Bitte lächeln!
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Juni 2008
Sie tanzte mit mir
von Herbert Dutzler

Sie tanzte mit mir. Ja, mit mir. Ich wagte nicht, sie fest an mich zu drücken, so wie die dürre Tanzlehrerin mit ihrer hysterisch schrillen Stimme es ständig von uns verlangte, aber ich hielt ihre rechte Hand in meiner linken, hatte die rechte, schwitzende, auf ihren Rücken gelegt und berührte immer wieder ihr Hüften, ihre Oberschenkel. Um uns drehten sich in diesem scheußlichen Mehrzwecksaal, der jeden guten Geschmack mit den verschiedensten Brauntönen seiner Kunstholzoberflächen strapazierte, zahllose andere Paare, aber ich sah nur ihre langen, dunklen Haare, ihre Schulter mit der grünen Bluse darüber.

Nun liegst du in meinen Armen, ich sitze auf dem kühlen Erdboden, dein Kopf liegt an meiner Schulter, und ich streiche durch deine Haare, drücke sie mit meiner Hand gegen mein Gesicht und atme ihren Duft ein. Wunderbar riechen sie, obwohl sie mit deinem Blut verklebt sind. Noch ist dein Körper warm, und diese Stunden – oder sind es bloß Minuten – muss ich genießen. Ich streiche dir sanft über den Rücken. Du hättest bei mir bleiben sollen, du hättest mir schon früher vertrauen sollen. Denn jetzt musst du mir vertrauen, du kannst nicht anders. Ich werde dich in Sicherheit bringen, mich um deinen Körper kümmern. Immer. Bis ich selber sterbe. Du kannst dich auf mich verlassen.

Wenn sie jemanden brauchte, mit dem sie Mathematik lernen konnte, war ich da. Wenn sie die Schule schwänzen wollte, um lieber am See baden zu gehen, fuhr ich mit ihr mit dem Moped dorthin. Wir badeten zusammen, sie zog sich sogar ohne jede Scham vor mir um, während ich vor Sehnsucht nach ihrer warmen Haut körperlichen Schmerz fühlen konnte, vom Bauch ausstrahlend bis in die Schläfen betäubte er alle anderen Empfindungen.
Sie erzählte mir von ihren Freunden, immer wieder neuen, die alle schon über zwanzig waren, Geld verdienten, Autos fuhren, Motorräder besaßen, sie immer wieder enttäuschten. Mir wurde übel, wenn ich nur daran dachte, was sie mit ihr machten, was sie ihr antaten, ohne dass es ihr begreiflich zu machen war, dass sie das nicht wollte, dass sie sich auf diese Typen niemals verlassen konnte, dass sie niemals ganz für sie da sein konnten.
Einmal fragte ich, ob ich ihr einen Kuss geben dürfte. „Warum sollte ich dich küssen?“, antwortete sie. Ich sei ein Freund, erklärte sie mir, eher wie ein Bruder, den sie nicht habe, jemand, mit dem man über alles reden könne, eigentlich fast wie eine Freundin. Sie wolle nicht mit jemandem schmusen, der praktisch zur Familie gehöre. Ich wollte aber weder ihr Bruder noch ihre Freundin sein, ich wollte sie für mich und ganz für sie da sein.

Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, ich bin kein Sexualverbrecher, ich bin kein Schwein, der einer Frau einen Stein über den Schädel schlägt, um sie dann auszuziehen und zu vergewaltigen. Ich werde dich nicht ausziehen, es genügt mir, dich in den Armen zu halten, zu riechen. Sehen kann ich fast gar nichts, denn es ist viel zu dunkel, aber das ist egal. Ich will nur spüren, dass du da bist, dass du ganz und gar mir gehörst. Du wirst schwerer. Und kühler, ich kann es fühlen. Ich neige deinen Kopf von mir weg, wische dir das Blut aus dem Gesicht, streiche über deine Wangen, deine Nase, ziehe mit meinem Finger die Kontur deiner Lippen nach, denen ich nie nahe sein durfte. Jetzt werde ich dich küssen, und es wird so schön sein, dass ich mir so viel Glück noch gar nicht vorstellen kann.

„Warum nicht?“, antwortete sie, als ich sie an einem der letzten Kursabende fragte, ob sie mit mir den Abschlussball des Kurses eröffnen wolle. Nach der Pause sollte erstmals für diese Eröffnung geprobt werden. Ich verschwand kurz auf der Toilette, danach suchte ich sie dort, wo wir uns getrennt hatten, fand sie jedoch nicht. Die Paare begannen schon, sich für die Probe der Eröffnung zu finden, aufzustellen, einzureihen. Nirgends war sie zu sehen. Doch, da! Sie hing am Arm eines anderen. Groß. Blond. Größer als ich. Und vor allem schlanker. „Du wolltest doch mit mir …!“
Sie habe vergessen. Sie habe es dem anderen schon früher versprochen. Ich solle mich nicht so anstellen. Es sei ja schließlich egal. Ich würde doch jemand anderen finden.
Ich fand niemand anderen. Mit einigen anderen Burschen, die überzählig übrig geblieben waren, drückte ich mich auf einer Stuhlreihe herum, die an einer Wand des Saales aufgestellt war. Keiner von uns, so versicherten wir uns gegenseitig, sei übrig geblieben. Man habe von vornherein keinerlei Interesse an dieser langweiligen, spießigen Eröffnungsfeierlichkeit gehabt. Man sei im Gegenteil sogar froh darüber, dem unwürdigen Spektakel entkommen zu sein.
Meine Blicke folgten ihr. Ihre Haare schwangen bei Drehungen weit aus. Glücklich lächelte sie ihrem Tänzer zu, fast verliebt. Mir war übel. Mein Magen krampfte, ich hatte das unangenehme Gefühl, in meinem verschwitzten Hemd festzustecken, eingesperrt zu sein, während ich vergeblich versuchte, mich aus dem Würgegriff meiner aufkommenden Panik zu befreien.
Anstatt mit ihr zu tanzen, trank ich zusammen mit den anderen Bier aus dem Automaten. Lächerlich aufgeblasen und mit dummen Sprüchen unsere Unzulänglichkeit tarnend, die dazu geführt hatte, dass wir nun der Ausschuss dieses Tanzkurses waren, schlugen wir unsere Bierflaschen, einander zuprostend, gegeneinander. Ich konnte die Verzweiflung in den Gesichtern der anderen sehen, die in meinem eigenen nur erahnen.

