„Na, Anton, nur noch morgen, dann gehst du in Ruhestand. Aufregend, oder? Was wirst du anfangen mit der ganzen freien Zeit? Mit deiner Frau schöne Reisen machen?“
Die Kollegin Elke Reifferscheid spielte die Besorgte, dabei war sie schlicht neugierig, weil er selbst an seinen letzten Arbeitstagen so wie immer war.
„Meine Frau macht sich nichts aus Reisen“, antwortete Anton Lohmüller.
Elke bohrte nach: „Was wird denn dein Ersatz sein, wenn du nicht mehr arbeiten kommst?“
„Ich werde schon was finden. Sieh du lieber zu, dass hier alles beim Alten bleibt und ich ab und zu auf einen Kaffee zu Besuch kommen kann. Und nun lass mir eine halbe Stunde Ruhe, ich hab noch die Akten Fernthaler, Krebelsberg und Wernfeld abzuschließen. So viel Zeit bleibt mir ja nicht mehr.“
Beinahe die letzten zwei Jahrzehnte seines Berufslebens hatte er hier in diesem Büro gesessen und ‚Fälle’ bearbeitet. Lebensversicherungen waren sein Fachgebiet, er war der Kontakt für die Hinterbliebenen, wenn es um den Empfang der Versicherungssumme ging. Die Spanne der Charaktere, die vor dem Schreibtisch gesessen hatten, war so breit wie ein Ozean. Es gab Naturen, denen man anmerkte, dass sie das Geld eigentlich gar nicht wollten. Viel lieber wäre ihnen der Mensch, den Anton ‚Versicherungsnehmer’ nennen musste. Wieder anderen hätte er einen Eimer vor den Stuhl stellen können, so sehr tropfte die Gier aus ihnen heraus, egal, wie sehr sie sich um Höflichkeit bemühten. Oft hatte er in den Himmel der Menschlichkeit gesehen, noch öfter aber in den Abgrund der Perversion.
Elke riss ihn aus den Gedanken: „Wernfeld, Wernfeld? Das ist der Typ, der seinen alten Schulkameraden als Begünstigten eingesetzt hat, oder? Peter Lustig, genau wie der Mann aus dem Fernsehen, ne? Wohnt der nicht ...“
„Ja“, unterbrach Anton sie, „auf den Cayman Islands ... und jetzt lass mich endlich einen Moment in Ruhe, sonst geb ich dir fünfzig Cent für die Parkuhr, dann kannst du die vo ...
Liebe Leserin, lieber Leser,
diese Geschichte gehört zu den Siegergeschichten und erscheint in unserer Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print. Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir uns nicht selbst Konkurrenz machen möchten, indem wir die Geschichte ebenfalls hier komplett veröffentlichen.
Vielen Dank!
Andreas Schröter
Letzte Aktualisierung: 31.07.2008 - 22.47 Uhr Dieser Text enthält 8892 Zeichen.