Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Juni 2008
Flamenco
von Sabine Barnickel

Es duftete aromatisch nach frischem Heu und Stroh. Der Geruch erinnerte ihn an seine Kindheit, wenn er mit seinem Großvater auf dem Traktor zum Heuwenden fuhr. Beim zweiten Atemzug drang dann aber doch noch der beißende Gestank von Ammoniak zu ihm durch. So war das immer, wenn er kurz nach dem Ausmisten den Stall betrat. Der Ammoniakgeruch würde sich verflüchtigen….

Heute morgen was es ruhig im Stall. Die meisten Pferde waren auf der Koppel bis auf die beiden Hengste ganz hinten und die anderen, die vorgestellt werden sollten. Verkaufsveranstaltung, Fleischbeschau, wie er es nannte. Er war Bereiter auf dem Gestüt und das gehörte eben auch zu seinen Aufgaben, egal ob er es mochte oder nicht. Und heute fiel es ihm besonders schwer. Zwei Stunden hatte er noch Zeit.

Vorsichtig schob Flo die Boxentür auf, gerade soweit, dass er sich hindurchzwängen konnte. Den Putzkasten stellte er im frischen Stroh ab.
„Hallo meine Große“, sagte er leise.
Das Pferd, eine Andalusier-Rappstute, senkte den Kopf ein wenig und blies ihm ihren warmen Atem ins Gesicht. Flo pustete ihr seinerseits sanft zur Begrüßung in die Nüstern. Sie wich ihm nicht aus, das war ein gutes Zeichen. Er lächelte. Langsam hob er eine Hand und streichelte über was weiche, empfindsame Maul des Tieres. Er ignorierte die Schritte in der Stallgasse. Es war jetzt absolut wichtig, dass er seine Aufmerksamkeit zu hundert Prozent auf die Stute richtete. Dass er ihr sein Vertrauen zeigte. Ihre Ohren bewegten sich nervös zurück, zur Seite und wieder nach vorne.
„Es ist alles gut“, murmelte er.
Das Pferd senkte den Kopf noch etwas weiter und Flo kraulte sie zwischen den Augen. Sie schenkte ihm ihr Vertrauen.
„Na, gar keine Angst vor diesem schwarzen Teufel?“
Bei dem Klang der Stimme scheute das Pferd zurück. Draußen in der Stallgasse hatte ihr Besitzer Position bezogen.
„Ganz ruhig, Luna, ganz ruhig.“
Angst? Angst war hier fehl am Platz, denn Angst erzeugte Angst. Ja, Flo wusste, was sie mit ihren Hufen anrichten konnte. Er hatte miterlebt, wie sie den Hänger demoliert hatte, wie sie die Box fast zu Kleinholz verarbeitet hatte als sie ankam. In ihrer Angst hatte sie nach fast allem und jedem getreten. Nur bei ihm war sie von Anfang an zwar misstrauisch gewesen, aber ruhig geblieben. Er hatte ihr Vertrauen gewonnen. Er war immer noch der einzige, den sie an sich heranließ.
„Und du meinst, du hast dieses Mistvieh im Griff?“
Flo spürte wie sich Anspannung in ihm aufbaute. Lunas Reaktion folgte prompt und sie begann nervös zu tänzeln.
„Lassen Sie uns doch einfach in Ruhe.“
Seine Stimme war vielleicht etwas zu scharf, denn das Pferd riss den Kopf hoch und wich vor ihm zurück. Noch nicht panisch, aber deutlich verunsichert.
„Naja, zur Zucht oder zum Schlachter wird sie ja wohl taugen. Aber ich hasse Verlustgeschäfte und ich hoffe du tust dein Bestes, dass das hier keines wird.“
Ignorieren, dachte Flo, ich muss diesen Idioten einfach ignorieren
Er würde die Stute selbst kaufen, wenn er es sich leisten könnte….

Er atmete tief ein und aus, einmal, zweimal…. Es duftete nach Heu und Pferden, er liebte diesen Geruch. Er beruhigte sich. Luna hatte ein Ohr in Richtung Stallgasse gedreht, das andere nach hinten.
„Ist schon gut, meine Schöne“, flüsterte Flo. Sie richtete ihre Ohren wieder auf ihn.
„Dann wollen wir ‘mal anfangen….“
Langsam griff er nach ihrem Halfter, befestigte den Führstrick und band sie fest. Dabei begann er leise zu summen. Mit der linken Hand klopfte er den Rhythmus auf seinem Bein, mit der rechten begann er sie zu striegeln. Er wusste, dass sie das mochte.

