Das alte Buch Mamsell
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Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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Mai 2008
Home on the range
von Hajo Nitschke

Pulverdampf in der Luft! Anvisieren über Kimme und Korn. Schießen, Laden, Schießen! Den Feind im Kugelhagel niederhalten. Nur nicht die Deckung vernachlässigen! Hingeduckt hinter den toten Leib des treuen Pferdes. Hat zum Glück nur kurz leiden müssen. Mittagssonne. Gnadenlos brennt sie vom wolkenlosen Himmel .Die riesigen Hickorytrees haben Stadt und Land den Schutz ihres Schattens versagt. Auch Tombstone, dem kleinen Minenstädtchen im Südosten Arizonas. Dünner Schweißfilm rinnt in spähend bohrende Augenschlitze. Ein leichter Windstoß bringt keine Kühlung. Wirbelt Staub auf wie Schemen, dort vor dem Saloon gegenüber. Dessen Schwingtüren sind geschlossen. Alle Einwohner haben sich in die Häuser an der Mainstreet zurückgezogen. Beobachten mit angehaltenem Atem die Szene an den Gattern des OK-Corrals. Schweres Gefecht. Wird er es noch einmal schaffen? Die Übermacht der Gegner ist erdrückend.

Welch heimtückisches Gesindel, diese Clanton-Bande! Versteckt sich feige hinter der Wells-Fargo-Linienpostkutsche! Aber er ist Wyatt Earp! Mit dem ganzen Können eines legendären Marshalls. Und er hat seine doppelläufige Winchester. Ruhig liegt das Gewehr in seiner Faust. Recht und Gesetz sind auf seiner Seite! Wo nur Doc Holliday bleibt! Ohne dessen vertrautes trockenes Husten in seiner Nähe ist er ungewohnt zögerlich. Egal, Wyatt ist berühmt für seinen stählernen Willen. Die dadrüben sind Abschaum, dessen Kugeln allerdings zunehmend gefährlicher in den Pferdekadaver einschlagen. Er wird auf den Doc nicht länger warten. Sie wollen sich nicht ergeben? Gut, dann wird er jetzt ein Ende machen. Wird einen seiner Überraschungsvorstöße hinlegen. Na wartet! Damit werdet Ihr nicht rechnen! Alle Sehnen gespannt. Adrenalinstöße! Noch einen Blick auf den Marshallstern an seiner Brust. Kurzes Streicheln über das Fell des toten Freundes (nein, er wird ihn nicht zum Abdecker geben, wenn dies alles vorbei ist). Ein letzter prüfender Blick auf den Doppellauf des Gewehres. Tief durchatmen – und losspurten! Wie ein Orkan über das Corral-Gatter hinwegfegen! Lauf um dein Leben, Wyatt! Du trägst den Stern! Du bist Recht und Gesetz! Brich unerwartet wie das Jüngste Gericht über sie herein, und wehe ihnen!

In diesem Augenblick öffnet sich die Saloontür. Jemand – nicht Doc Holliday - verlässt Uetersens kleinen Friseurladen, steigt in die Postkutsche und fährt den großen Lieferwagen einfach weg! Kann doch nicht wahr sein! Enttäuscht, weil ohne Deckung, gibt die Clanton-Bande auf. Maulend trollen sich Horstchen und Peter zu ihm herüber. Auch er hat jede Lust verloren. Gibt dem Fiffi einen Klaps. Der streckt und schüttelt sich, froh, dem langweiligen Scheintod entronnen zu sein. Wurde auch höchste Zeit, es juckt ihn arg. Hat es auch sonst kaum noch ausgehalten. Er hebt sein Bein am riesigen Hickory, der allerdings einem Fliederstrauch in Krögers Vorgarten verdächtig ähnelt.. Blickt auf zum Marshall. Vielleicht eine kleine Belohnung? Doch der zuckt nur die Schultern. Steckt Mutters Weihnachtsstern ein und verschwindet durch das Gatter des kleine Gartentörchen nach Hause, ein Stück die Moltkestraße hoch.. Bindet unterwegs den Besenstiel vom langen Teppichklopfer ab. Gehört beides ebenfalls Mutter. Die Kirchturmuhr hat bereits geläutet: Essenszeit! Mutter besteht auf Pünktlichkeit. Und auf ihr Eigentum. Mutter? Also, eigentlich nicht so ganz!

