Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
„Ich frage Sie, Heinrich Bertram Wächtersbach, wollen Sie die Ehe mit der hier anwesenden Antonia Katharina Beerenthal eingehen, so antworten Sie bitte mit Ja!“
Mehrfach redete Frau Hartmann, die Standesbeamtin, den Verlobten bei der Anmeldung vor der Hochzeit ins Gewissen, nicht ihr, sondern einander ewige Treue zu schwören. Deshalb empfahl sie den Blickkontakt zwischen den Brautleuten. Die Nennung seines kompletten Namens scheuchte Jimmy aus seiner Trance und machte ihn auf den entscheidenden Moment aufmerksam. Er schaute Anka tief in die Augen. Seine sonst eher laute Stimme brachte es nur leise hervor, aber dennoch hörbar:
„Ja.“
Ich frage Sie, Antonia Katharina Beerenthal: Wollen Sie die Ehe mit dem hier anwesenden Heinrich Bertram Wächtersbach eingehen, dann antworten bitte auch Sie mit Ja?“
Anka wartete mit in den Nacken geworfenem Kopf schon seit der ersten Frage auf diesen Moment und sah immer noch hinauf in Jimmys Gesicht, das ihn aus 54 Zentimetern Höhe schüchtern anlächelte. Anka Wächtersbach schien ihr immer noch gewöhnungsbedürftig, dennoch ging ein Ruck der Entschlossenheit durch ihren Körper.
„Ja ... von Kopf bis Fuß!“
Frau Hartmann schaute für eine Sekunde etwas strenger, hatte sie doch vorher noch gewarnt, sie dulde keinerlei scherzhafte Antworten oder dergleichen. Aber auch Ankas Antwort zeigte keinen Mangel an Deutlichkeit und so rundete sie den Verwaltungsakt ab, wie sie es zuvor schon mehr als hundert Mal getan hatte:
„Da Sie beide hier geantwortet haben, miteinander die Ehe eingehen zu wollen, erkläre ich Sie kraft des mir verliehenen Amtes als Standesbeamtin von Baden-Baden zu rechtmäßig verbundenen Eheleuten. Sie führen den gemeinsamen Ehenamen ... Wächtersbach.“
***
„Sendemast, 32, Gaggenau, sucht nahe gelegene Basis zwecks gemeinsamer Wellenlänge“.
Mit diesem schlichten Satz hatte Jimmy sich acht Monate zuvor auf der Internetseite www.ehe-garantie.de registriert und dem aggressiven Versprechen des Seitenanbieters nachgegeben, wonach dieser jeden auch noch so hoffnungslos scheinenden Fall glücklich machen könnte. Er glaubte zwar nicht so recht daran, dass über das weltweite Web sich ausgerechnet in der Nähe von Gaggenau eine Frau für einen Mann von 2,15 Meter finden ließe, aber er hatte genug erfolglose Versuche hinter sich, um auch diese 99 Euro zu investieren. Gerade mal drei Wochen später erreichte ihn eine kurze Botschaft:
„Basis an Sendemast: Beste Funkbedingungen herrschen am 14. August auf dem Baden-Badener Merkur im Gipfelrestaurant. Erkennungszeichen zum gemeinsamen Wellenbad: Ein Schwarzwald-Elch“
***
Wie draufgenagelt saß Jimmy auf einem der Plastiksitze in der Standseilbahn auf den Baden-Badener Hausberg und schaukelte dem vermuteten Höhepunkt seines Beziehungsstrebens entgegen. Die Knie beinahe auf Brusthöhe, stellte sich bei der eigentlich passenden Hose ein zwangsläufiges Hochwasser ein. In seinem Rucksack steckte der Schwarzwald-Elch, Erkennungssymbol des hiesigen Hörfunks. Die kesse Antwort der Basisstation hatte ihm gefallen und ihn neugierig gemacht. Trotzdem fühlte er seinen Puls im Hals schlagen, als er durch das kleine Fenster in der Eingangstür einen ersten verstohlenen Blick in das Restaurant warf und den Parallel-Elch zu erspähen versuchte. Keine Chance. Also griff Jimmy nach dem Knauf der Schwingtüre, holte noch einmal tief Luft und ging hinein.
Einige Dutzend Augenpaare sahen Richtung Eingangstüre und erfassten seine imposante Gestalt. Das kannte er, denn die meisten Räume musste er gebückt betreten und konnte sich dann erst wieder aufrichten. Seine Vogelperspektive ermöglichte ihm stets eine gute Aussicht und er ließ den Blick durch den Raum schweifen. An einem der Tische stand ein Rucksack auf dem Boden. Ein Plüsch-Elch lugte mit dem Kopf heraus. Jimmy fuhr mit seinem Blick auf ihn zu wie mit dem Zoom einer Kamera und zuckte leicht. Hatte der Elch ihn gerade angezwinkert? Er rüttelte sich selbst zur Wachsamkeit auf und ging mit gemessenem Schritt in Richtung Rucksack.
„Hallo Basis!“
Die junge Frau löste ihre Augen von der Zeitschrift und sah einen schlägerschwingenden Golfer, der, auf ein schilfgrünes Sweatshirt appliziert, seinen schon außer Sichtweite scheinenden Ball verfolgte. Sie lehnte sich weiter im Stuhl zurück und drückte den Kopf bis an die Bewegungsgrenze zurück.
