Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Mai 2008
Afrika
von Sabine Barnickel

„Endlich kommst du nach Hause.“
Lukas wurde aus seinen Gedanken gerissen. Er sah den alten Afrikaner, der auf dem Platz neben ihm saß, verständnislos an. Der Alte schenkte ihm ein Lächeln, bei dem er wider erwarten perfekte weiße Zähne zeigte. Und die Augen, für einen Schwarzen erstaunlich helle, bernsteinfarbene Augen, Raubtieraugen. Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf. Der Hauch einer Ahnung schlich sich in sein Bewusstsein.
„Wie bitte?“
„Du wirst schon sehen“, sagte der Alte nur, immer noch lächelnd, dann sah er aus dem Fenster.
Nach Hause kommen? Vor ein paar Tagen war seine Vorstellung von zu Hause aus den Fugen geraten. Seine Mutter hatte ihn belogen, sein Leben lang. Bis vor ein paar Tagen hatte er nichts über seinen Vater gewusst. Sein Mutter hatte fast den Eindruck erweckt, er wäre das Ergebnis einer unbefleckten Empfängnis. Das einzige was sie je gesagt hatte war, sein Vater wäre tot.

Er war tot. Seit drei Wochen. Vor ein paar Tagen hatte Lukas die Nachricht bekommen. Sein Vater hatte ihn wohl schon länger suchen lassen, aber zu spät gefunden. Lukas hatte Hals über Kopf seinen Resturlaub genommen, einen Flug gebucht und jetzt war er auf dem Weg, um den Nachlass eines Vaters zu regeln, den er nie kennengelernt hatte, der ihn nie kennengelernt hatte. Eine seltsame Unruhe und fast unbändige Sehnsucht hatte ihn überfallen. Seine Mutter hatte versucht ihn davon abzuhalten, getobt, gebettelt und irgendwann resigniert.
Jetzt war er auf dem Weg in ein Land, dass er nicht kannte: Namibia, ehemals Deutsch-Südwestafrika. Auf dem Weg zu einer Farm zwischen Wüste und Savanne. Auf der Suche nach seinen Wurzeln.

Lukas durchstreifte das Haus seines Vaters wie so oft in den letzten Tagen. Die Sonne war bereits untergegangen, doch er machte kein Licht an, denn er kannte die Wege inzwischen selbst mit geschlossenen Augen. Mit der rechten Hand strich er über die Lehne der alten Ledercouch, fühlte die Risse mit seinen Fingern. Es war als würden sie ihm Geschichten erzählen. An der Wand gegenüber stand der Sekretär. Es gab nur wenige Fotos von seinem Vater, doch in seiner Vorstellung hatte er ein lebendiges Bild von ihm. Lukas stellte sich vor, wie er dort saß und seine Tagebücher und Briefe schrieb. Die Tagebücher… er hatte angefangen sie zu lesen, neugierig, ungläubig, fasziniert
Später stand er auf der Veranda des Hauses. Die Hitze des Tages wich langsam der Kühle der Nacht. Er schloss die Augen. Die Gerüche und die Geräusche der afrikanischen Nacht umfingen ihn mit Geborgenheit. In seiner Hand hielt er den Brief, den sein Vater kurz vor seinem Tod geschrieben hatte. Er kannte ihn auswendig….

„Mein lieber Sohn,
leider durfte ich Dir nie der Vater sein, der ich sein wollte. Bis vor kurzen wusste ich noch nicht einmal, dass es Dich gibt. Da war immer nur so ein Gefühl, dass da irgendwo noch ein Teil von mir sein könnte, sein müsste, denn das ist die Bestimmung. Jetzt bin ich zu alt und zu krank, wahrscheinlich werde ich Dich in diesem Leben nicht mehr sehen. Aber ich bin Dir eine Erklärung schuldig, warum Deine Mutter nicht bei mir bleiben wollte, warum sie mir nicht einmal gesagt hatte, dass sie schwanger war, warum sie Dir Deinen Vater vorenthalten hat. Ich hoffe nur, dass Du die richtige Entscheidung triffst und nach Hause kommst. Denn Afrika ist Dein zu Hause, auch wenn Du es bisher nicht kennst. Kannst Du spüren, dass Dir etwas fehlt? Hast Du diese unbestimmte Sehnsucht? Ich bin hier geboren, aber aufgewachsen bin ich wie Du in Deutschland. Mein Vater versuchte immer sein Erbe zu verleugnen. Meine Sehnsucht war stärker, und ich habe es nie bereut, dass ich zurückgekehrt bin.
Ich hoffe Du kommst nach Hause. Ich hinterlasse Dir das Haus, die Ländereien und alles was dazu gehört.
In diesem Brief kann ich Dir nur die folgende Geschichte erzählen, alles andere findest Du in meinen Tagebüchern.
Die Legende besagt, dass einst der Leopardengott in Menschengestalt zu den Stämmen Namibias kam. Dort suchte er sich die schönste und edelste aller junger Frauen – die Tochter eines Häuptlings. Er betörte sie mit seiner Schönheit, seinem Wesen und seinem Versprechen mit ihr eine große Königslinie zu begründen, die sich Tausende von Jahren fortsetzen würde.
Mit ihr zeugte er ein Kind, einen Knaben, das sie unter großen Schmerzen und Einsatz ihres Lebens gebar.
Der Knabe wuchs zu einem edlen jungen Mann heran, zu einem würdigen Nachfolger seines Großvaters, des Häuptlings. Doch nachts lebte er das Erbe seines Vaters. Er nahm die Gestalt des Leoparden an und ging auf die Jagd.
Der junge Häuptling suchte sich eine würdige Frau aus den Stämmen. Sein erstes Kind war ein Knabe, dazu bestimmt, das Erbe seines Vaters anzutreten und fortzuführen.
So setzt sich das Erbe des Leopardengottes bis heute fort.
Komm‘ nach Hause und finde selbst heraus, was es damit auf sich hat.
Dein Vater.“

Der Nachtwind streichelte seine nackten Arme. Er zog das Rückflugticket aus seiner Hosentasche. Er dachte an den alten Afrikaner aus dem Flugzeug und musste lächeln.
Ja, endlich zu Hause, dachte er.
Er zerriss er das Ticket und verstreute die Schnipsel auf der Veranda, damit sie der Wind davon tragen konnte. Dann ging er auf die Jagd.

Letzte Aktualisierung: 09.05.2008 - 16.59 Uhr
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