Sie sitzen am Mittagstisch. Junge iss noch du brauchst das wofür hab ich mir die Arbeit gemacht wie war es heute ach ja bring uns nachher ’ne Kanne Milch mit und dass du mir bloß nicht mit Henry spielst du weißt was Herr Lehrer Korthals über ihn sagt! - Sie hat vergessen, dass Henry ja tatsächlich Doc Holliday heißt. Vom Norden hierher gekommen, um seine Lungen-TBC auszukurieren. Längst sein Partner im Kampf. Nein, sie hat ein wenig den Überblick verloren, seine Mattie. Das Opium! Schlimmer als seine eigene Abhängigkeit. Aber er hat den Alkoholteufel in den Griff bekommen, nur Mattie bereitet ihm Sorgen. Ihre Beziehung ist nach so vielen Jahren abgekühlt. Irgendwie nur noch ein Nebeneinanderher-Leben. Doch er kennt ihre schlechte Verfassung. Duldet, dass sie ihm zunehmend die Rolle einer Mutter vorspielt. Mutti statt Mattie, einfach nur tragisch. Während die „Mutter“ abräumt, gehen seine Gedanken zurück. Der Treck von Iowa nach Kalifornien. Nevada, Kansas, Wishita, Dodge City am Chrisholm Trail, zuletzt Tombstone. Mattie nennt dies in Erinnerung an ein früheres Leben Flucht mit dem Schiff von Pommern nach Schleswig-Holstein, Hamburg, Pinneberg, Kreisstadt Stade, Uetersen an der Pinnau, zweite Heimat und dergleichen mehr. Zuerst beim Großrancher Pohling im Big Sand gewohnt. Unvergessen die Massenschlachtungen, wenn wieder die Viehtracks aus Mexiko kamen. Schüsse, fallende Leiber, Blutseen, Rinderhälften am Hacken. Hat dort den Doc kennen gelernt, der sich auch heute noch zur Tarnung bei den Schmuddelkindern verkriecht. Nach Wyatts Umzug blieben die beiden Freunde. Können sich blind auf einander verlassen. Tombstones Friedhof zwischen Big Sand und Mainstreet ist voll von Gesetzlosen und Revolverhelden, die es erfolglos gegen sie beide versuchten.

Gestärkt mustert er den Raum, in welchem er und Mattie leben. Ein gusseiserner Herd, Kommode mit Wasch-Schüssel, Schrank, Esstisch, für beide je ein Bett links und rechts der Tür. Ja, ein Stück Heimat ist dies hier schon. Für zweieinhalb Dollar Miete im Monat. Sogar mit einer Art Wasserspülung für den Abtritt, was man für so viel Geld allerdings auch verlangen kann. Aber diese Heimat gilt es zu schützen! Immer wieder kommt Vieh abhanden, und das ist noch das wenigste! So schleicht er sich aus dem Haus. Draußen wartet Doc Holliday hinter dem mittleren Stamm dreier riesiger Hickorys in der Straßenmitte. Hustet wie immer. Wyatt denkt besorgt, der Husten wird schlimmer. Trotz der gesunden Luft hier im Weide-Grünstreifen am Desert-Rand. Verfluchte TB! Aber irgendwie erschwischt es einmal jeden. Ob durch Kugel, Wodka oder Schwindsucht, egal! Sie besteigen ihre Pferde, traben gemächlich am Boot Hill vorbei. Hin zu den Viehweiden. Mittlerweile im Schlepptau mehr als zehn ehrenwerte, mutige Bürger Tombstones, zu Debutys vereidigt. Sehen, noch außer Schussweite, wie das Daltongesindel versucht, den Rindern falsche Brandzeichen einzudrücken. Verfolgung im Galopp. Ein weder sich noch die Pferde schonender Ritt nordwärts durch halb Arizona bis zur Grenze. Aber die Viehdiebe sind schneller. Setzen mit einem am Ufer versteckten Floß über. Ihre Verfolger steigen ab. Stehen hoch oben auf einem Felsenrücken des Grand Canyons und schauen hinunter in die Schlucht. Colorado River! Endstation! Drüben ist New Mexiko. Ihre Zuständigkeit endet hier. Ein Konflikt mit den Navajos, in deren Reservat sich die Daltons flüchteten, darf nicht riskiert werden.

