Bitte lächeln!
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Juli 2008
Ekel
von Bernd Kleber

Die Sonne stieg über die Dächer der Siedlung, über gepflegte Rasenflächen, die jeder Gartenfachzeitschrift gerecht würden. Sie zog ihre Bahn Richtung Zenit.
Das Haus am Ende der Straße war frisch gestrichen. Die Farbe schien sich als Nebel über das synthetisch anmutende Grün des Vorgartens ausbreiten zu wollen. Die Fensterläden waren neu. Aus der Küche wehten gestärkte Gardinen in den Garten.
Im Fenster zwischen den Gardinenfahnen zeigte sich der Kopf einer jungen Frau. Katharina, Hausfrau und Mutter, hantierte mit verbissenem Gesicht. Das Antlitz wirkte störend in der geometrischen Idylle, war verkrampft, der Mund zu einem schmalen Grat gepresst.
Ihr Arm hob und senkte sich schlagartig. Ein metallischer Gegenstand reflektierte kurz die Sonne. Die Amsel, die eben noch die letzten Strophen ihres Morgenliedes geträllert hatte, flog aufgeschreckt in den Nachbargarten.

Das Messer versank im Gewebe, die Klinge war nicht mehr zu sehen. Sie spürte, wie der Widerstand der Fasern sich vibrierend auf ihre Unterarm-Muskeln übertrug. Wie feine verklebte Wollfäden unter Anspannung, zerrissen die Fasern bei Berührung der Klinge.
Angewidert stach e erneut zu, zog die Klinge durch die sich nun teilende Masse gerade nach unten. Die Fleischfasern lagen frei. Sie wunderte sich über das Blut, welches ihr am Handgelenk herunter lief und sich auf der Tischplatte in kleinen Lachen, wie Kuhflecken verteilte. Wo kam all das Blut noch her? Sie musste fertig werden, bevor ihre Tochter aus der Schule kam. Die Küche sollte wieder rein und ohne jede Spur dieses Schlachtens sein.
Durch das Haus schreckten die Töne der Hausklingel. Sie sah zur Uhr. Wer konnte das sein?
Sie schob den Kopf aus dem Fenster und sah zum Hauseingang: „Hallo? Haaallo?!“
„Ach Frau Fritsch, ich habe hier eine Eilsendung für Ihren Gatten und brauch´ eine Unterschrift.“ Der Postbote grinste schmierig. Katharina sah auf ihre Hände.
„Moment!“ Mit dem Ellenbogen hob sie den Hebel der Mischbatterie an und hielt ihre Finger flüchtig unter das Wasser. Sie wischte ihre Hände an der Schürze ab und eilte durch den Flur.
Sein schmutziger Fingernagel zeigte auf die Zeile in dem elektronischen Gerät, wo sie mit dieser Plastikstricknadel kratzen sollte. Im Display erschien ihr Namenszug. Sie nahm den Umschlag an sich, nickte kurz und sehr freundlich. Mit ihrer Hüfte schob sie schwungvoll die Tür ins Schloss. Den Brief an ihren Mann legte sie achtlos neben die große Schale auf den Flurschrank und eilte wieder in die Küche. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, die Sauerei dort zu beseitigen.
Ein schlechtes Gewissen rührte sich in ihr. All das war so tot.
Wieder lief die Klinge durch das Fleisch. Katharina war wütend auf ihren Mann Jochen. Wie konnte er das nur verlangen?
Und schlug erneut einen Knochen mit berstendem Geräusch entzwei. Nicht ohne Stolz, stellte sie fest, welche Kraft sie besaß.
„Kathi... Katharina, hörst du mich? Was machst du da?... huhu“
Regine, ihre Nachbarin! Nein! Sie musste sie jetzt sofort loswerden. Diese Frau war immer dann zur Stelle, wenn man sie am wenigsten erwartete. Sie war die Litfaßsäule der Siedlung. Was sie wusste, ging über den normalen Klatsch hinaus, sie war das wandelnde Buch der Skandale und Entgleisungen, der Jubiläen und Affären. Und diese Ausführlichkeit kostete nur eine Tasse Kaffee und ein klitzekleines Geständnis aus dem eigenen Umfeld.
Weg! Weg! Weg! Sie musste die jetzt los werden!
„Regine!“, rief sie spitz „Hier!“ die Nachbarin durfte nicht die Terrasse und das Küchenfenster erreichen. Regine sah mit Wieselgesicht und blitzenden neugierigen Augen in ihre Richtung. Die makellos hergerichteten Haare sahen aus, wie aus einem Stück gefeilt. „Ach, hier bist du, was machst du da? Es klang wie Holzhacken?“
Katharina spürte ein schweres Gefühl im Magen und hatte das Bedürfnis aufzustoßen.
Dieses Gefühl in ihrem Oberbauch kannte sie aus ihrer Schulzeit vor den Prüfungen am Stufenbarren. Es krampfte in ihr.
„Du, ich habe gerade gar keine Zeit, ich komme nachher mal rüber zu dir und bringe dir gute Neuigkeiten mit“, sagte sie hastig. Regine sah sie lauernd an.
Katharina betete: Geh du neugierige Kuh, geh!
Regine, die kurz inne gehalten hatte, schritt weiter in Richtung Küchenfenster, lächelte und hob an: „Ach was gibt es denn? Erzähl gleich ...“
„Huhuuu!“, kreischte es von der Straße.
„Habt ihr schon das vom Altengruber gehört?“ Eine Frau, mit Einkaufstüten beladen, sah zu den beiden Frauen am Küchenfenster herüber und gackerte.
Regine drehte sich um. Wie eine Löwin, wenn sie einen größeren Happen in Aussicht hat, schritt sie in Richtung Straße. Sie schien in der Trance eines Neuheitenstrudels gefangen, hatte Katharina vergessen, die ihr hinterher blickte. War die Alte ihre Rettung gewesen?
Katharina hielt sich an der Kante der Arbeitsplatte fest, keuchte nun schwer und spürte die Krämpfe in ihrem Magen. Sie spuckte ins Becken und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Sie musste das Küchenfenster sofort schließen. Wie leichtsinnig! Die ersten Fliegen zogen Landeanflugkreise um das Fleisch auf der Platte.
Sie hieb weiter auf das Fleisch ein, schnitt hier etwas ab, dort etwas durch. Die Brocken mussten handlichere Portionen abgeben.
Unerwartet hörte sie Schritte. Sie warf das Handtuch über den Fleischberg.
Ihr Körper schnellte herum und blieb in der Türfüllung stehen. Panik! Man durfte jetzt nicht in die Küche sehen! Ihre blutigen Hände verbarg sie auf dem Rücken. Katharina sah in die Augen ihrer Tochter. Kontrollierend blickte sie auf das Ziffernblatt der Küchenuhr. Eine Stunde Arbeit war getan.
Das Kind schaute sie paralysiert an: „ Mutti, du hast ja Blut im Gesicht!“
Barsch antwortete sie: „Geh in dein Zimmer und mach´ Hausaufgaben. Ich rufe dich später runter.“
Ohne Widerspruch drehte sich das Mädchen um und ging die Stufen hoch.
Katharina wurde nervös. Ihr Kind sollte ohne Blut aufwachsen, sie wollte ihr den Anblick des Todes ersparen.
Sie ärgerte sich maßlos und sah angewidert auf den roten Fleischklumpen. Zuckte er noch?
Im Bad, eine Etage höher, klapperte es. Was machte ihre Tochter da so lange? Wusch sie sich? Oder spielte sie mit dem Wasser? Das Geräusch des abfließenden Wassers in der Leitung beruhigte, da sie ihr Kind im oberen Stockwerk wusste.
Geschickt teilte und zerschnitt sie jetzt, warf Fettstücke auf einen gesonderten Haufen.
Ihr Blick war starr, wie im Rausch. Ein Schweißtropfen fiel von ihrer Nasenspitze auf ein dunkelrot faseriges Stück. Wie in Zeitlupe sah Katharina entsetzt das Fallen. Der Tropfen schlug auf der zerfetzten Schnittfläche auf, zersprang in kleine Rinnsale. Ihr wurde erneut übel. Sie hielt den Kopf über das Waschbecken, in dem auch Fleischklumpen lagen. Katharina machte keuchende, bellende, würgende Geräusche. Speichel sammelte sich in ihren Wangentaschen. Sie kämpfte durch heftiges Gegenschlucken gegen den steigenden Brechreiz an, sie wollte sich hier keinesfalls übergeben. Sie hielt sich die Kehle.
Tränen liefen aus den Außenwinkeln ihrer Augen, sie brannten und ein Druck schien sie zerbersten lassen zu wollen.
Sie stellte sich keuchend aufrecht und war froh, dass der Mageninhalt sich nicht ergossen hatte. Nicht auszudenken, wenn sie sich jetzt nicht beherrscht hätte.
Es klingelte.
„Nein!“, schrie sie auf und warf das Messer in das Waschbecken, wo es laut schepperte. „Das gibt es doch nicht!“
Ihre Tochter kam die Treppe herunter gehopst und rief: „Ich geh schon, es ist Annemarie!“
Wieder rang sie nach Atem, sie griff nach einem Glas. Das rutschte ihr aus der schmierigen Hand und krachte auf den Fliesenboden. Sie musste sich setzen.
Die Tränen liefen wie Wasser, nach dem Öffnen eines Staudammes. Sie schluchzte und wischte sich erneut mit dem Handrücken durch das Gesicht. Der Geruch des Fleisches widerte sie an. Es roch nach Tod. Der Speichel schoss blitzartig mit dem stechenden Gefühl winziger Nadeln unter ihre Zunge. Der Magen zog sich krampfartig zusammen...

