Ganz schön bissig ...
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Juni 2008
Kampf der Zauberer
von Elsa Rieger

Nahe dem Götterberg Olymp rief Gavros die dienstbaren Geister in der Halle seines Palastes zusammen und gab letzte Anweisungen: „ Morgen beginnt der Wettstreit um das größte Zauberkunststück des Jahres. Die Magier aus aller Welt haben sich bereits auf die Reise begeben. Wie ihr ja schon im letzten Jahr miterleben konntet, ist die Zunft der Zauberer zum reinen Konkurrenzkampf verkommen. Nichts mehr von Austausch, gegenseitiger Hilfestellung und Freundschaft ist unter den Herrschaften zu finden, im Gegenteil, der Berufsethos geht vor die Hunde. Ich möchte euch ersuchen, auch diesmal durchzuhalten und mir tapfer beizustehen, falls sich zwei in die Haare kriegen. Ihr wisst ja, ich habe große Hoffnung, dass der morgige Tag anders enden wird als üblich.“ Damit ging er und putzte den goldenen Pokal ein letztes Mal – keiner sonst durfte ihn berühren. Gedankenverloren rückte er die geschliffene Diamantkugel zurecht, die die Trophäe schmückte.
„Möge der Beste gewinnen“, murmelte Gavros.

Jeder der Anwesenden hätte so einen Pokal mit einem Fingerschnippen selbst herstellen können, doch es ging nicht um den materiellen Wert. Den Besten der Zunft anzugehören, war eine große Auszeichnung.

Schon beim Empfangsbuffet, das Gravros traditionell vor den Darbietungen der Kunststücke den Gästen anbot, ging es los mit Neid und Missgunst. Die ehrenwerten Magier stritten um die angerichteten Leckerbissen, prahlten mit ihren neuesten Zaubereien und warfen sich gegenseitig: „Stümper, Nichtskönner, Scharlatan“ an den Kopf. Ihre Mienen verzerrten sich dabei zu bösen Fratzen, was die Bediensten schaudern ließ. Dabei schlangen sie die Speisen hinunter und vergaßen vor lauter Streitlust, sich daran zu delektieren. Tscharassa aus dem Outback verstieg sich sogar dazu, dem Magier von Mecklenburg-Vorpommern einen verzauberten Wackelpudding über den Kopf zu stülpen, sodass jener um ein Haar erstickt wäre. Gavros eilte zur Hilfe und drohte Tscharassa mit Ausschluss vom Wettbewerb. Daraufhin entfernte dieser murrend den grünen Schleim.

Im Prunksaal des Palastes erklang der Gong. Die Zauberer kämpften um die guten Plätze, die Verlierer verzogen sich knurrend in die hinteren Reihen. Endlich saßen alle auf brokatbezogenen Stühlen und starrten auf die Bühne.

