Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Mai 2008
Die Flucht
von Bernd Kleber

Sie sah ihren Bruder entsetzt an und fragte: „Wie viel Miete zahlt ihr?“ Er antwortete treu blickend: „980 Euro“ „Aber dann könnt ihr euch doch ein Haus für das Geld leisten und kauft euch dann den Wunschhund.“ Er sah sie nachdenklich an, dann seine Partnerin. Diese machte ein erfreutes Gesicht und wiederholte: „Ja, einen Hund möchte ich haben, einen Kurzhaar“
Nach diesem Gespräch verbrachten Rainer und Regine viel Zeit an den Wochenenden damit, sich durch fremde Häuser zu bewegen. Sie machten sich daraus eine Art Wochenendhobby. Sie besahen Häuser so unterschiedlicher Art, dass sie schon nach kurzer Zeit sehr erfahren waren, im Besichtigen und darin, gezielt Fragen zu stellen. Sie hatten sich ein raffiniertes Rollenspiel ausgedacht. Rainer war der harte Böse und Regine die weiche Bejahende. Während Rainer an allem rummoserte und gezielt nach Heizung. Nebenkosten und letzter Modernisierung fragte und dabei immer die Stirn in nachdenkliche und missmutige Falten legte, war Regine die erfreut kichernde Jasagerin. Das funktionierte sehr gut, denn die Makler oder Hausbesitzer erkannten schnell die scheinbaren Fronten und verhandelten mit dem „harten Brocken“ Rainer, während Regine aus Freude schon einrichtete und kund tat: „Hier könnte der große Sessel stehen, hier der Tisch“
Wieder waren sie zu einer Hausbesichtigung in der schönen Siedlung am Müggelwald angekommen. Die Sonne war dabei den Horizont zu küssen, die Kieferkronen leuchteten wie im Feuerschein.
Sie wanderten durch das, mit rotem Abendlicht, erhellte Haus. Ihre einstudierten Mienen, die eines Pokerspielers und die einer zu allem bereiten Konsumentin, machten der Maklerin Sorgen. Diese trottete, Zurückhaltung signalisierend, hinterher. Das Paar kam in das helle große Zimmer mit den schönen Panoramafenstern, die einen herrlichen Blick ins Grüne offerierten. Rainer stand neben Regine und zischelte durch die Zähne: „dat will ick.“ Sie räusperte sich und hauchte ein sehr undeutliches: „ Ja, geil“
Sie schritten weiter über Parkettböden, über Marmorfliesen, alles in diesem von außen so unscheinbar wirkendem Haus, am Rande der Natur. Sie fühlten vom Anderen förmlich die angespannte Begeisterung. Sie wollten sich nichts anmerken zu lassen. Sie lieferten der Maklerin keine zusätzlichen Argumente, sondern signalisierten coole Gelassenheit.
Beide wendeten sich der Immobilienfachfrau zu. Rainer sagte: „Wir melden uns bei ihnen, wenn ihnen Recht ist.“
Darauf antwortet die Mittfünfzigerin ein wenig resigniert: „In den nächsten vierzehn Tagen bin ich in Paris, ich kann mich danach erst wieder um alles kümmern, also lassen sie sich Zeit.“

Exakt vierzehn Tage später saßen die beiden Haus- und Hundinteressenten zu Hause und reichten sich ständig das Exposee hin und her, als wäre es eine unverschämte Rechnung. Rainer sagte: „Ich hab´s, ich sage ihr einfach, wenn sie auf ihre Provision verzichtet, können wir es uns leisten. Wir haben eben nicht mehr als 175...“
Regine lachte: „Dann springt sie dir ins Gesicht.“ „ Ich werde es genau ausrechnen, verschiedene Hauskaufsummen immer auf Kosten ihrer Provision, dass nie mehr als 175 rauskommen, mal sehen, ob sie es durchschaut.“
Er griff zum Hörer und rief die spröde Dienstleistende an: „Guten Tag, wir interessieren uns für das Haus, aber...“, hörte Regine noch. Nach dem Telefonat hatten sie einen neuen Termin im Haus, Details zu besprechen.

Bei dem Treffen stellte die Maklerin ihren Begleiter, als ihren Lebenspartner vor, der schon viele Jahre im Immobilienhandel tätig sei. Das junge Paar dachte sofort, dass der die Geheimwaffe der unsicheren Verkaufskraft, beim Kampf um Konditionen und Argumente sein würde und blinzelte sich ungesehen zu.
Rainer holte seine Tabellenkalkulation heraus und präsentierte sachlich und kühl, verschiedene Kaufsummen aber immer ins Verhältnis unterschiedlicher Provisionshöhe gesetzt. Dabei kamen nie mehr als 175000 zusammen, was aber nicht deutlich von ihm gesagt wurde. Regine hatte den Eindruck, dass die Beauftragte platzen würde, sie wurde rot und sagte dann: „Ich verzichte doch nicht auf meine Einnahmen.“ Ihr Partner beschwichtigte sie und zählte nochmals alle Vorteile der Immobilie auf. Die Wütende meinte abschließend: „Ich werde mit der Besitzerin nochmals reden, ob ein Nachlass im Preis drin ist und mich melden.“
Wieder in deren Wohnung sagte Rainer: „Warte ab, das Haus steht schon lange leer, wir haben heute gewonnnen.“
Einige Tage später kam der ersehnte Anruf: „Hören Sie, die Besitzerin ist bereit, zu ihren Bedingungen zu verkaufen.“
Regine und Rainer stieĂźen mit Sekt an und freuten sich, es erreicht zu haben.

