Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Juli 2008
La Tour Eiffel
von Eva Fischer

Es war halb sechs, als sie wach wurde. Hatte sie Reisefieber?
Um halb acht saß sie in ihrem kleinen roten Wagen und fuhr Richtung Aachen, vorbei an Liège und Namur. Von Mons aus waren es noch 6 km bis St.Ghislain.
Sie wechselte die Radiosender, von WDR 2 zu einem belgischen Sender, sie genoss die französischen Worte, schöner als jedes Gedicht.
St. Ghislain, ein kleiner Ort in Belgien, mit einem großen Platz und einer kleinen Einkaufsstraße. Sie wollte ihn besuchen. Er hatte sie eingeladen.
Er schaute auf die Uhr. Nun müsste sie sich eigentlich melden. Sie hatte um acht Uhr losfahren wollen und versprochen, von Mons aus anzurufen. Er war etwas nervös, betrachtete sich im Spiegel. Er hatte ein frisches weißes Hemd angezogen, dazu seine gute graue Hose, die er wie immer durch einen Hosenträger festhielt. Seine Haare hatte er sehr kurz schneiden lassen, wie es im Augenblick modern war, und er hoffte, dass die neue Frisur ihn jünger machte. 73 war er geworden. Das war alt, aber so fühlte er sich nicht. Er fühlte sich noch als Mann. Manchmal.
Da klingelte sein Handy. Sie war es. Sie stand auf dem großen Platz, wartete auf ihn. „Ich komme gleich“ sagte er und warf noch einmal einen Blick auf die blitzsaubere Wohnung. Seine Lebensgefährtin saß auf dem Balkon zwischen den roten Geranien, die sie mit Liebe gepflanzt hatte, und schaute ihm unsicher nach.
Er erkannte sie sofort. Die Sonne schien und er umarmte sie. „Du hast dich überhaupt nicht verändert“, sagte er. Sie nahm es als Kompliment, aber sie wusste, dass es nicht stimmte.
Um welchen Zeitraum ging es? Das letzte Mal hatten sie sich vor zwei Jahren in Liège gesehen. Da hatte sie sich sicher nicht verändert, aber sie kannten sich seit 25 Jahren und beide hatten sich seither sehr wohl verändert. Sie waren alt geworden. Die Falten kamen und der Bauch bei ihm war größer geworden, aber beide hatten noch ihre wachen, lebenslustigen Augen.
Er wagte nicht, sie bei der Hand zu nehmen. Sie folgte ihm zu dem modernen Häuserblock. Vorsichtig öffnete er die Haustür. Sie fuhren gemeinsam die drei Etagen mit dem Aufzug hoch. „Das ist jetzt mein neues Domizil“ sagte er stolz. „Ich habe mein Haus verkauft.“ „Das war eine gute Idee“ erwiderte sie und dachte, dass er ein Hans im Glück war, der sich langsam von allem Ballast trennte.
Sie überreichte ihre Geschenke. Eine Tasse für seine Lebensgefährtin und eine Schachtel Pralinen. Ein Bierglas für ihn und eine Flasche Sekt. „Ich weiß, ich hätte Bier mitbringen müssen“ sagte sie. “Aber du trinkst das belgische Bier lieber als das deutsche.“ Sie hatte für die Lebensgefährtin weiße Hortensien. „Ich liebe Blumen,“ sagte sie und umarmte die andere herzlich.
„Was darf ich dir als Aperitif anbieten?“ fragte er. „Was hast du anzubieten?“ entgegnete sie.
Früher hatte er eine Flasche Champagner ihr zu Ehren gekauft und kühl gestellt. Diesmal gab es einen süßen belgischen Likör, den offensichtlich die Lebensgefährtin gern mochte.
