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Juli 2008
„Warum der Mond so erschrocken guckt.“
von Elisabeth Lucas

Als ich vier war und mein Bruder sieben, saßen wir abends oft auf dem
Fensterbrett und beobachteten den Vollmond. Wir fragten uns, warum
er so erschrocken guckt.
Wir stellten die wildesten Theorien auf, dass zum Beispiel
Sternschnuppen zu nah an seinem Gesicht vorbei fliegen würden und ihn
erschreckten, oder dass die Milchstrasse Milch verliere und plötzlich
auf seinen Kopf tropfen würde. Eine zufrieden stellende Antwort fanden
wir jedoch nicht.
Unsere Mutter hatte, an solchen Abenden, jedes Mal aufs Neue
Schwierigkeiten uns in Bett zu bringen. Als Antwort auf unsere Frage,
entgegnete sie lediglich, dass es Zeitverschwendung sei sich über eine Sache
immer wieder den Kopf zu zerbrechen. Mein Bruder war damals mein
großes Vorbild, da er schon Lesen und Schreiben konnte. Aber
wahrscheinlich sind ältere Brüder, bis zu einem gewissen Alter, immer
Vorbilder für ihre jüngeren Schwestern.
Unser Vater war im Krieg. Wir waren noch zu jung, um zu verstehen,
was dies genau bedeutete. Wir wussten nur, dass Krieg etwas Böses war.
Unsere Mutter sprach mit uns nie darüber. Im Nachhinein glaube ich, dass
es ihr zu große Angst machte.
Ein paar Tage vor meinem fünften Geburtstag, saßen mein Bruder und ich
wieder auf dem Fensterbrett und beobachteten den Vollmond, nicht
wissend, dass es das letzte Mal sein sollte. Wir hörten plötzlich ein lautes
Klopfen an unserer Haustür, kurz danach eine Männerstimme. Wir konnten
jedoch nicht verstehen, was der Mann sagte. Kurze Zeit später vernahmen
wir den grellen Schrei unserer Mutter, der mich heute noch durch so manchen
Traum begleitet. Anschließend Stille. Ich weiß noch, dass ich zum ersten Mal
in meinem Leben Angst hatte. Mein Bruder nahm mich an die Hand und wir
schlichen in unseren Schlafanzügen die Treppen herunter, bis zum Flur. Vor
der Haustür lag ein Brief. Mein Bruder hob ihn auf und begann vorzulesen,
was in ihm stand.
„Ihr Mann…..g-e-f-a-l-l-e-n“, las er. Ich sah ihn erwartungsvoll an.
„ Papa ist gefallen“, sagte mein Bruder. „Hat er sich wehgetan?“,
wollte ich wissen. Mein Bruder blickte erneut auf den Brief. „ Steht
nicht drin.“ Er sah zur Sicherheit noch auf die Rückseite des Briefes,
doch die war leer. „ Ist er gestolpert?“, fragte ich ihn. „Da steht
nur, dass er gefallen ist“ „Was für ein blöder Brief! Jetzt wissen wir
nicht einmal, ob Papa sich wehgetan hat“, ärgerte ich mich. Mein
Bruder nickte zustimmend. „Ich frage mich nur, warum Mama so geschrieen
hat?“ „Vielleicht ist auch sie gefallen!“, vermutete ich. „Oh weia
und hat sich wehgetan!“, rief mein Bruder. Besorgt nahmen wir uns
wieder an die Hand und gingen in die Küche. Dort saß unsere Mutter am
Küchentisch, ihr Gesicht in ihre Hände vergraben, und weinte. Wir gingen
langsam auf sie zu. Als sie uns bemerkte, blickte sie auf. „Hast du dir weh-
getan?“, fragte mein Bruder. Meine Mutter nickte. „Bist du auch
gefallen?“, fragte ich sie besorgt. Sie lachte kurz auf, dann schloss
sie mich und meinen Bruder fest in ihre Arme. „ Nein. Gefallen ist nur
euer Vater.“, schluchzte sie. „ So schlimm?“, fragte mein Bruder
ängstlich. Meine Mutter nickte erneut. „ Hat er sich doll wehgetan?“,
wollte ich wissen. „ So schlimm, dass er nicht mehr nach Hause kommen
kann.“, antwortete sie leise. „ So Schlimm!“, riefen mein Bruder und ich
erschrocken. Unsere Mutter ließ uns wieder los und setzte uns jeweils
auf einen Stuhl. Dann stellte sie sich vor uns. Ich kam mir vor wie in der
Schule, obwohl ich noch nie da gewesen war. „Wenn jemand im Krieg fällt
…also gefallen ist“, stotterte sie, „ … dann heißt das, dass er nicht mehr
zurückkommt…, dass er gestorben ist.“ „ Tot?“, fragte ich leise und
blickte hilfesuchend zu meinem Bruder. Er nickte.

An diesem Abend fanden wir unsere Erklärung, warum der Mond so oft
erschrocken guckt: Weil Menschen im Krieg fallen, so wie unser Vater.

Von nun an bestand ich jeden Abend darauf, dass mein Bruder, vor dem
Schlafen gehen, die Vorhänge vor dem Fenster zuzieht.

Auch heute fällt es mir, wie Vielen, schwer bei Vollmond zu einzuschlafen.

Letzte Aktualisierung: 11.07.2008 - 16.38 Uhr
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