz, reg dich nicht auf und sag lieber mal, was das werden soll!“
„Mein Herz, mein Herz!“ schimpfte Hans vor sich hin. „Wenn du dir Sorgen um mein Herz machen tätest, wären wir jetzt im Biergarten und nicht in diesem verkackten Backofen, wo das Ungeziefer nur darauf lauert, über einen herzufallen. Komm gefälligst her und such mit! Da ist so ein Viech unter der Gardine verschwunden, ich hab´s weghuschen sehen! …Kann doch nur hier irgendwo sein …“
Da war er wieder, dieser Kommandoton! Was meinte Hans wohl, wer sie war?
Sein Hund vielleicht? Stöckchen bringen, Männchen machen … das hätte er wohl gerne!
Irene schüttelte unwillig den Kopf. Das hatte sie sich nicht träumen lassen: Nichts, aber auch überhaupt nichts erinnerte mehr an den zuvorkommenden und großzügigen tollen Hecht, den sie sich aus dem spärlich besetzten Teich wohlhabender Heiratskandidaten gefischt hatte.
Und jetzt hatte sie den Salat, nein, nicht mal den, sondern einfach nur diesen alten und zu allem Überfluss knauserigen dicken Karpfen an der Backe.
„Ich hab da was gesehen, los komm her, mach schon!“ Und des lieben Friedens willen bewegte Irene sich schließlich doch zu ihrem Mann.
„Da ist nichts, Hans.“, versuchte sie ihn zu beruhigen. Das würde heute zum Tagesausklang noch fehlen: nächtliche Jagd auf imaginäre Krabbeltiere …
„ Die Terrassentür ist offen und was du da auch immer gesehen hast, ist lange schon wieder draußen.“
„Na, meinetwegen.“ Hans akzeptierte, weil er die Suche sicher als Anstrengung empfand und trollte sich ins Bad.
Der sternenklare Himmel, sanftes Meeresrauschen und eine samtweiche Brise, die vom Strand heraufwehte, lockten Irene auf die Veranda, entschädigten sie ein wenig für diesen ersten Tag auf Korfu, der so komplett neben ihren Vorstellungen und Wünschen verlaufen war.
Hans hatte ihr den ganzen Urlaub schon vor der Abreise gründlich verdorben:

„Griechenland? Du tickst manchmal echt nicht sauber! Ich bin krank, Bluthochdruck, Herzrhythmus….falls du das mal wieder einfach so vergessen hast!“
Weiß ich doch, weiß ich…. Dann bleib doch ganz einfach zu Hause…
Stilles warten auf die Fortsetzung seiner Tirade.
Sag es, los sag´s schon!
„Da fahr´ ich nicht mit, nicht nach Griechenland!“
Wunderbar! Schwimmen, lesen, wandern. Ruhe haben. Kein hol Dies, mach das … Keine Krankengeschichten, keine ellenlangen Selbstbespiegelungen. Keine Herabsetzungen …
„Bayrischer Wald, von mir aus auch Tschechien, da gibt es auch gutes Bier. Du stornierst einfach!“
„Last Minute, Hans. Wenn keiner fährt, ist das Geld trotzdem weg.“ Dieses Mal kein Nachgeben.
Lass mir doch die zwei Wochen Ruhe …bitte …
Irene hatte gehofft, dass der Hypochonder in Hans stark genug sein würde. Gewonnen hatte dann leider der Geizkragen.
Hans war mit Duldermiene und unter ständigem Meckern mit ihr zusammen ins Flugzeug gestiegen: „ Du bringst mich mit deiner Unvernunft noch vorzeitig unter die Erde!“
Wenn das schon reichen würde …

Endlich allein. Wenigstens ein paar Minuten. Träumen im Konzert der Grillen, im sanften Sterneblinkern … Der Gecko an der weißen Hauswand saß ganz still, schien sie zu beobachten.
Nur ein wenig Ruhe, Zeit zum Durchschnaufen … War das zuviel verlangt?
Ohne räumlichen Abstand würde sie die Situation bald nicht mehr im Griff haben …
Und der Ehevertrag, der ihr in ihrer Selbstüberschätzung zunächst nur ein Lächeln wert gewesen war …, der wurde jetzt zum Dreh- und Angelpunkt.
Mit nichts würde sie sich nicht abspeisen lassen!
Der Gecko saß, wo er saß und die Grillen musizierten um die Wette.

„Komm ins Bett!“ Ein Ruf von drinnen zerstörte die nächtliche Idylle.
Im Bad ließ Irene sich Zeit . Manches erledigte sich oft von selbst, wenn nur genug Zeit war.
Hans schnarchte schon. Na bitte.
Unruhig wälzte er sich im Schein der Nachttischlampe hin und her. Irene sah die dicke Spinne, wie sie unter seinem Handgelenk hervor kroch und flüchtete.
Eine Schwarze Witwe - orangefarbige Zeichnung auf dem kugeligen Hinterleib. Genauso, wie auf den Bildern, denen Irene bei ihrer Recherche über das Urlaubsziel begegnet war.
Eklig.
Ganz unvorstellbar, jetzt zwischen den Laken und Kissen nach weiteren Übernachtungsgästen zu fahnden.
Irenes Bett blieb unberührt. Und ihre Müdigkeit hielt sich nach dem Anblick der dicken Spinne auch schwer in Grenzen.
Doch noch mal zum Strand? Warum eigentlich nicht?

Sie fühlte sich wohl, grub ihre Glieder regelrecht in den noch warmen Sand. Spürte jedes einzelne Körnchen kurz anhaften und gleich darauf, vor sich hin krümelnd wieder abwärts gleiten …herrlich.
Sie träumte.
Gelöst und frei der Melodie des Meeres lauschend träumte sie.
Von dem Leben, das sie haben könnte … Nein, würde!
Kalt war es und schon hell, als sie erwachte.
„Eingeschlafen … So was aber auch!“ Wenn Hans schon auf war, würde er das heute den ganzen Tag wiederkäuen. Da konnte sie sich schon mal drauf freuen.

Hans schlief noch.
Nein! Er lag da, ganz seltsam verkrümmt, mit schmerzverzerrtem Gesicht, kalter Schweiß glänzte auf seiner Stirn.
Und er schnarchte nicht!
Hatte die Witwe etwa doch zugebissen?
„ Hallo, Irene Doberman is speaking, house twelve, yes. We need a doctor. Buck up! My husband, he`s ill. It seems, very ill!”
So, den Arzt hatte sie schonmal angefordert.
Von den am Wegrand emsig gesammelten Rizinussamen behielt sie nur vier zurück, den Rest fraß die Toilette.
Schließlich brauchte Irene sich keine Gedanken mehr darüber machen, wie sie ihm die kleinen giftigen Dingerchen unterjubeln sollte.
Und vier Wunderbäumchen im Vorgarten, nächsten Sommer …
Schön würde das aussehen, Irene wusste das jetzt schon.

Letzte Aktualisierung: 28.04.2008 - 10.22 Uhr
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