Verstehst du, das war ein Fehler, dass du ihn mir vorgezogen hast. Diese ganzen eitlen Affen nützen dich nur aus, die wissen es gar nicht zu würdigen, wie wunderbar du bist, wie einmalig schön. Die wollen sich bloß an dir vergnügen, und dann werfen sie dich weg. Damit ist jetzt Schluss, du hast Ruhe vor ihnen, ich werde dich von jetzt an beschützen. Ich muss dich an einen sicheren Ort tragen, ich weiß auch schon, wo das sein wird. Du wirst mir eine schwere Last sein, aber für dich tue ich es. Es werden vielleicht zwei Kilometer sein, eine halbe Stunde. Eine Dreiviertelstunde, die Last und die Dunkelheit eingerechnet. Dort wird dich nie jemand finden, aber ich werde dich besuchen. Und beschützen. Ich lade dich jetzt auf meine Schulter.

Auf dem Bahnhof sah ich sie wieder, wir mussten mit der Bahn in unseren Heimatort fahren, der Tanzkurs wurde in der Bezirksstadt abgehalten. Ich machte ihr Vorwürfe. Sie könne doch nicht mehreren das gleiche Versprechen geben. Was sie sich dabei gedacht habe. Ich sei ja bereit, auf ihre Liebe zu verzichten. Sie könne ja dennoch wenigstens mit mir tanzen. Der Blonde sei ein verblödeter Lackaffe. Sie zuckte nur mit den Schultern, ich solle Ruhe geben. Mich nicht in ihr Leben einmischen. Sie könne tun und lassen, was sie wolle. Mein Ton wurde lauter, vorwurfsvoller. Sie zischte mir zu, ich solle endlich den Mund halten, sie könne tanzen und vögeln, mit wem sie wolle, nur mit mir werde sie beides nicht mehr tun. Wenn ich nicht auf der Stelle den Mund halten würde. Ich schwieg, denn ich wollte wenigstens den gemeinsamen Heimweg mit ihr genießen. Ihre Formulierung war etwas unklar gewesen: Hatte sie mir nun versprochen, mit mir zu schlafen, wenn ich den Mund halten würde? Das war unwürdig. Man schläft mit jemandem, weil man ihn tief und vollkommen liebt, nicht, um ihn für Wohlverhalten zu belohnen. Das aber behielt ich in dieser Situation für mich.
Ihr Haus lag weiter vom Bahnhof entfernt als meines. Ich erklärte ihr, sie unbedingt bis nach Hause begleiten zu müssen, sie sei sonst allein, der Weg sei dunkel, gefährlich. Sie machte sich lustig über mich, sie sei den Weg schon tausendmal gegangen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Als ich mich weiterhin an ihrer Seite hielt, gab sie auf, zu widersprechen, schritt aber einsilbig neben mir her, ohne weiter zu antworten. Wir erreichten eine Brücke über einen fast trockenen Bach, ein Stück des Weges ohne Straßenbeleuchtung.

Weißt du, der Fehler liegt jetzt schon bei dir. Ich habe dich ja nur gebeten, mir einen Kuss zu geben. Ich habe dir auch erklärt, dass das doch nicht so schwer sein könne, du würdest ja sonst Küssen keine so große Bedeutung beimessen, du würdest doch bald einmal jemanden küssen, und noch viel mehr. Ob ich denn eklig sei. Ob ich etwa stinke. Ich sei doch gewaschen, und nicht einmal hässlich. Natürlich musste ich dich festhalten, du hättest mir ja sonst nicht zugehört, du wärest einfach weiter gegangen, weiter, bis ins Licht, wo uns jemand sehen hätte können, der die ganze Szene womöglich gründlich missverstanden hätte. Du hast einfach auch zu laut gesprochen, und als ich dir daraufhin den Mund zuhalten musste, wolltest du schreien, und das war einfach falsch, mir kann man doch trauen, zu mir muss man doch Vertrauen haben, mir kann man doch zuhören, mir muss man doch Gelegenheit geben, Dinge zu erklären.
Und als wir zusammen auf den Weg stürzten, weil ich dich nicht loslassen wollte, war da der Stein, und ich musste erreichen, dass es wieder ruhig wurde, dass ich dir erklären konnte. Und du warst gleich darauf ganz still, ich nahm dich auf den Schoß, und jetzt habe ich dir alles erklärt.
Wir sind an der Stelle, wo ich dich vorläufig in Sicherheit bringen werde. Siehst du den Spalt in der Uferböschung? Nein, dafür ist es wohl zu dunkel. Dahinter verbirgt sich eine kleine Höhle, und ich weiß, dass schon lange niemand hier war. Ich habe nämlich nach meinen Besuchen jeweils „Spurenfallen“ errichtet, die mir verraten würden, ob jemand hier gewesen ist. Es war aber nie jemand hier. Hier kommst du zur Ruhe. Ich bleibe noch, bis es hell wird. Ich kann dich doch hier im Dunklen nicht alleine lassen.

Letzte Aktualisierung: 22.06.2008 - 16.14 Uhr
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