Futter für die Bestie
Futter für die Bestie
Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Rosemarie Benke-Bursian IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Juni 2008
Sieger ist…
von Rosemarie Benke-Bursian

Anja saß auf der Fensterbank im Gang zum Klassenraum der 9b. Sie beobachtete ihre Freundinnen Cynthia, Jessika und Sophie, die ein Plakat an der Wand gegenüber studierten.
„Na, habt ihr euch schlau gemacht?“ fragte Anja, als die drei zu ihr herüberkamen, und schlürfte ihre Saftpackung leer.
„Hast du das gelesen?“ fragte Sophie
„Nee, was gibt´s da? Einen neuen Mathewettbewerb für Hochbescheuerte?“ Anja drückte ihre Packung platt.
„Wettbewerb ist gar nicht so daneben“, grinste Cynthia, „allerdings in Tanzen.“
Anja warf die platte Pappe Richtung Mülleimer. „Tanzwettbewerb? Ist´n Joke, oder?“
„Nein, wirklich. Da ist ein Tanzwettbewerb ausgeschrieben. Heute in zwei Monaten. Zeit genug, sich vorzubereiten.“ Sophie schien bereits Feuer gefangen zu haben.
„Wollt ihr da etwa mitmachen?“
„Warum denn nicht?“ Jessika hatte sich neben Anja auf die Fensterbank gesetzt und biss herzhaft in ein Pizzastück.
„Ist doch mega-out. Ey, Leute, die Zeiten von „Dirty dancing“ und Co. waren vorgestern. Schon mitbekommen?“
„Ach komm, Anja, man kann tanzen, was man will. Wir könnten wieder in die Jazz-Tanzgruppe gehen und eine Choreographie einstudieren...“ Jessika stupste Anja freundschaftlich in die Seite.
„Jazztanzgruppe. Ich hör wohl nicht recht. Wisst ihr nicht mehr, wie ätzend das war?“
„Jetzt haben wir aber ein Ziel.“ Sophie versuchte, sich auf der anderen Seite von Anja auf die Fensterbank zu quetschen.
„Ihr habt das wohl schon beschlossen, was? Na, dann viel Spaß.“
„Mensch Anja, sei keine Spielverderberin. Jazztanz zu dritt find ich blöd.“ Cynthia schaute ihre Freundin stirnrunzelnd an.
Doch Anja wollte nicht. Dieser Tanzwettbewerb brächte nur zusätzliche Verpflichtungen. Nicht genug, dass sie zweimal die Woche nachmittags Unterricht hatten, sie musste auch ganz schön kämpfen, damit sie in Latein und Mathe nicht weiter abrutschte, sonst drohten Nachhilfestunden, oder sogar eine Ehrenrunde. Wo blieb da noch Zeit für Musik hören, Freunde treffen, Party machen? „Ich mach da nicht mit und wenn ihr euch den Mund wundlabert.“
Die Freundinnen gaben nicht so schnell auf, suchten immer neue Argumente. Schließlich stand Anja genervt auf und deutete Richtung Plakat. „Da, fragt doch Bette, die fette. Die scheint sich ja sehr dafür zu interessieren. Steht jedenfalls schon die ganze Zeit davor, als müsse sie jeden Buchstaben einzeln entziffern. Übrigens beginnt gleich Mathe, hat jemand von euch die Hausaufgabe kapiert?“
„Sag nicht ständig Bette, die fette.“ Cynthia schaute Anja noch strenger an.
„Soll sie doch weniger fressen.“ Anja zuckte die Achseln. „Und nimm deine Falten aus dem Gesicht, ist halt meine Meinung. Geh, frag sie, ob sie Bauchtanz mit euch macht, da macht sie bestimmt ne gute Figur.“ Sie drehte sich um und ging in Richtung Klassenzimmer, bemerkte aber noch wie ihre drei Freundinnen tatsächlich mit Bette redeten.