Monsieur Chaparelle aus Avignon machte den Anfang. Vor ihm lagen Steine in verschiedenen Größen.
„Beachten Sie den Gesteinshaufen.“ Er nahm einen der Brocken und ließ ihn im Publikum durch die Reihen gehen. Das Kollegium beklopfte, beroch, begutachtete ihn. Zuletzt landete er in Gavros’ Händen, der bestätigte, dass es sich um einen ganz gewöhnlichen Granit handelte.
„Wie die anderen auch“, sagte Chaparelle und legte ihn wieder auf den Haufen. „Ich werde ihnen Leben einhauchen.“
Beifälliges Gemurmel erklang rundum.
Der Zauberer krümmte seine Finger über dem Geröll und flüsterte geheimnisvoll ein paar Worte. Dann trat er zurück. Der Berg begann zu ächzen, ruckelte, fiel auseinander, ein Blitz erhellte die Bühne, ein Donnerschlag folgte, der die ehrwürdigen Magier zusammenzucken ließ. Vor ihren Augen verwandelten sich die Steine in splitterfasernackte Menschen, die verschämt ihre Blöße bedeckten und verwirrt umher blickten. Das Auditorium applaudierte notgedrungen. Doch bevor das Klatschen verebbte, schrumpften die zum Leben Erweckten schon zu ihrer ursprünglichen Form zurück, was mit Auspfeifen und verächtlichem Murren quittiert wurde. Chaparelle verließ gedemütigt den Ort seiner Niederlage.
Der nächste, Mister Odoru aus Kent, brachte einen Esel dazu, wie ein Mensch zu reden. Das Tier unterhielt sich eine Weile angeregt mit den Zusehern, erzählte voller Eitelkeit von seiner schweren Arbeit. Bald erlosch das Interesse der Diskutanten, da es an einer peinlichen narzisstischen Persönlichkeitsstörung litt und keinen anderen mehr zu Wort kommen ließ.
Ein anderer, er war aus Bolivien angereist, verzauberte das Publikum in geckernde Affen, die sich gegenseitig lausten. Dafür heimste er keine Lorbeeren ein, das Plenum war nicht recht amüsiert darüber.
Einer nach dem anderen zeigte seine mehr oder minder großartige Attraktion, zuletzt fehlte nur noch eine Darbietung.
Gavros betrat die Bühne und lächelte geheimnisvoll. „Ich möchte mir nicht nehmen lassen, euch die einzige Magierin, die dieses Jahr auf meine Bitte hin angereist ist, vorzustellen.“
Laute der Verblüffung wehten durch die Kollegenschaft, denn neben Gavros begann die Luft zu zittern, grün und golden zu werden, um sich dann zu einer Gestalt zu manifestieren.
Mit einem Schmunzeln sagte Gavros: „Das ist Anima. Sie wird euch etwas zeigen, was längst fällig war. Sehet, fühlet, staunet!“

Die junge Frau trug ein grün-goldenes Gewand und verbeugte sich graziös. Sie winkte ihrem Assistenten, der mit seiner Flöte auf die Bühne sprang und sie an die Lippen setzte. Eine Melodie erklang wie Nektar und Ambrosia, man sah sie sogar in Form von vielfarbigen Blütenblättern, Feuerwerksglitzern und irisierenden Wassertropfen aus der Flöte hervorquellen.
Anima wiegte dazu ihren Körper in schwingenden Schritten an den Bühnenrand. Sie hob die schlanken Arme, streckte die Hände über den Köpfen der Zuseher aus; ein Aufschrei wogte durch den Raum, denn die spitzen, breiten, runden oder wie Turbans geformten Hüte der Magier flogen mit einem Fingerschnippen Animas an die Decke des Saales.
Ihrer Kraft und Zierde beraubt, bedeckten die Herren mit den Händen die Köpfe, fixierten die hoch über ihnen schwebenden Hüte, zuckten ängstlich mit den Schultern.
„Sehet doch hierher“, sagte Anima mit einer Stimme, die für jeden der Anwesenden anders klang: Sie hörten die Stimme ihrer Mutter aus Kindertagen. Da zerflossen die harten Züge, die verkniffenen Gesichter und sie beobachteten Animas Tanz mit großen Augen. Die lieblichen Bewegungen, die Flötenklänge entführten alle in ganz persönliche Erinnerungen an Liebe und Freude. Und wie Anima lächeln konnte!
Das schmolz jegliche Bitterkeit, Neid und Missgunst der Zauberer. Anima tanzte lange. Schließlich strömten Tränen über die Wangen der Magier, ihre Münder bebten, jeder umarmte liebevoll, wen er gerade erwischen konnte. Alle fühlten in ihren Herzen eine kleine rosa Badewanne mit Rosenblättern, in denen das innere Kind vergnügt planschte.

In diesem Moment endete der Tanz. Die spitzen, breiten, runden oder wie Turbans geformten Hüte der Magier plumpsten auf die richtigen Köpfe zurück. Anima verbeugte sich mit einem letzten atemberaubenden Lachen und verließ die Bühne.

Sie trug den Pokal heim. Alle waren sich einig, dass sie den Preis verdient hatte, denn verhärtete Herzen verzaubern zu können, war das wunderbarste Ereignis des diesjährigen Wettkampfs.

Letzte Aktualisierung: 16.06.2008 - 16.54 Uhr
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