Ganz schön bissig ...
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Juli 2008
Andromeda
von Sylvia Seelert

Warum ist er wieder da? Sie stand am Fenster, blickte über die Ziegeldächer in den fernen Horizont, der sich nach und nach in abendliches Rot kleidete. Die Seidengardine, aufgeschreckt vom Sommerwind, streifte ihre nackte Haut, umschlang für einen Moment die Hüfte, als ob sie ihre Blöße bedecken wollte.
„Komm zu mir, meine Andromeda!“
Der Wind verstummte und die Gardine schmiegte sich mit einem leisen Rascheln wieder an den Fensterrahmen. Sie schaute sich zu ihm um, lächelte. Wie sie diesen Namen hasste.
„Nun komm schon …“, lockte er sie mit seiner hellen Stimme. Ein Mann, groß wie eine Eiche, seine Arme, knorrige Muskelstränge, doch sobald er den Mund aufmachte, sprach ein Knabe mit heller Stimme zu ihr. Sie seufzte. Legte sich schließlich zu seinem warmen Körper, grub ihren Kopf in seine Halsbeuge und atmete Eichengeruch ein. Wenn er nichts sagte, war alles gut. Dann fühlte sie sich in seiner Stärke geborgen.
Du bist dumm! Schalt sie sich sogleich. Es ist nur ein Job. Und denke daran, was dir Dimitri erzählt hat.
„Du musst von den Sternen herabgestiegen sein“, flüsterte er und strich über ihre Haare.
Wie kitschig! Es schauderte sie. Dieser ganze Andromeda-Kram. Gekettet an den Felsen erwartete Andromeda ihr Schicksal, verflucht durch die Sünden ihrer Mutter Kassiopeia. Perseus, der noble Held, eilte mit seinen Flügelschuhen herbei und befreite Andromeda, beschützte sie vor Ketos, dem Ungeheuer, heiratete die Unschuldige. Die leicht bekleidete, üppige Andromeda lachte lüstern vom Wandgemälde auf sie herab. Perseus hingegen zeigte gänzlich, was er hatte, und schwang sein Schwert gegen das Ungeheuer. Eins der achtundvierzig Zimmer im Salon Nova. Jedes war einem der griechischen Sternenbilder gewidmet.
„Küss mich“, begehrte er und zeigte auf seine Lippen.
„Das kost’ Extra!“
„Ich bezahle jeden Preis. Nur küss mich!“
Sie küsste ihn. Er rieb dabei seine Hände an ihrer Brust. Ganz sanft. Spielte mit den Nippeln, ließ sie hart werden. Ihre Zunge leckte nun über seine Haut, kreiselnd, ihr Mund saugte mit weichen Lippen an seinen Brustwarzen, ihre Zähne knabberten daran. Sein Atem wurde schneller. Sie ging tiefer.
Befreien wollte er sie aus ihrem Schicksal. Bei jedem Treffen flehte er sie immer und immer wieder an. „Komm mit mir. Heirate mich.“ Sie lächelte jedes Mal und schüttelte den Kopf. Wie verletzt er sie dabei ansah. Feuchte Hundeaugen. Trotzdem kam er wieder. Immer und immer wieder. Bekam nicht genug von seiner Andromeda. Ein Liebeskasper. Ihre Kolleginnen verspotteten Kunden, die sich verliebten, mehr noch, sie nutzten sie oft aus, ließen sich von ihnen reichlich beschenken.
Wie behutsam er sie hielt. Immer ängstlich, er könnte sie zerbrechen. Sie spürte seine Erregung, massierte behutsam seine Hoden, nahm seinen Penis in den Mund und saugte daran. Er war nun soweit und so zog sie ihm flink ein Kondom über. Ohne Schutz lief nichts. Kunden wie er vergaßen das oft.
„Du bist zu schade hierfür.“ Mit Argumenten wie diesen versuchte er sie von hier wegzulocken, in ein normales, ein besseres Leben. Aber was ist schon ein besseres Leben?
Angekettet für die Sünden der Mutter. Mutter. Das Wort erfüllte sie mit Wut. Sie schlug ihre Nägel in seine Haut und er stöhnte auf.
Sie war stumm geblieben, in all den Jahren, die sie nur Kind sein wollte, in allen Augenblicken, wenn er zu ihr gekommen war. Nacht um Nacht. Er dürfe uns nicht verlassen, sonst wären wir verloren. Das waren die mütterlichen Schwüre, die nur ihm galten und nicht ihr. Angekettet. Mit sechzehn war sie gegangen. Die Mutter vergaß sie. Einen Vater hatte es nie gegeben.
„Du bist so wild heute“, keuchte er. Schweiß glitzerte auf seiner gebräunten Haut, Muskeln wölbten sich. Sie saß nun auf ihm, ritt ihn mit harten Stößen. Immer heftiger bis er aufstöhnte und erschlaffte. Er rollte sich zur Seite, krümmte sich wie ein Baby zusammen, hielt die Augen geschlossen.
„Du“, murmelte er, „die anderer Bande als dieser wert, der Bande, wodurch sich sehnende Herzen vereinen…“
Mal wieder zitierte er seltsame Worte, die sie nicht verstand, nicht verstehen wollte. Das wäre Ovid, hatte er ihren fragenden Blick beantwortet. Sie kannte keinen Ovid. Kaum vorstellbar, dass dieser Kindskopf täglich mit einer Bolzenpistole das Leben von Rindern auslöschte. Dimitri, Chef des Nova, der immer so um sie besorgt war, der ihr Gesicht wie ein aufgeschlagenes Buch las, immer an der richtigen Stelle, Dimitri nun hatte ihm nachspioniert und ihr detailfreudig berichtet, seine Worte mit Fotos belegt. Erneut jagte ein Schauder über ihre Haut.
„Du musst gehen!“
„Ich komme wieder.“
Als er fort war, blickte sie ein letztes Mal hinaus, blickte zu den Fenstern, hinter denen nach und nach die Lichter aufflammten. Die Menschen waren heimgekommen. Und irgendwo dort, jenseits aller Dächer und aller Sternenlichter, versank Perseus in seinem Traumbett, deckte sich mit Heldengedanken zu, unwissend, dass Ketos Andromeda bereits verschlungen hatte.

Letzte Aktualisierung: 27.07.2008 - 15.53 Uhr
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