„Wie?“
Jimmy irrte mit dem Blick zwischen dem Wuschelkopf und den flackernden Augen hin und her. Die verdrehte Haltung der aus Froschperspektive zu ihm Aufsehenden ließ ihn schmunzeln, gleichzeitig irritierte ihn die Gegenfrage.
„Ach, Moment, ich hab ja was vergessen“, murmelte er und öffnete seinen Rucksack. Als der Schwarzwald-Elch zum Vorschein kam, huschte auch über das Gesicht der Frau ein Lächeln.
„So so, noch ein Elch, der heute einen Ausflug macht. Und jetzt?“
Jimmy hatte sich das einfacher vorgestellt. Wenn er nachts von einem Blind Date träumte, dann war er dabei immer schon einen Schritt weiter und tanzte mit seiner frischen Liebe in Zeitlupe durch eine sommerliche Blumenwiese. Nun stellte sich der Aufprall in der Wirklichkeit als hart heraus. Er öffnete den Mund und holte Luft, blickte hektisch von einem Elch zum anderen.
„Ich dachte, ... nein, ich meine ... äh, was denken Sie zum Thema Wellenlänge?“
„Aus meiner Sicht unmöglich, eine gleiche zu entwickeln, wenn wir uns nicht wenigstens in der Mitte treffen und Du Dich erst einmal setzt. Wenn wir uns so unterhalten sollen, dann fahr ich von hier anschließend gleich zum orthopädischen Notdienst.“
Jimmy lachte, zog schnell den Stuhl zurück und setzte sich. Seinen Rucksack setzte er neben dem Tisch ab. Die beiden Elche hatten unter dem Tisch Blickkontakt, Jimmy und die junge Dame oben.
„Ich bin der Jimmy.“
„Freut mich, ich heiße Anka.“
***
„Bodenkontrolle an Ausguck: Wie sind Ihre Koordinaten?“
Anka rief aus der Küche Richtung Arbeitszimmer. Auch wenn die Kosenamen nicht ganz zum Gesprächsstil passten, fand sie doch immer wieder Freude an dieser Art Funkverkehr.
„Ausguck an Bodenkontrolle: Der Anflug auf das Esszimmer ist eingeleitet. Landung in zwei Minuten.“
„Roger, Ausguck. Bitte vermeiden Sie Verzögerungen. Bereiten Sie sich auf Catering und Treibstoffaufnahme vor und halten Sie Funkkontakt!“
„Ok, Bodenkontrolle. Verzögerungen sind nicht zu erwarten. Das Fahrwerk ist bereits ausgefahren“, setzte Jimmy den Wortwechsel fort und schlurfte in Richtung Esszimmer.
Der Tisch war festlich gedeckt und während er noch überlegte, ob er im Jogginganzug angemessen gekleidet war, schwebte Anka mit einem arabischen Lammauflauf herein. Jimmy wollte sich setzen, wurde aber von Anka gebremst.
„Bodenkontrolle an Ausguck: Kritische Windverhältnisse machen einen besonderen Anflug erforderlich. Gehen Sie davon aus, dass Sie von meiner Airbase in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr werden starten können. Sind Sie auf einen dauerhaften Aufenthalt eingestellt?“
Jimmy schwebte in leicht gebückter Haltung ungefähr zehn Zentimeter über dem Stuhl, richtete sich dann aber wieder auf.
„Ausguck an Bodenkontrolle: Verifizieren Sie Ihre Ansage. Botschaft wurde nicht verstanden.“
„Mensch Ausguck, Sie haben aber eine langsame Frequenz erwischt. Die Bodenkontrolle will sie heiraten und wird Ihnen an diesem Tisch nur Landeerlaubnis erteilen, wenn Sie bestätigen.“
Er blieb stehen und überlegte kurz. Dann setzte er sich und hob einen großen Löffel des Auflaufs aus der Form.
„Ausguck an Bodenkontrolle: Mein Adapter für andere Frequenzen ist erfreulicherweise defekt. Stellen Sie sich bitte auf dauerhaften Funkverkehr ein!“
***
Jimmy saß an seinem Computer und las die ganzen Mails, die während der Hochzeitsreise eingetroffen waren. Er blickte auf die älteste Mail im Posteingang. Sie datierte vom 15. August vor vier Jahren. Bis jetzt hatte er sie nicht gelöscht. Anka trat von hinten heran und blickte ihm schmunzelnd über die Schulter.
„Hallo Sendemast, hier Basis. Hab es gestern nicht geschafft. Eine gute Freundin war voll in der Krise und brauchte meinen Beistand. Erbitte neue Datenvorgabe für ein Meeting auf dem Merkur.“
„Ich glaube“, sagte Jimmy, „die können wir jetzt löschen, oder?“
„Bodenkontrolle bestätigt. Mein Neffe spielt immer noch mit dem Elch, den ich für ihn besorgt hatte. Das langt als Erinnerung!“
Letzte Aktualisierung: 13.04.2008 - 15.40 Uhr Dieser Text enthält 8359 Zeichen.