Die nächsten Wochen wurden für Anja schier unerträglich, denn alle Freunde und Bekannten ließen sich nach und nach auf den Wettbewerb ein. Sogar die sonst so tanzmuffeligen Jungs waren plötzlich interessiert. Ein paar hatten eigens dafür eine Hiphop-Gruppe gegründet, manche taten einfach nur geheimnisvoll.
„Ihr macht wohl Ballett“, frotzelte sie. Im Stillen bereute sie längst, dass sie den Freundinnen abgesagt hatte. Doch jetzt war es zu spät. Jetzt probten sie mit der fetten Bette und schienen sogar Spaß dabei zu haben. Das ließ ihr keine Ruhe, irgendetwas musste sie tun.
Bald hatte sie ein paar Jungs gefunden, die gerne die Konkurrenz ausschalten würden und für die eine tanzende Bettina sowieso eine Lachnummer war. Mit denen gesellte sie sich eines nachmittags wie zufällig zu den probenden Jazztanzgirls in der Schulaula. Nachdem sie eine Weile zugeschaut hatten, fing der erste an zu kichern. Tatsächlich hatte Bettina ein Dress an, das ihre Fettröllchen bei jeder Bewegung besonders gut zur Geltung brachte.
„Hey Bette, gab´s in deiner Größe kein Teil mehr?“
Die tanzenden Mädchen versuchten, sich nicht irritieren zu lassen, aber da rief der zweite: „Bette, deine Speckfalten tanzen gar nicht im Rhythmus.“ Die ganze Gruppe um Anja prustete los. Bette wurde puterrot und machte eine unglückliche Bewegung. Ratsch, die linke Seitennaht ihres Einteilers war über die ganze Taille hinweg nach unten aufgerissen und gab den ungnädigen Blicken der Zuschauer weiße Unterwäsche preis.
„Guck mal, was die da anhat.“
„Uiih, Bette, haste das von deiner Oma geerbt?“
Bettina , die für einen Moment mitten in der Bewegung erstarrt war, stürzte aus der Aula, als hätte der Blitz sie getroffen. Ihr Schluchzen hallte noch lange in den Gängen nach.
„Verpisst euch bloß ganz schnell, ihr Arschlöcher.“ Das Funkeln in Cynthias Augen ließ Anjas Grinsen einfrieren. Die Jungen feixten und verließen die Aula. Anja aber empfand keinen Triumph mehr. Wortlos schlich sie davon.

„Bette macht nicht mehr mit. Ist es das, was du wolltest?“ fragte Sophie ein paar Tage später, und Anja hatte keine Antwort.
„Eine schöne Freundin bist du. Erst lässt du uns im Stich und dann machst du uns noch alles kaputt.“ Jessika hatte tatsächlich Tränen in den Augen. Anja wäre am liebsten weggelaufen, aber die Freundinnen versperrten den Weg.
„Ich wollte nur ein bisschen Spaß machen.“
„Toller Spaß.“ Cynthia übertraf sich selbst im Stirnrunzeln.
„Das musst du erst wieder gut machen, bevor wir dir verzeihen.“ Sophie hatte beide Arme in die Hüften gestemmt. Offensichtlich hatten die Freundinnen bereits eine Strafe ausgesonnen. Sie sollte für Bettina einspringen, ob sie wollte oder nicht. Da in vier Wochen der Wettbewerb war, bedeutete das jede Menge harte Arbeit. Andererseits kam sie dabei ihren Freundinnen wieder näher. Bettina ging ihr, wie sie erleichtert feststellte, ganz aus dem Weg. Selbst die Tanzlehrerin verlor kein Wort über Bettinas Ausstieg. So konnte sie dieses Thema einfach abhaken.