Stunden später saß sie mit ihrer Tochter und besah sich deren Schulhefte. Anscheinend hatte sie ihre Fassung wieder gefunden. Das Kind sah Regine prüfend an: „Wann kommt denn Papa endlich?“ „ Eigentlich können wir froh sein, wenn er heute noch nicht von seinem Treffen kommt.“, sagte sie lächelnd. Die Haare ihres Kindes ließ sie durch ihre manikürten Finger gleiten.
Da hupte es. Das Kind sprang auf und rannte zur Tür. Regine erhob sich langsam und schritt in die gleiche Richtung. Sie hörte ihre Tochter rufen: „Papa, Papa ...“, als sie in der Haustür stand und den Blick auf die Auffahrt richtete. Sie sah ihren Mann etwas von der Ladefläche zerren. Er zog und zerrte an zwei Läufen. Der Kopf eines Bockes kam in Sicht und klappte zur Seite. Einen Augenblick wirkte es so, als würde das tote Tier, mit der heraushängenden Zunge, anklagend Regine anschauen. Da explodierte sie : „So lange ich in diesem Zustand bin, wirst Du keine toten Tiere mehr hier anschleppen. Sonst kann ich für nichts garantieren!“ und hielt sich mit beiden Händen ihren prallen Bauch.

Letzte Aktualisierung: 12.07.2008 - 19.00 Uhr
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