Der Tod aus der Teekiste
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April 2008
Südpark
von Michael Rapp

Ein Nachtvogel rief, und als wäre das ein Zeichen gewesen, gingen im Park die Laternen aus.
Polizeimeister Hans Glück legte seine Hand auf den Griff der Heckler & Koch. Der feste Kunststoff vermittelte ihm ein Gefühl von Sicherheit. Bis vor zwei Jahren hatte er als Fahrkartenkontrolleur für die Verkehrsbetriebe gearbeitet und dabei eines gelernt: Nur Selbstmordkandidaten zogen Uniformen an, wenn sie dazu keine Dienstwaffe bekamen.
„Oh, eine Runde im Dustern“, sagte Polizeiobermeister Schenk. „Sehr stimmungsvoll.“ Er zog die schwere Taschenlampe von seinem Gürtel und schaltete sie ein. Eine Katze wurde von dem Lichtkegel erfasst, erstarrte und drehte den Kopf zu ihnen herüber.
„Äh ... Miau?“, machte das Tier, lächelte verlegen und sprang in das angrenzende Gebüsch.
„Bert?“, fragte Hans und versuchte, seine Augen von der Stelle zu lösen, wo die Katze verschwunden war. „Welche Farbe hatte das Vieh?“
Schenk lachte leise in seinen Bart. „Wir sind im Südpark, Kollege. Da muss man mit so etwas rechnen: arbeitslose Eltern, kaum Ausbildungsplätze und viel Alkohol, das ist eine üble Mischung. Eine Katze kann hier froh sein, wenn sie nur angemalt wird.“
„Ach so, Jugendliche“, sagte Hans erleichtert. Natürlich. Denen war alles zuzutrauen. Jugendlich war seiner Erfahrung nach ein Synonym für schuldig und rotzfrech. „Die behaupten immer, sie hätten ihre Fahrkarten vergessen.“
Schenk brummte etwas Unverständliches und setzte sich wieder in Bewegung.
Hans bewunderte die Ruhe seines Begleiters. Polizeiobermeister Schenk war ein erfahrener Beamter. Einer vom alten Schlag, der in seinem Revier jeden Gullideckel kannte, die Berufskriminellen mit Vornamen ansprach und bei den Kioskbesitzern anschreiben ließ. Von ihm konnte man den Umgang mit streitenden Ehepaaren ebenso lernen, wie die Kunst des Freibierschnorrens.
Über den dunklen Weg gingen sie in Richtung Parkmitte. Die Luft war warm, und der Blumenduft wurde ab und zu vom Gestank eines überquellenden Mülleimers unterbrochen. Hans fuhr mit der Hand unauffällig über das Gürtelholster. Selbst in normalen Nächten war ihm die Grünanlage unheimlich. An vielen Stellen reichte dichtes Gebüsch bis direkt an den Weg, und Bauminseln luden zwielichtige Gestalten förmlich ein, sich in ihrem Schutz zu verbergen. Wer immer den Südpark geplant hatte, er schien mehr an die Bedürfnisse von Junkies und Straßenräubern gedacht zu haben, als an die, erholungssuchender Familien.
Im Gebüsch vor ihnen raschelte es, die Blätter teilten sich, und zwei Jungen stolperten ins Freie. Sie waren sicher nicht älter als zehn und trugen grüne Uniformen, auf denen bunte Abzeichen befestigt waren. Der Vordere hielt einen Stock in der Hand, an dem ein roter Wimpel hing. Der Zweite hatte ein in Leder gebundenes Buch unter den Arm geklemmt.
„'n Abend“, sagte der Wimpelträger, ein feingliedriger Blondschopf. Neben ihm hüpfte ein dritter Junge aus dem Gebüsch, der eine übergroße Wasserspritze geschultert hatte. Überrascht sah der Nachzügler Hans und Schenk an, dann richtete er hastig die Spritze auf sie.
„Denk nicht mal dran, du Bengel“, sagte Hans mit aller Autorität, die er aufbieten konnte.
Der Junge zuckte zusammen und sah zum Wimpelträger hinüber.
Der schüttelte den Kopf. „Bitte entschuldigen Sie, Klaus ist immer ein bisschen nervös im Dunkeln.“
„'tschuldigung“, knurrte Klaus und ließ die Spritze sinken.
