Honigfalter
Honigfalter
Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das?
Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten-
Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Barbara Hennermann IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
April 2008
Ein Sommertag
von Barbara Hennermann

Die alte Uhr hinter dem Tresen zeigte weit nach 22 Uhr, als Doktor Alfred Sommer die TĂŒre der Kellerkneipe öffnete. Wie fast an jedem Abend kam er nach seinem anstrengenden Dienst im Krankenhaus hierher um ein wenig abzuschalten, bevor er nach Hause ging. Er hatte an diesem Tag drei große Operationen hinter sich gebracht und wusste seine Patienten auf der Station in guter Obhut. Er kĂ€mpfte sich durch die rauchgeschwĂ€ngerte Luft zum Tresen vor und bestellte ein kaltes Bier. WĂ€hrend er darauf wartete, ließ er seinen Blick durch das voll besetzte Lokal schweifen. Viele GĂ€ste hier kannte er vom Sehen, da sie wie er fast tĂ€glich kamen. An einem Tisch in der Ecke entdeckte er ein Gesicht, das ihm vertrauter erschien. Wer der Herr mit dem vollen grauen Haar dort wohl war? Vielleicht ein ehemaliger Patient? Doktor Sommer grĂŒbelte nach, wĂ€hrend er den ersten Schluck Bier mit Genuss durch die trockene Kehle spĂŒlte. Da fiel es ihm blitzartig ein: Diese ZĂŒge waren ihm seit seiner Schulzeit vertraut! Der Mann dort hinten in der Ecke musste Karl Alsfeld sein, sein Banknachbar aus lĂ€ngst vergangenen SchĂŒlertagen. Wie viele Jahre war das nun her? Alfred Sommer begann nachzurechnen. 25 Jahre, 30 Jahre? Dann fiel es ihm wieder ein: Genau 32 Jahre wurden es heuer, dass er und Karl das Abitur gemacht hatten. Eilig drĂ€ngte sich Alfred Sommer durch das GewĂŒhl der GĂ€ste zu dem kleinen Ecktisch durch. „ Hallo, Karl! Du bist doch Karl Alsfeld?“ Der Angesprochene blickte nach oben und schaute dem Arzt verwundert ins Gesicht. „Kennen wir uns?“ Dann huschte ein LĂ€cheln ĂŒber seine ZĂŒge, er sprang hoch und rief: „ Das kann doch nicht wahr sein! Alfred! Alfred Sommer! Was um alles in der Welt hat dich hierher getrieben?“ Die beiden MĂ€nner fielen sich in die Arme und klopften sich auf den RĂŒcken. Dann setzten sie sich beide an den kleinen Tisch. „Du fragst mich, wie ich hierher komme? Ich bin fast jeden Abend nach dem Dienst hier. Aber was machst du hier? Was ist ĂŒberhaupt aus dir geworden?“ Der Chirurg fasste den anderen am Arm. „ Los, jetzt erzĂ€hl mal!“ Karl Alsfeld lachte. "Immer langsam, mein Freund! Ich habe dich zuerst gefragt.“ Alfred gab nach und erzĂ€hlte hastig von seiner TĂ€tigkeit als Professor fĂŒr Chirurgie und von seinem Chefarztposten am hiesigen Krankenhaus. „Ich bin jetzt seit 6 Jahren in dieser Stadt“, schloss er. „ Aber nun schieß du endlich los! Was ist eigentlich aus dir geworden? Seit unserem Abitur damals habe ich von dir nichts mehr gehört.“ „ Dann bist du nicht sehr kunstbegeistert“, meinte Karl. „ Ich habe damals Kunst studiert, bin seit 10 Jahren Leiter der Kunstakademie in MĂŒnchen und zur Zeit dabei, in dieser Stadt eine Ausstellung meiner Portraits zu organisieren.“ Alfred staunte: „ Meine GĂŒte, dann musst du ja eine richtige BerĂŒhmtheit geworden sein! Entschuldige, aber du hast Recht, mein Beruf lĂ€sst mir kaum Zeit, mich mit den schönen KĂŒnsten zu beschĂ€ftigen.