Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Juni 2008
Ewiger Walzer
von Tanja Muhs

//: „Manchmal denke ich, ich bin ein Krebs“, sagt sie unvermittelt. Draußen regnet’s und irgendwie klingt sie ironisch dabei. Er entgegnet nichts.
Was ist auch eine passende Antwort darauf? Manchmal redet sie einfach irgendetwas, er weiß nicht, was sie will, wovon sie spricht, obwohl er es vielleicht gern täte. So nickt er nur und als ihm etwas einfällt, das er antworten kann, fällt er ihr ins Wort. Verschmitzt sagt er und findet sich ganz pfiffig dabei:“ Aber dein Sternzeichen ist doch Jungfrau.“ Sinnend sagt sie: „Ich spiele dieselben Töne, vor und zurück.“ Einen bösen, vielleicht sogar enttäuschten Blick später verlässt sie das Zimmer. Er ruft ihr hinterher: „Ich gehe gleich einkaufen. Brauchst du noch etwas Bestimmtes?“, weil ihm nichts einfällt, was er sonst Sinnvolles sagen könnte. /

Er sitzt am Tisch, über die Zeitung gebeugt, als sie ins Zimmer kommt. Im Zweiviertel tanzt sie bis etwa gegen neun, wie immer ein wenig aus dem Tritt. Immer dieselben sechs Schritte, doch stets fehlt ein Takt. Sie spürt es, ist musikalisch. Er schaut kurz hoch, lächelt sie an. Wie wenn man ein Hündchen belächelt, draußen vor der Bäckerei. Gleich wird er zum Einkaufen gehen wie jeden Samstag, wird sie fragen. Fragen, ob sie noch etwas Besonderes braucht. Vielleicht tut sie das, aber dafür müsste er nicht gehen. Sie zieht den Stuhl zurück, setzt sich. Schaut aus dem Fenster, vergleicht das Früher mit dem Heute und sagt: „Manchmal denke ich, ich bin ein Krebs.“ Sein Gesicht ist blank, so müssen sie die Rollen tauschen. Die Dame führt, Takt 5 in Vorbereitung. „Ich spiele dieselben Töne, vor und zurück.“ Er fällt ihr ins Wort, sagt etwas Sinnloses. Er kann nicht tanzen, konnte es nie. Wenn beide führen, kann man nicht tanzen. Sie erhebt sich und geht, wieder fehlt ein Takt. /

Vor der Anrichte, mit statt des weißen heute anderem Geschirr in Händen, streicht sie mit dem Finger über das Muscheldekor am Tellerrand. „Ich möchte mal wieder verreisen, ans Meer fahren, hineinspringen, schwimmen, mich treiben lassen“, sagt sie, während er, wie jeden Samstag, so wie er es versprochen hat vor langer Zeit und nicht mehr weiß, warum, geschäftig mit Küchentuch und Salzkartoffeltopf hantiert. „Schau, was es heut zu Mittag gibt“, erwidert er und weiß nicht, was im Gesagten wieder Falsches war, als sie sich wortlos setzt und im Schollenfilet stochert, als sei es voller Gräten. /

Er werkelt mit den Töpfen, geübte Hände, den Rücken ihr zugewandt, so beständig, so sicher in dem, was er tut. Ihr schwindelt vom Drehen im Kreis, sie kann es nicht mehr ertragen, immer dieselben Töne, mit Stand der Sonne ist die Tide gestiegen, die Wellen schlagen im Fünfachtel zu Mittag. Sie greift nach dem Geschirr, dem Blauen, denn heute ist ihr nach ein wenig mehr Farbe, vergleicht das Heute mit dem Morgen, sagt: „Ich möchte mal wieder verreisen, ans Meer fahren, hineinspringen, schwimmen, mich treiben lassen.“ Er ist beschäftigt, gießt die Kartoffeln ab, wedelt den Dampf beiseite mit dem Küchentuch, hat kein Gefühl in den Beinen für die Musik, die spielt. Sie holt das Besteck aus der Schublade, schiebt den Stuhl zurück, setzt sich, stochert in ihrem Fisch, jeder Bissen schmeckt nach tausend Gräten und wieder fehlt ein Takt. /

Sie hat den Kaffee aufgesetzt. Er betrachtet sie, sie sieht traurig aus. Redet nicht, holt die Kekse aus dem Küchenschrank stattdessen, und das schmerzt. Sie kann mit ihm doch über alles sprechen. Warum sagt sie nie, was sie bewegt? Sie gießt ihm einen Kaffee ein, nimmt sich selbst einen Teebeutel, als sei sie krank. Dann spricht sie doch und sein Herz klopft, weil er hofft, sie sagt jetzt, was ihr fehlt. „Mir ist ein bisschen schwummerig. Der Kreislauf wohl. Oder ich habe einen Sonnenstich. Ich war bis gerade im Garten. Habe die Beete umgegraben und Unkraut gezupft.“ Er mustert sie und ist erleichtert, dass es nur das ist und nichts Schlimmeres. /

Er betrachtet sie, als sie ihm einen Kaffee eingießt, sein Blick ist verschlossen, als denke er über etwas Wichtiges nach, das sie nichts angeht. Jetzt zur Teezeit geht die Melodie noch immer im Fünfachtel, doch das Wasser rauscht über sie hinweg, denn sie hat ihren Stand gefunden, ihre Scheren im Boden vergraben. „Mir ist ein bisschen schwummerig. Der Kreislauf wohl. Oder ich habe einen Sonnenstich. Ich war bis gerade im Garten. Habe die Beete umgegraben und Unkraut gezupft“, sagt sie, nur um sich zu vergewissern, dass sie noch da ist. Wieder fehlt ein Takt, aber es ist ihr egal, sie hat sich ins Unabänderliche gefügt, hat erkannt, dass sie beide einfach nicht tanzen können. / ://

/ Still. So still. Kurz vor Mitternacht. Verebbte Melodie, bewegungs-, drehungslos.
Der verkrüppelte Walzer schweigt still. Unterbrochen nur von seinen regelmäßigen Atemzügen.
Stillstand. Wie angetäut. Dümpeln im Hafen. Warten auf klärendes Wetter. Nur Treibgut auf zu seichter See.
Tanzen. Am Hochzeitstag. Das waren Zeiten. Als man noch sprach. Als man nicht sprechen musste. Weil ohne Worte alles ausgesprochen war.
Leer. So leer. Etwas, er fehlt. Sie streichelt sein Haar. Haucht leicht einen Kuss darauf. „Schatz, wir müssen reden“, sagt sie.
„Reden und den Walzer zuende tanzen.“ /

Letzte Aktualisierung: 27.06.2008 - 20.00 Uhr
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