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Mai 2008
In Hollywood
von Tanja Muhs

„Stolz sind wir auf unsere Heimat, und wir sind es zurecht.“
Mayor Hommeys Blick schweifte über die Menschenmenge, und dass sein Auge dabei zuckte, lag nur bedingt daran, dass ihn Itchy Wrights Herumgezappele irritierte, der in der ersten Reihe direkt vor ihm stand. Heiß brannte die Sonne auf des Bürgermeisters Glatze, als er mit seiner Hand an den Kärtchen in seiner Hosentasche fingerte, auf denen seine Rede notiert war. Das dezente Hüsteln seines Sekretärs Hector „Fruity“ Finney ließ ihn in seiner meditativen Geste innehalten, bevor er, jetzt mit ausladender Bewegung beider Hände, fortfuhr:
„So lasst uns nun zu Ehren unserer Gäste mit dem kleinen Umtrunk beginnen.“
Begleitet von dem Applaus der 136 ½ Händepaare verließ Hommey das Rednerpodium und raunte Fruity zu: „Na, war ich gut?“ Finney nickte heftig.
„Hast du sie beobachtet?“ Finney kam jedoch nicht mehr dazu zu antworten, denn sie hatten bereits hinter dem Rücken des Bürgermeisters Stellung bezogen. Sie, das waren Mark Gable und John Taylor von „Entertainment Today“.
„Mayor Hommey, großartig. - Lass einfach laufen, Taylor.“ Gable reichte dem Bürgermeister die Hand, während er mit der anderen vor Taylors Kamera hin- und herwedelte. Hommey antwortete nicht, starrte stattdessen auf die Hände des Reporters, als wäre ihm nicht bewusst gewesen, dass modebewusste Männer zur Maniküre gingen. Also fuhr Gable schnell fort: „Sie haben ja nichts dagegen, Mayor, nicht wahr? Wir schreiten gleich zur Tat. Nur so werden Ihre Antworten authentisch. – Nun denn, wir sind heute in Ihrem kleinen Städtchen Hollowbrook Mills zu Gast, um unseren Zuschauern im Rahmen unserer Reihe Zuhause in unserem schönen Land- Zuhause auf dem Land über Ihre schöne Stadt zu berichten. Was können Sie uns über ihre verträumte Enklave erzählen?“
„Äh...ähm...äh...nun ja... Ich weiß nicht.“ Hommey fuhr sich über seinen blanken Kopf, als wären ihm spontan Haare gewachsen, die er nun im Angesicht der laufenden Kamera in Ordnung bringen musste.
Gable lächelte, aber seine Stimme klang ungehalten. „Sie könnten uns zum Beispiel erzählen, wie viele Einwohner hier leben.“
„Ähm, mhm, also, es sind 137.“
Als Hommey Gables spöttisches Lächeln sah, fügte er schnell hinzu: „Natürlich waren es mal mehr, aber die Jungen sind alle geflohen, in die Stadt abgewandert. Haben es hier nicht mehr ausgehalten. Landflucht, keine Karrierechancen. Wir haben nur unsere Felder und unser kleines Diner.“ Bei den letzten Worten hatte Hommey, eingedenk der Winzigkeit besagten Etablissements, das für Großstädter wahrscheinlich gar nicht in die Kategorie Restaurant fallen würde, angedeutete Anführungszeichen in die Luft gemalt.
„Taylor, schwenk mal rüber in die Menschenmenge.“ Gable verzog sein faltenloses Gesicht zu einer Grimasse, bevor er fortfuhr: „Also, Mayor, erzählen Sie uns wie es Sie hierher verschlagen hat. Sie waren nicht immer in der Politik, richtig?“