Ihm huschen Erinnerungen durch den Kopf. Postkutschenfahrer, Cowboy, Büffeljäger, erfolgreicher Glücksspieler und Boxer, Hilfsmarshall, Marshall. Hat noch alle Ziele erreicht. Niemand konnte ihm widerstehen, nicht einmal Wild Bill Hickok. Aber diese Daltons! Irgendwann wird er sie zur Strecke bringen. Doch nicht heute. Sie steigen wieder auf. Alle reiten nach Hause, schweigend. Was gibt es schon zu reden? Im Westen ist man kein Plauderer. Sie erreichen Tombstones Weidegrenze. Satteln ab. Ein letzter Blick zum Horizont,
wo sich die Daltons wohl noch immer hinterm Deich am anderen Ufer der Pinnau verstecken. Die drei braunen, weißgefleckten Kühe haben sich wieder beruhigt. Waren vorhin laut muhend ein Stück zur Seite getrottet, um dem lästigen Daltonschen Brandeisen zu entkommen. Da liegen noch die Sachen der Verbrecher im Gras! Mussten natürlich, auf frischer Tat ertappt, alles überstürzt liegen lassen. Wyatt sammelt alles ein. Das Brandeisen wird er als Corpus Delicti verwahren. Peter Kröger wird seinen Pelikan-Füller bestimmt sehr vermissen. Allgemeine Auflösung- Für diesmal hat’s nicht sollen sein. Die ehrenwerten Bürger, alles Mitglieder von eigentlich konkurrierenden Straßengangs, verschwinden zu ihren Familien in Mühlen- und Moltekestraße sowie zu den Ostpreußen im ehemaligen Parteihaus. Wyatt begleitet den Doc nach Hause in den Großen Sand. Rancher James Pohling hat auf seinem Anwesen eine kleine Schlachterei. Steckt ihnen wie immer mit verschwörerischer Miene ein Würstchen zu: Belohnung in Naturalien. Mister Pohling ist einer der wenigen Eingeweihten, die ihre wahre Identität kennen. Wyatt schwingt sich wieder auf den Drahtesel. Die Jagd über das holprige Marschgras war kräftezehrend. Zurück nach Hause. Sein Blick fällt noch rechtzeitig auf die verbeulte Kanne auf dem Gepäckträger: Kleiner Umweg zum Milchmann Früchtenich. Hatte Wyatt noch heute Mittag nicht geglaubt, seine Sucht zu beherrschen? Trinken ja, abei kontrolliert? Nun, irgendwo haben auch die härtesten Westler ihren schwachen Punkt. Bei ihm sind es die Dämonen der harten Getränke. Zwiespätigen Gefühles fährt er mit der vollen Kanne heimwärts. Mattie wartet schon. Na endlich wo bleibst du nur Frau Kröger hat angefragt ob du vielleicht Peters Füller gefunden hast hier trink deine Milch und sie suchen auch Herrn Krögers Feuerzeug sie sagt Horstchen sagt du hast sie aus ihrer Küche gestohlen stimmt das Hansi? - Die Ahnungslose! Aber er lässt sie reden, wie immer. Bleibt gelassen, selbst als sie wieder die alte Leier anfängt: Warum sich Lehrer Korthals beschwert habe, dass in der Schule riesige Blätter aushingen. Mit der Überschrift Wanted! Und mit den Konterfeis der Gebrüder Kröger aus der dritten und sechsten Klasse. Und ob die Urheber bekannt seien. - Irgendwelche Antworten bringen nix. Diskussionen mit einer vergesslichen Laudanumabhängigen zwecklos. Hauptsache, zu Hause!

Letzte Aktualisierung: 15.05.2008 - 08.38 Uhr
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