“ Die beiden MĂ€nner begannen, alte SchĂŒlergeschichten auszugraben, was bei beiden immer wieder von GelĂ€chter unterbrochen wurde. Endlich fragte Alfred: „ Und was treibst du so privat? Bist du verheiratet? Hast du Kinder? Ich selbst habe einen Sohn und eine Tochter, die aber bereits auswĂ€rts studieren.“ Das Gesicht des KĂŒnstlers verdunkelte sich. Langsam und nachdenklich begann er zu sprechen: „ Mir ist die große Liebe meines Lebens vor Jahren nur fĂŒr einen Tag begegnet. Aber ich habe sie nicht bekommen können. Willst du diese traurige Geschichte hören?“ Als der Arzt stumm nickte, fuhr er fort: „ Es ereignete sich ganz zu Beginn meiner Akademielaufbahn. Ich malte damals gerne Landschaften im Freien. Ich war in den Schwarzwald gefahren, um in der freien Natur zu lernen. Gleich nach meiner Ankunft durchstreifte ich die Gegend auf der Suche nach geeigneten Motiven. Schon bald hatte ich ein zauberhaftes Tal gefunden, durch das ein breiter Bach floss. Der nĂ€chste Tag war sonnig und warm, wie geschaffen fĂŒr meine Absichten. Ich packte meine Malutensilien ein und fuhr los. Die Stelle war wirklich traumhaft! Der Bach wurde von zwei kleinen Wehren etwas aufgestaut, die satte Wiese umrahmt von BĂ€umen und StrĂ€uchern. Das Bild schon im Kopf stellte ich meine Staffelei auf und begann mit der Arbeit. In diesem Augenblick kam eine junge Frau mit dem Fahrrad auf dem schmalen Feldweg herangefahren. Sie konnte mich nicht sehen, da ich etwas erhöht stand und von den StrĂ€uchern verdeckt wurde. Auch ich nahm sie zunĂ€chst nicht wahr, da ich ganz in die Arbeit vertieft war. Als ich zurĂŒcktrat, um meine Arbeit zu betrachten, entdeckte ich sie: Sie lag nackt in der Sonne und bot ihren Körper den wĂ€rmenden Strahlen dar. Verlegen rĂ€usperte ich mich. Sie hob den Kopf und schaute zu mir her. Flink und ohne die geringsten Anzeichen von Scham erhob sie sich und lief zu mir herĂŒber. Dabei schlang sie die Decke lose um ihren schönen Körper. Sie deutete auf mein halb fertiges Bild und fragte mit melodischer Stimme, den Kopf mit dem dunklen, kurzen Haar etwas zur Seite gelegt: „Sie sind wohl ein ausgebildeter Maler?“ Ihr unausgesprochenes Lob machte mich stolz, ihre NatĂŒrlichkeit und Schönheit bezauberten mich sofort. So fasste ich den Mut, sie zu fragen, ob ich sie als Nymphe in mein Bild malen dĂŒrfe. Sie lachte, lief zum Bach zurĂŒck und ließ die Decke fallen. Ich malte wie ein Besessener, um den Augenblick, wie sie leichtfĂŒĂŸig ĂŒber die Steine im Wasser stieg, möglichst genau auf meine Leinwand zu bannen. Als ihr kalt wurde, kletterte sie ans Ufer zurĂŒck und trocknete sich ab. In diesem Augenblick entdeckte sie hinter dem GebĂŒsch eine verwahrloste Gestalt, die Anstalten machte, sich ihr zu nĂ€hern. Meine schöne Nymphe stieß einen erschrockenen Schrei aus und wickelte ihr Handtuch fest um den nackten Körper. Der Landstreicher hatte mich so wenig gesehen wie ich ihn. Noch bevor ich eingreifen konnte, kam mit wildem Gebell ein großer Hund angerannt und schlug ihn in die Flucht. Hinter mir erschien eine verschwitzte Frau und fragte: „Ist alles in Ordnung? Ich habe einen Schrei gehört.