„Nein, ähm, nachdem ich viele Jahre Vorstandsvorsitzender der Detroiter... verzeihen Sie, interessiert das die Zuschauer wirklich?“
Der Reporter grinste ölig. „Lassen Sie die Fragen ruhig meine Sorge sein. Menschen wollen in andererleuts Schicksale eintauchen, Hommey! Das reißt sie aus ihrer Lethargie, das lässt sie ihren alltäglichen Scheiß vergessen. Schein und Sein, Mayor. Was man sieht: einen kleinen Ort mit drei Äckern, einem Marktplatz, zwei Stores und einem Diner. Was dahinter steckt: Heimat! Die Heimat 137 aufwühlender Schicksale!“
„Ich weiß nicht, aber wenn Sie meinen. Sie sind ja vom Fach. Nun gut, nachdem ich viel Zeit mit großen Männern der Wirtschaft verbracht habe, stand mir der Sinn nach etwas ländlicher Ruhe. Da meine Gattin von hier stammt, sind wir hergekommen, um die Farm ihres Onkels zu übernehmen. Ich bin ja kein Farmer, wissen Sie, aber die Arbeit auf den Feldern, der Umgang mit den Tieren, das hat schon was Meditatives.“
„Hey, Hommey, stell uns vor! Ich hab noch nie welche aus Hollywood live gesehen.“ Itchy Wright war auf sie zugelaufen gekommen, seinen rechten Arm zur Begrüßung ausgestreckt. Gable starrte darauf, seine eigene Hand blieb in der Luft hängen, während er auf Itchy glotzte, der vor ihnen hin- und herzappelte. “Kommen Sie schon, schütteln Sie ruhig. Das ist nur das Jucken. Nicht ansteckend. Vietnam, Sie verstehen? Seitdem lässt es mich nicht in Ruhe, dieses Jucken im rechten Zeigefinger.“
„Aber Sie haben keinen...“
„Nein, nein, sag ich ja, der ist in Vietnam geblieben, aber trotzdem juckt er wie Hölle! Das zuckt durch den ganzen Körper, sag ich Ihnen, wenn man nicht kratzen kann.“
„Phantomjucken“, kam Finney Gable halblaut zur Hilfe.
„Ach, Fruity, dafür muss ich mich nicht zu schämen, brauchste nicht halblaut zu sagen. Sags ruhig laut: Itchy Wright juckt die rechte Tatze, auch wenn die Tatze anderswo liegt als der alte Itchy selbst.“
„Sie heißen Fruity....?“ Gable schien dankbar, ein anderes Thema gefunden zu haben, als Itchys dermatologisches Kriegstrauma. „Sind Sie etwa...?“
„Nein, nein, ich esse gern Früchte, deswegen der Spitzname.“
„Und Sie sind wirklich nicht...?“
Finney schüttelte den erröteten Kopf. „Aber, nein, ich bin doch verheiratet - mit einer Frau... .“
Gable warf einen blinzelnden Blick zu Taylor. „In Ordnung, Mayor, wir haben genug gesehen. Wir müssen los, die Zeit rennt!“
„Meinen Sie wirklich...?“
„Aber ja, aber ja, wir haben ein Auge für das Wesentliche. Das haben wir gesehen. Schalten Sie heute Abend um 5 auf Kanal 5. Kanal 5 um 5- das ist unser Programm.“ Er verabschiedete sich mit einem Wedeln der manikürten Hand, bevor er auf den Helikopter zueilte, der bereits den Rotor angeworfen hatte.
Itchy gluckste. „Ist irgendwie irre, aber wisst ihr, an wen der Typ mich erinnert?“
Hommey hob seine Hand, um sich damit den Schweiß von der Glatze zu wischen, hielt inne, starrte darauf, murmelte: „Manikürte Hände...“, wusste aber nicht so recht, was er mit dieser Information anfangen sollte. Finney sagte schließlich: „Ja, ja, das macht man wohl so in Hollywood.“