Striegel und Bürste waren schon längst wieder im Putzkoffer verschwunden, die Mähne war ordentlich geflochten, der Schopf fiel der Stute in weichen Wellen in die Stirn. Flo ließ seine Hände zärtlich über den Körper des Pferdes wandern, zeichnete das Brandzeichen mit den Fingern nach. PRE – Pura Raza Espanola, Pferd Rein Spanischer Rasse, ja, das war sie, wunderschön, stolz, anmutig, eben eine Tänzerin. Wäre sie ein Hengst, man würde ihr ihre Macken verzeihen – sie wäre perfekt.
„Zeig‘ ihnen was du kannst. Lass‘ uns miteinander Flamenco tanzen….“

„Beeindruckende Show…. Sie ist wirklich ein wunderschönes Tier, gut ausgebildet, vielleicht noch ein bisschen nervös. Kann ich sie probereiten?“
Flo zuckte mit den Schultern.
„Manche sagen sie ist schwierig oder schlimmeres. Sie können es gerne versuchen, wenn sie Sie an sich heranlässt….“
Er hatte nicht die Absicht potentielle Käufer anzulügen. Außerdem machte der Mann nicht den Eindruck als hätte er Erfahrung mit Pferden. Am Ende würde Luna selbst über ihr Schicksal entscheiden.

Der Mann ging langsam auf die Stute zu, den Kopf leicht gesenkt, mit hängenden Schultern. Luna bewegte nervös die Ohren, blähte die Nüstern. Flo kannte ihre Haltung. Sie war auf alles vorbereitet: Flucht, wenn man sie ließe, Angriff oder auch darauf, Nähe zuzulassen. Er ließ ihr Zeit, sich an den neuen Geruch zu gewöhnen. Als sie schließlich schnaubte griff er langsam mit einer Hand nach den Zügeln, mit der anderen strich er erst über die Nüstern, dann begann er sie zwischen den Augen zu kraulen. Flo spürte einen leichten Stich der Eifersucht als sie es zuließ.

Als er aufsaß stand Luna noch ganz still. Dann buckelte sie, machte zwei Bocksprünge und ihr Reiter lag auf dem Boden.
Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. Vielleicht war sie ja doch ein Miststück….

***

…ihre lange Mähne fiel in losen, schwarzglänzenden Wellen über ihren Hals. Flo fand immer, dass das Glanzspray zu sehr nach Friseur und damit nach Mensch roch, aber wenn er sich ganz tief zu ihrem Hals hinunter beugte, konnte er immer noch ihren Pferdeduft wahrnehmen. Aber ein bisschen schick herausputzen gehörte wohl dazu, wenn man tanzen ging. Er kraulte die schwarze Stute am Mähnenkamm, dann richtete er noch einmal die Rüschen an seinem Hemd. Showtime.

„… und nun die siebenjährige PRE-Rappstute La Luna Negra unter Florian Löwitz.“

Sie standen wie eine Reiterstatue perfekt regungslos in der Mitte der Manege, das Publikum ausgeblendet. Bei den ersten Gitarrenklängen des Flamencos schloss er kurz die Augen.

In diesen ersten Sekunden musste er immer an die vergangenen Jahre denken. Daran wie er sie das erste Mal gesehen hatte - ein Traum von einem Pferd, wunderschön, wild und scheu. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Und eine Herausforderung. Behutsam hatte er sich ihr Schritt für Schritt genähert, sie an Sattel und Zaumzeug gewöhnt. Sie hatte ihn mehr als einmal abgeworfen. Mehr als ein Interessent hatte seine Kaufabsichten wieder verworfen, nach dem er versucht hatte sie zu reiten.
Doch immer dann, wenn er seine Lieblingsmusik aufgelegt hatte, hatte sie sich von einer Sekunde auf die andere in eine selbstbewusste Tänzerin verwandelt - im Einklang mit der Musik und ihrem Reiter.

So wie jetzt. Er spürte ihre freudige Spannung, das Warten darauf, dass es endlich los ging. Flo öffnete die Augen wieder und lächelte. Ganz leise sagte er:
„Komm‘, Luna, lass‘ uns Flamenco tanzen.“

Letzte Aktualisierung: 13.06.2008 - 09.08 Uhr
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