“ Wir beruhigten sie und sie pfiff ihren Hund zu sich zurĂŒck. Dann setzten die beiden ihren Spaziergang fort. Inzwischen nĂ€herte sich auch ein Angler, der auf der anderen Seite des Baches nach Forellen geangelt hatte und ebenfalls durch den Schrei aufmerksam geworden war. Als er mein Bild auf der Staffelei sah, stellte er sich als KunsthĂ€ndler aus der benachbarten Stadt vor und fragte mich, ob ich ihm das Bild nicht verkaufen wollte. Ich aber war bereits so in mein unerwartetes Motiv verliebt, dass ich ablehnte. Mein Modell hatte sich in der Zwischenzeit hinter einem Busch angekleidet und kam nun zu mir herĂŒber. WĂ€hrend sie mir half, meine Malutensilien zu reinigen und einzurĂ€umen erzĂ€hlte sie mir, dass sie Kunststudentin sei und sich hier mit ihrer Schwester zu einem Kurzurlaub verabredet hĂ€tte. Wir unterhielten uns noch eine Weile, ihre NatĂŒrlichkeit und Anmut bezauberten mich immer mehr. So bat ich sie um ein Wiedersehen fĂŒr den nĂ€chsten Tag. Sie sagte es mir spontan zu. Als sie auf ihr Rad stieg und losfuhr, winkte sie noch einmal fröhlich zurĂŒck. Ich packte meine Sachen ins Auto und fuhr ebenfalls zu meiner Pension. Hinter der großen Kreuzung am Wald war ein großer Menschenauflauf, Polizei und Krankenwagen standen dabei und der Verkehr wurde umgeleitet. Am nĂ€chsten Tag wartete ich vergebens auf die unbekannte Schöne. Von meiner Pensionswirtin erfuhr ich dann die furchtbare Wahrheit: Beim Überqueren der Kreuzung war die junge Frau von einem Auto erfasst worden. Sie war sofort tot. Die Fahrerin des Wagens war ihre eigene Schwester, die gerade zum vereinbarten Treffpunkt fahren wollte. Als sie ihre Schwester auf der Straße liegen sah, erlitt sie einen schweren Schock und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Vom Tod der Schwester erfuhr sie erst nach Tagen, als sie selbst wieder ansprechbar war. Diese Geschichte hat mich so mitgenommen, dass ich mich seitdem nie mehr ernsthaft verliebt habe.“
Professor Alsfeld schwieg. Auch der Chirurg sprach lange Zeit nicht und blickte auf seine HĂ€nde, die er wĂ€hrend der ErzĂ€hlung immer fester ineinander verschlungen hatte. Dann hob er den Kopf und blickte dem ehemaligen Schulfreund gerade in die Augen. „ Wir wĂ€ren uns fast schon viel frĂŒher wieder begegnet“, meinte er und rĂ€usperte sich. „ Als du diese junge Frau kennen gelernt hast, war ich in genau diesem Ort im Schwarzwald Assistenzarzt am dortigen Krankenhaus. Ihre Schwester war meine Patientin. Wir haben uns so kennen gelernt und spĂ€ter ineinander verliebt. Nun sind wir schon lange verheiratet. Meine Frau hat den Unfall ihrer Schwester nie ganz verkraftet und fĂŒhlt sich noch heute an ihrem Tod schuldig.“ Stumm sahen sich die MĂ€nner an. Dann reichte Karl dem anderen die Hand. „ So ist mein UnglĂŒck irgendwie dein GlĂŒck geworden“, sagte er leise. „ Wie seltsam es doch manchmal zugeht auf der Welt.“ Alfred drĂŒckte die dargebotene Hand fest und meinte: „ Lass uns diese Geschichte zum Anlass nehmen, unsere Verbindung in Zukunft am Leben zu halten.“
Es war spĂ€t geworden. Alle GĂ€ste hatten das Lokal bereits verlassen. Die beiden MĂ€nner standen auf und gingen nach draußen. In der klaren Nachtluft verabschiedeten sie sich mit dem Versprechen, sich bald wieder zu treffen.
Am Heimweg ĂŒberlegte Alfred Sommer, wie sein Leben wohl verlaufen wĂ€re, hĂ€tte es diesen tragischen Unfall nicht gegeben. Er war sich noch nicht klar darĂŒber, ob er seiner Frau von der Begegnung mit seinem alten Schulkameraden wĂŒrde erzĂ€hlen können.

Letzte Aktualisierung: 02.04.2008 - 18.50 Uhr
Dieser Text enthält 9691 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.