„Ruhig, Leute. Psst.“ Wo Hommey Mühe hatte, die Aufregung der 137 Einwohner im Zaum zu halten, schaffte der Vorspann es mühelos.
Kanal 5 um 5- das ist unser Programm. Ein neuer Teil unserer beliebten Reihe von und mit Mark Gable. Heute: Home, sweet home, Hollowbrook Mills.
Eine Bildersequenz- Nolans Acker, Griffins Acker, Liz, das Muli auf Gregorys Wiese, Peters Acker unterm Sommerhimmel. Cut.

Der Gemeindesaal applaudierte tobend.
Weitere Impressionen, untermalt von leichter Klaviermusik - Die Main Street mit Drugstore, St. Matthew’s Church am Ende der Straße. Cut und Schwenk auf Mark Gable, der die Hauptstraße hinunter schlendert, ein Mikrofon in der Hand. “Guten Tag, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, zu einer neuen Ausgabe unserer Reihe. Heute sind wir zu Gast im kleinen Städtchen Hollowbrook Mills, einem 137-Seelen-Örtchen, benannt nach dem Flüsschen Hollow.“
Wieder Bilder, unterlegt mit Gables Stimme. “Na, was denken Sie? Ein heimeliges Plätzchen Erde, oder?“ Wechsel der Musik ins Dramatische, wieder Cut und Schwenk auf Gable mit manikürter Mikrofonhand. „Aber da täuschen Sie sich!“

Irgendwo im Gemeindesaal kratzte ein Stuhl über den Holzboden, ansonsten Totenstille.
Gable:“ Hinter der Fassade verträumter Ländlichkeit- ein Natternnest! Ein Sodom, das den guten Lot zur Salzsäule hätte erstarren lassen! Sexskandale in höchsten Ämtern, sexuelle Perversion der schlimmsten Art, Zwangsprostitution Jugendlicher! Im Mittelpunkt?“ Eine Nahaufnahme Hommeys, dessen Rechte in der Hosentasche hantiert. „Mayor Gregg Hommey, der ehemalige Vorstandschef eines großen Automobilwerkes. Na, hätten Sie diesem Mann so etwas zugetraut?“ Gables Stimme aus dem Off, dazu das verschwitzte Gesicht des Bürgermeisters: „Sie pflegen also eine sexuelle Beziehung zu Ihrem Sekretär?“ Hommey: „Äh...ähm...äh...ja...“ Cut, Finneys hochroter Schüttelkopf und Schwenk auf Itchy: „Ach, Fruity, nicht schämen.“ Wieder Gables Stimme: „Doch der Mayor scheint sich nicht nur mit seinem Sekretär zu vergnügen, wie er unverblümt einräumt!“ Cut und Hommey: „Also, nachdem ich viel Zeit mit großen Männern der Wirtschaft verbracht habe, stand mir der Sinn nach Tieren. Das hat schon was.“ Dazu wieder ein Bild von Liz, dem Muli. Cut, Cut, Cut, Bilder des Bürgermeisters, Gables Stimme: „Und auch vor unverdorbenen Jugendlichen wird nicht halt gemacht... .“ „Die Jungen sind alle geflohen, haben es hier nicht mehr ausgehalten. Keine Karrierechancen hier außer...“ Cut und Schwenk auf ein unscharfes, rot blinkendes Schild, dann wieder Hommey, der Anführungszeichen in die Luft malt „...unser kleines Diner.“ Nun Bilder von Itchy, Gables Stimme: „Schauen Sie sich diese exklusiven Bilder an!“ Cut und Schwenk auf sich bewegende Rotorblätter, Gable, der auf den Helikopter zueilt und Cut und Schwenk auf Itchy, der sagt: „Schütteln Sie ruhig. Das ist nur das Jucken. Nicht ansteckend.“ Gables Stimme: „Sie können sich denken, welches Angebot uns dieser Herr hier unterbreitete! - Urteilen Sie selbst: Würden Sie das hier Ihr Zuhause nennen wollen? Ich nicht!“ Dann die Schlussmusik.

Schweigen, bis Itchy sich vom Stuhl erhob.
„Vielleicht solltest du ihn wegen Rufschädigung verklagen, aber ich würds nicht tun. Der arme Kerl ist schon gestraft genug.“
Alle Augen waren auf Itchy gerichtet, der vor Lachen glucksend dastand und dem
Mayor auf die Schulter klopfte, als dieser seine Hände vor das Gesicht schlug.
„Mit Händen kenne ich mich aus, eben weil ich nur noch eine von diesen wertvollen Dingern habe... Verdammt einsam muss das sein in Hollywood. - Dieser Gable, denk ihn dir 70 Kilo schwerer, vor Fettabsaugung und Facelifting, anderer Name.“
„Mein Gott, Bobby Wilder“, rief Hommey, „der Farmarbeiter mit der abendfüllenden Handpflege!“
„Der, der sich hier so heimisch fühlte, der, den du aus der Stadt verjagt hast nachdem... Liz... armes Tier, blutete noch Tage danach. - Stolz sind wir auf unsere Heimat, nicht wahr? Wir sind es zurecht, und wir werden es bleiben.“

Letzte Aktualisierung: 22.05.2008 - 11.26 Uhr
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