Schenk holte hörbar Luft.
„Könnt ihr Jungs mir mal verraten, wer ihr seid und was ihr nachts im Park verloren habt? Und erzählt mir nicht, ihr gehört zur lokalen Pfadfindergruppe. Ich weiß genau, dass es sowas hier nicht gibt.“
„Ich heiße Lesley“, antwortete der Anführer, „mein rothaariger Freund hier ist Jupp, und der Nervöse heißt Klaus.“ Die beiden winkten. „Wir kommen aus dem Westerwald und sind hier wegen dem Jamboree.“
„Hab nichts davon gehört“, brummte Schenk.
Hans nickte zustimmend. Er war nicht bereit, den Rotznasen zu trauen. Wer an diesem Ort nachts herumschlich und dabei so ruhig blieb, war zu allem fähig.
„Es ist so“, fuhr Lesley fort, „wir wohnen im Hotel –“
„Pfälzer Hof“, ergänzte Jupp, während sein Blick in dem alten Buch ruhte. „Eine privat geführte Pension, sauber und familienfreundlich. Rezeption rund um die Uhr besetzt.“
„Genau. Wir wollten nur etwas die Gegend erkunden. Ein kleiner Geländemarsch am Abend, Sie verstehen? Man muss in Übung bleiben.“ Der Junge lächelte entwaffnend.
„Das kannst du deiner Oma erzählen“, sagte Hans ungerührt. „Ihr kleinen Verbrecher habt bestimmt etwas vor.“
Schenk legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter. „Langsam, Kollege. Die Jungs scheinen doch ganz vernünftig zu sein. Schau sie dir an.“
Hans sah sie sich an: Drei Pfadfinder mit Seitenscheitelfrisuren, die versuchten, trotz ihrer ohnehin schon verschlagenen Jugendlichkeit, noch unschuldiger zu wirken. Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken. Ratten, dachte er, hinterhältige kleine Biester. Mich täuscht ihr nicht.
„Na siehst du“, sagte Schenk zufrieden, und zu den Kleinkriminellen gewandt, fuhr er fort: „Ihr Racker geht jetzt sofort und ohne Umwege zurück zum Hotel. Wenn ich euch heute Nacht noch einmal sehe, bekommt ihr mächtig Ärger. Verstanden?“
„Verstanden!“, bestätigte Lesley und salutierte. „Los Jungs, mir nach!“ Die Pfadfindertruppe marschierte an ihnen vorbei und verschwand im Dunkeln.
„Hngh!“, machte Hans, als er seine Zunge wieder spürte.
„Was?“
„Der Wimpel!“
Schenk warf ihm einen gelangweilten Blick zu. „Was ist damit?“
„Ich glaube, das war ein Steak.“
„Steak, ha ha.“ Der Polizeiobermeister schüttelte den Kopf. „Currywurst gibt's später, jetzt ist erst mal Arbeit angesagt.“
Hans überlegte, ob er auf die Verfolgung der Pfadfinder bestehen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Eigeninitiative und das freiwillige Eingehen von Risiken widersprachen seiner Lebensphilosophie. Außerdem weckte das Bild, des am Stock befestigten Fleisches, bei ihm unangenehme Erinnerungen an einen Besuch im Raubtierhaus. Deshalb brummte er nur zustimmend und setzte sich in Bewegung.
Die Mondsichel stand schmal und grau am Himmel. Die Stille nahm allmählich greifbare Form an. Sie schien sich in der Mitte des Parks an einem Punkt zu konzentrieren. Es war eine aggressive Ruhe, die Hans folgende Botschaft übermittelte: Hier gibt es nichts zu sehen. Glaub mir ... in deinem eigenen Interesse.
Gerade deshalb gelang es ihm nur mit Mühe, nicht den Blick auf die Stelle zu richten.
Schenk andererseits schien sich in einem Zustand seliger Unwissenheit zu befinden. Er hatte seinen Feierabendgang eingelegt und hielt die Taschenlampe nur noch auf den Weg gerichtet.
Hans begann sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass sein Kollege nicht nur deshalb immer noch ein einfacher Polizeiobermeister war, weil seine Vorgesetzten ihn unterschätzten ...