Der Tag des Wettbewerbes rückte unaufhaltsam näher und Anja packte das Tanzfieber. Mit Hilfe der Tanzlehrerin hatten sie eine schwierige, sportlich betonte Choreographie einstudiert. Mit ihren Fortschritten fingen die Mädchen an zu träumen: Vom Bühnenauftritt, vom Applaus und vom Sieg. Den drei Erstplazierten winkten Sach-Preise, sowie ein Bericht mit Foto in der örtlichen Presse.
Die Tanzschule, die den Wettbewerb ausrichtete, hatte die Sporthalle des Ortsvereins gemietet. Einundzwanzig Auftritte waren gemeldet worden. Viele Mitstreiter waren Anja und ihren Freundinnen gar nicht bekannt, was die Aufregung noch steigerte.
Zur Eröffnung gab es eine kleine Rede. Anja betrat eine halbe Stunde später mit ihren Freundinnen die Bühne. Die Halle war gerammelt voll: Verwandte, Freunde, Bekannte und Unbekannte schauten sie erwartungsvoll an. Als die Musik begann, war Anja zu Mute, als hätte sie alle Tanzschritte und Figuren vergessen. Obwohl sie alles bestimmt hundertmal getanzt hatte, musste sie dauernd überlegen, wie es weiterging. Danach war sie sicher, dass sie noch nie in ihrem Leben so schlecht getanzt hatte. Ihren Freundinnen schien es nicht besser zu gehen, so, wie sie zu ihren Plätzen schlichen. Stumm schauten sie die weiteren Darbietungen an.
Dann wurde Bettina aufgerufen.
Anja warf ihren Freundinnen einen fragenden Blick zu, doch die zuckten mit den Achseln. Mit einem pinkfarbenen Sportdress betrat Bettina die Bühne. Anja holte tief Luft und wusste nicht, ob sie lachen oder ´Oh nein´ rufen sollte. Alle im Saal schienen den Atem anzuhalten angesichts des knallengem Kostüms, dass Bettina da präsentierte. Als sie dann zur Musik tanzte, spannte der Stoff noch mehr. Anja hätte schwören können, dass Bette mittlerweile noch dicker geworden war. Zusätzlicher Kummerspeck, flackerte ihr Gewissen auf.
Da kam es auch schon. Das hässliche Geräusch: „Ratsch.“ So laut und deutlich, als wäre ein Mikrophon direkt an dieser Stelle platziert. Bettina guckte erstaunt, dann entsetzt. Sie machte eine unbeholfene Bewegung, wie um die Blöße zu verdecken. Dabei ratschte es wieder. Auf der anderen Seite. Beide Seitennähte klafften auseinander. Dieses Bild brachte nun doch die ersten Lacher. Bettina spreizte die Arme, wippte nach vorne und machte eine entschuldigende Geste Richtung Publikum. Erneutes Ratschen, das Kostüm hing nur noch in Fetzen an ihr. Mit einem Ruck riss Bettina es weg, fast wie eine Stripperin und – stand im roten Sportdress vor dem Publikum. Das erleichterte Lachen ging in einen kurzen Applaus über. Bettina tanzte weiter, drehte Pirouetten und machte ein paar Sprünge, bis auch das rote Kostüm riss. Darunter kam ein grünes zum Vorschein. Das Publikum lachte und klatschte. Zuletzt verbeugte Bettina sich in einem blauen Kostüm und erhielt johlenden Beifall.
Die Siegerehrung begann mit der Verlesung der Plätze fünf und vier, für die es immerhin eine Urkunde gab. Anja und ihre Freundinnen waren nicht dabei. Auch nicht auf dem dritten oder zweiten Platz. Platz eins ging an Bettina. Neben einem Pokal erhielt sie einen Tanzkurs ihrer Wahl bei der ausrichtenden Tanzschule. Das Publikum jubelte ihr zu.
Bettina nahm das Mikrofon und bedankte sich: bei den Zuschauern, bei der Jury und bei der Jazztanzlehrerin, die mit ihr die Choreographie entworfen hatte. Anja schnaubte, ihre Tanzlehrerin hatte das also mitausgeheckt und die ganze Zeit über nichts gesagt. Doch dann - nein, sie hatte sich nicht verhört - bedankte Bettina sich allen Ernstes bei ihr. Ohne Anja, sagte sie, wäre sie nie auf die Idee zu einer solchen Tanzeinlage gekommen, die ihr nun diesen tollen Preis eingebracht hatte.
Anja floh aus der Halle. Sie wollte Bette auf keinem Fall begegnen. Nicht heute.

Letzte Aktualisierung: 23.06.2008 - 09.18 Uhr
Dieser Text enthält 9763 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.