Nun waren sie das erste Mal mit ihrem jungen Hund und einigen kleinen Gegenständen im leeren Haus. Den Schlüssel hatten sie frisch erhalten und wollten hier übernachten, um am Folgetag zu Malern. Ihr Auto hatten sie umständlich in die Garage gefahren, denn wozu hatte man diese sonst. Aber üben müsste man das noch. Einige Male waren sie mit ihrem Wagen vor und zurück gestoßen, ehe Rainer sich aus der Tür quetschen konnte.
Eine groĂźe Doppelluftmatratze lag jetzt vor dem Kamin, der kleine Fernseher nebst Receiver stand auf ihm. Sie fĂĽhlten sich wie GroĂźgrundbesitzer in ihrem Palast und tranken Wein. Regine hatte eine Kerze in den Kamin gestellt, die das herrschaftliche Feuer zu spielen hatte. Das tat das kleine schwache Licht sehr drittklassig.
Der Hund lag ausgestreckt neben der Liegefläche auf dem Parkettboden. Es schallte jedes Geräusch in den leeren Räumen verstärkt nach. Beide lagen auf dem luftgefüllten Gästebett, besprachen Einrichtungsfragen und träumten von ihrem kommenden beschaulichen Leben im eigenen Reich. Es wurde Zeit, zu schlafen, denn am nächsten Tag wollten sie früh mit dem Renovieren beginnen.
Rainer schaltete das Licht aus und sah ins Nichts... man konnte die Hand vor Augen nicht sehen. Als Stadtmensch war er diese Finsternis nicht gewöhnt. Regine meinte: „Boah, ist das dunkel, meine Güte. Und irgendwie fühle ich mich beobachtet. Ich trau mich gar nicht zum Fenster zu sehen. Sollen wir nicht lieber noch die Jalousien herunter lassen?“
„Was soll denn da sein, und sehen kann man so oder so nichts?“, stellte Rainer fest, der unruhig mit den Augen gegen die Finsternis anrollte. Er dachte, dass er sich doch mal an diese gewöhnen müsse.
Es war aufreibend ruhig. Atemgeräusche. Sonst kein Auto, kein Geräusch, nur der Hund schnarchte. Hin und wieder knarrte die Luftmatratze bei einer Bewegung der Beiden. Rainer starrte wie ein Blinder unkontrolliert ins Nirgends. Die Finsternis schlug Blasen in dem, in Weite gerichteten Blick. Gebilde roter und grüner explodierender Kreise. Die Stille rauschte unerträglich in den Ohren.
Plötzlich, ein lautes klopfendes Wummern, als wenn jemand mit der Faust gegen die Wand hämmerte. ´Spinnen die?`, dachte Rainer, ´um diese Zeit solchen Lärm zu machen` und hielt die Luft an, als ihm klar wurde, dass dort keine Nachbarn waren. Sie waren schließlich allein in dem Einfamilienhaus, davon war er jedenfalls ausgegangen. Sein Herz schlug sofort bis an die Schläfen. Im Kopf hörte er den Takt seines laut hämmernden Pulses. Der schrie „Alarm“ und „Flucht“ in diesem Takt. Lauschend machte er keinen Atemzug, wodurch das Pulsieren unerträglich lauter wurde. Nach wenigen Sekunden flüsterte er: „Mensch Ginnie, hast du das auch gehört?“ Sie leise zurück: „Ja, veralberst du mich? Das warst du doch!“ Er setzte sich auf und tastetet nach dem Lichtschalter der Lampe und sah zum Hund, der sie anblinzelte, als wollte er sagen: `ist hier bald mal Nachtruhe?`
Regine und Rainer sahen sich an, als sie feststellten, dass der Hund zu weit von der Wand entfernt lag, um auch nur annähernd so ein Geräusch verursacht zu haben. Sie fingen an zu lachen, lachten wie Kinder, denen das Ausreißen vor einer fremden Clique gelungen war.
Regine fragte erneut eindringlich: „Rainer, sag jetzt die Wahrheit, Du warst das eben!“ Rainer sah sie mitleidig an, die Stirn in Sorgenfalten gelegt.
Da sprangen beide wie auf Kommando hoch, der Hund nun mit ihnen, um sie herum wedelnd. Sie zogen sich an, wie nach dem Auslösen eines Feueralarms, stolperten fast beim Schlüpfen in die Hosenbeine und hopsten dabei einbeinig zu den Schuhen.
Sie schnappte den Rucksack, er den SchlĂĽssel, man machte im Garten Licht, sie griffen ihre Jacken, schlossen die Garage auf, leinten den Hund an...

Als sie nach einigen Minuten Autofahrt die Innenstadt erreichten, die Straßenbeleuchtung und Neonlichter der Großstadt sie empfingen, den Autoverkehr bewusst wahr nahmen, entspannten sie endlich. In ihrem Hauseingang des Mietshauses hörten sie den Partysong aus dem ersten Stock und hätten mitsingen können, als Regine zu Rainer sagte: „Wir sind zu Hause!“

Letzte Aktualisierung: 26.05.2008 - 19.23 Uhr
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