EIN DONNERSCHLAG riss Hans aus diesen Überlegungen. Lichter blitzten in einer entfernten Bauminsel, und eine Schockwelle blauer Funken raste durch die Luft. Automatisch zog er die Pistole und starrte geblendet in die mächtiger zurückgekehrte Dunkelheit.
„Was zum Teufel?“, fragte Schenk und rieb sich die Augen.
Schemen bewegten sich auf sie zu. Mehrere Stimmen waren zu hören und ein Zetern wie von einer wütenden Amsel, nur tiefer und mit einer unheimlichen Ausdruckskraft.
Hans bebte vor Angst. Er fühlte sich zwischen den Unbekannten und dem Zentrum der bedrohlichen Stille gefangen.
„Stehen bleiben!“, brüllte er und hob die Pistole über den Kopf, um einen Warnschuss abzufeuern. Etwas rutschte über seine Finger, gleichzeitig schien die Waffe leichter zu werden. Er sah nach oben und stellte fest, dass zwei Drittel der Heckler & Koch fehlten. Es wirkte, als hätten die Stahlmoleküle spontan beschlossen, nichts mehr miteinander zu tun haben zu wollen. Ein Lufthauch genügte, um den Staub davonzutragen.
Die drei Pfadfinder grinsten selbstgefällig. „'n Abend.“
„He, hab ich euch nicht ...!“, setzte Schenk an, der offensichtlich über zu wenig Fantasie verfügte, um die Zeichen zu deuten. Er griff nach dem Rothaarigen und bekam keine Chance, seinen Fehler zu bereuen. Ein Strahl aus der spritzenförmigen Waffe ließ ihn erstarren.
„Wir wollen niemanden verletzen“, sagte Lesley betont freundlich. Vor seinem Bauch hielt er eine große Seifenblase, in der die blaue Katze saß. Das Tier wirkte unzufrieden. Lustlos kaute es auf einem Fleischbrocken herum.
Hans ließ den Rest der Pistole fallen und hob die Hände. Immerhin: Es waren keine echten Jugendlichen, also konnte er auf so etwas wie Intelligenz und Mitgefühl hoffen. Mit dem Kinn deutete er auf das gefangene Wesen. „Euer Haustier?“, fragte er, um die Situation aufzulockern.
Lesley schüttelte den Kopf.
„Unser Bioreaktor“, sagte Jupp, nachdem er das allwissende Buch konsultiert hatte. „Sehr flüchtig ... äh, fluchterfahren.“
„Diesmal hätte ich es fast geschafft“, kommentierte die Katze.
Hans riss die Augen auf. „Eure Technik ist ja sehr seltsam.“
„Besser als eure fossilen Brennstoffe“, erwiderte Jupp beleidigt. „Mit ein paar radioaktiven Sardinen kommen wir sechstausend Lichtjahre weit.“
„Ich hasse Fisch.“ Die Katze schüttelte sich. „Davon bekomme ich Blähungen.“
Jupp seufzte. „Es gibt Probleme mit diesem Reaktortyp“, gestand er. „Dauernd geht er in den Hungerstreik oder flüchtet.“
„Gebt ihm doch radioaktive Steaks“, schlug Hans vor. „Fleisch scheint er zu mögen.“
Die Außerirdischen sahen ihn überrascht an.
„Bist du auch Ingenieur?“, fragte Lesley.
„Äh ... was?“
„Das ist genial!“
Jupp trat auf Hans zu, zog seine Hand zu sich herunter und schüttelte sie. „Das war inspirierend, Herr Kollege. Einfach und elegant.“ In seinem Mundwinkel zuckte es. „Ich wäre nie auf diese Lösung gekommen.“
„Wirklich?“, fragte Hans, der Spuren von Sarkasmus zu erkennen glaubte.
„Nein, nicht wirklich.“ Lachend marschierten die Rüpel an ihm vorbei, während sich ihr silbern leuchtendes Raumschiff auf der Wiese enttarnte. „Radioaktive Steaks! Wie steinzeitlich! Aber was soll man von einem Affen auch anderes erwarten.“

Letzte Aktualisierung: 26.04.2008 - 12.12 Uhr
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