Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Juli 2008
O Fortuna
von Sabine Barnickel

O Fortuna velut luna statu variabilis….

Es ist eine dieser Wohltätigkeitsveranstaltungen, der offizielle Teil ist vorbei – jetzt darf getanzt und gefeiert werden. Ich persönlich halte nicht viel von solchen nichtssagenden, vergänglichen Dingen, so stehe ich einfach an der Bar, wo die Musik nicht so laut ist, und beobachte die Tanzenden von hier aus. Ich habe sie längst entdeckt: in ihrem Abendkleid aus roter Seide leuchtet sie aus der Masse der trist-schwarzen Abendgarderobe heraus, ihre gold-blonden Haare und ihre saphir-blauen Augen strahlen mit ihrem Schmuck um die Wette. Swarovski-Kristalle, Glas, Tand – teuer, aber für mich spielt das keine Rolle.
Dann und wann schwirrt sie durch die Bar, trinkt einen Cocktail, unauffällig alkoholfrei, um frisch zu bleiben. Ab und zu streift der weitschwingende Rock ihres Kleides wie zufällig meine Beine, dann schenkt sie mir ein Lächeln. Ich lächle zurück und frage mich dabei kurz, wie sie mich sieht.
Sie genießt die Party, die Blicke und Aufmerksamkeiten der Männer, die sie auf sich zieht. Sie heißt Maren Schmidt, Anwaltsgattin, achtundreißig Jahre jung, in der Blüte ihres gesellschaftlichen und auch sonstigen Lebens.

Ihr Mann steht neben mir an der Bar und steuert mit Gauloises Blondes und viel zu viel Alkohol einen frühzeitigen Herztod an. Ich stehe schon seit über einer Stunde neben ihm und bis jetzt hat er mich noch nicht zur Kenntnis genommen. Er steigt gerade von Rotwein auf Wodka um, als er mich bemerkt. Jegliche Farbe weicht aus seinem Gesicht und er starrt mich sekundenlang mit offenem Mund an. Ich beachte ihn nicht weiter, so folgt sein Blick dem meinen und bleibt an seiner Frau hängen.
„Sie ist eine wunderschöne Frau, nicht wahr?“, sagt er. „Und sie verzaubert jeden, der es wagt sie länger als drei Sekunden anzusehen.“
Ich zucke mit den Schultern – nach außen hin mag es so wirken, als würde ich ihr auch gerade verfallen, so soll es auch sein. In Wahrheit lässt sie mich kalt – tragisch, wenn es anders wäre.
„Sie weiß das. Und sie nutzt das aus, immer und immer wieder. Hinterher sieht sie mich dann mit ihren blauen Püppi-Augen an, klimpert mit ihren langen Wimpern und verspricht mir: ‚Das war wirklich das letzte Mal. Hoch und heiliges Ehrenwort, mein Schatz. Bitte verzeih‘ mir.‘“ Er äfft sie im Falsetto nach, dann zündet er sich eine Zigarette an, bestellt sich noch einen Wodka. Er weiß, dass das nicht gut für ihn ist. Aber trotzdem, oder gerade deswegen tut er es. Er seufzt.
„Sie bricht mir das Herz mit ihren ständigen Affären, aber jedes Mal verzeihe ich Idiot ihr wieder. Und jedes Mal schwöre ich mir: das war endgültig das letzte Mal. Das nächste Mal werfe ich sie ‘raus.“
In seiner Stimme schwingt Resignation mit. Fast tut er mir leid, aber ich kann nur zusehen, wie er sich mit jeder Zigarette und jedem Glas Alkohol ein bisschen mehr selbst umbringt. Wie schade.
„Schau hin wie sie tanzt….“
Wie eine Blume im Wind, heute noch in voller Blüte und morgen?
Er seufzt. „… mit mir tanzt sie ja schon lange nicht mehr. Nicht mehr mit Herz. Naja, und ich würde wohl auch über meine eigenen Füße fallen…. Sie sagt ich trinke zu viel. Vermutlich hat sie recht.“
Ja, damit hat sie tatsächlich recht.

Ihre aufrechte Haltung, ihr stolzer Gang tragen ihr Selbstbewusstsein zur Schau, dabei ist sie eitler als ein Pfau. Gleichzeitig sprüht sie vor Lebenslust – und Rücksichtslosigkeit gegenüber denen, die sich ihr in den Weg stellen wollen, so wie ihr Mann. Ich verstehe die Entscheidung meiner Schwester und akzeptiere sie.

„Wenn sie dich fragt, ob du mit ihr tanzt…. Wirst du es tun?“
Seine Frage erstaunt mich. Natürlich werde ich es tun, deswegen bin ich hier. Ich wende mich von ihrem Anblick ab und sehe ihn an. Er ist immer noch leichenblass, doch er weicht meinem Blick nicht aus. In seinen Augen sehe ich Hoffnung und Trauer. Er liebt sie immer noch, dieser Narr. Obwohl ich weder zustimme noch verneine, weiß ich, dass er die Antwort kennt.

Sie kommt auf mich zu, kokett lächelnd. Sie setzt einen Fuß vor den anderen, schwingt dabei mit den Hüften – hier ist ihr Laufsteg, ihre Bühne. Ihr rotes Kleid umhüllt sie wie eine Flamme und sie ist die Feuerquelle.
„Würden Sie mit mir tanzen, Fremder?“
Ihr Mann schüttelt fast unmerklich den Kopf. Sie ignoriert ihn. Für einen Moment erwarte ich, dass er sich zwischen uns stellt. Meine Schwester würde sein Opfer annehmen, doch seine Resignation ist stärker als es sein Mut je war.
So neige ich in einer angedeuteten Verbeugung den Kopf und biete ihr wortlos lächelnd meinen Arm. Als ihre warme Hand auf meinem Arm zum Liegen kommt, spürt sie die Kälte.

Das Lächeln gefriert auf ihrem Gesicht. Niemand merkt es außer mir, sie sehen nur ein Paar, das im Einklang über die Tanzfläche schwebt. Ich spüre ihr Leben und ihre Angst.
Ganz leise, nur für sie hörbar, sage ich: „Hab‘ keine Angst, Maren.“

Sie gleitet aus meinen Armen auf die Tanzfläche, sanft, lautlos, leblos. Die anderen Paare weichen erschrocken zurück. Der ein oder andere wundert sich, wohin ihr Tanzpartner so schnell verschwunden ist. Nur einer sieht mich noch und ich kenne seine Frage:
„Warum hast du nicht mich genommen?“
Ich zucke mit den Schultern. Ist ihm nicht klar, dass er verpasst hat, das Schicksal selbst zu ändern? Sie sind wirklich Narren…. Wissen sie nicht, dass diese Entscheidungen nicht in meinem Ermessen liegen?
Denn diese Entscheidungen trifft meine Schwester Fortuna.

Letzte Aktualisierung: 14.07.2008 - 09.52 Uhr
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