Nach ein oder zwei Stunden, und nachdem sie durch die neue Wohnung geführt worden war und alles bewundert hatte, sagte er: “Du siehst die Küche unbenutzt. Wir werden essen gehen. Leider hat das Restaurant meiner Wahl geschlossen, aber wir werden schon etwas finden.“
Sie setzten sich ins Auto, aber tatsächlich hatte auch das nächste Restaurant geschlossen. Sie fuhren weiter und fanden endlich eins, das geöffnet hatte. Es sah nicht einladend aus. Sie waren die einzigen Gäste. Vielleicht lag es daran, dass es mittlerweile halb drei war.
Die Lebensgefährtin wählte Krabben, sie suchte sich eine geräucherte Forelle mit Orangen aus. Er aß Nudeln. Sie wusste, dass er Nudeln hasste und am liebsten Kartoffeln aß. Aber sie waren beim Italiener.
Als sie den Fisch probierte, erschrak sie. Er schmeckte schauderhaft. Sie hatte Hunger. Es half alles nichts.
Als Nachtisch wählte sie einen Crêpe und hoffte so, satt zu werden, aber auch er schmeckte nicht.
Als die Rechnung kam, stellte er fest, dass er kein Geld dabei hatte. Seine Scheckkarte wurde nicht akzeptiert. „Kein Problem. Ich zahle,“ sagte sie, aber da hatte schon die Lebensgefährtin ihr Portemonnaie gezückt und zahlte für alle.
Sie fuhren zurück, gingen ein bisschen durch die benachbarte Grünanlage spazieren, setzten sich auf seinen Wunsch auf eine Bank in den Schatten. Er redete wie immer viel. Sie schaute auf die Tennisspieler und erinnerte sich daran, dass auch sie einst gern Tennis gespielt hatte.
Als sie in die Wohnung zurückgekehrt waren, nahm er eine Zeitung und las. Sie entschuldigte sich unter dem Vorwand, sie suche ein Buch für ihren Mann und entschwand.
Es war sechs Uhr und die Buchhandlung hatte geschlossen. Das hatte er gewusst, aber er hatte sie gehen lassen.
Sie ging durch die Straßen, suchte nach einem Hotel, fand keines. Ein paar Jugendliche saßen in den Straßencafés und tranken einen Aperitif.
Den Aperitif bekam sie bei ihrer Rückkehr auch. Es war süßer deutscher ungekühlter Weißwein. „Oh je. Das gibt morgen Kopfschmerzen“, dachte sie, aber sie hatte keine Wahl.
Als sie schon nicht mehr an ein Abendessen glaubte, stellte man ein paar Scheiben Brot und zwei Sorten Wurst auf den Tisch. “Ich esse spät, damit ich nicht mehr nasche“, sagte er. Kurz darauf gingen sie zu Bett.
Sie schlief gut allein in dem großen Ehebett. Wie er mit seiner Lebensgefährtin auf dem aufgepumpten Bett im Wohnzimmer geschlafen hatte, das wusste sie nicht, aber sie hörte am Morgen fröhliches Lachen.
„Ich habe einen Wunsch“ sagte sie. „Ich möchte gern nach Mons fahren.“
Er war nicht begeistert. Er mochte die Großstadt nicht. Aber Mons war keine wirklich große Stadt verglichen mit der Stadt, in der sie wohnte. Er hatte sie bewundert, wenn sie unbeirrt durch den Morgenverkehr fuhr und er neben ihr saß. „Ich fahre auch“, kam sie ihm zuvor. Die Lebensgefährtin war begeistert über die Abwechslung.
„Ich weiß nicht, wie das mit den Parkplätzen ist“, wendete er ein. „ Ich finde schon was“ versicherte sie ihm und tatsächlich war es kein Problem unweit vom Zentrum einen Parkplatz zu finden.
Sie war ergriffen, fast geblendet von der Schönheit der Stadt. In helles Sonnenlicht getaucht wirkten die Häuser wie frisch gestrichen und herausgeputzt. Eine Straße lockte mit ihrer Vielfalt an Geschäften. „Jetzt ein Stadtbummel unter Frauen“ dachte sie, aber er spielte den männlichen Spaßverderber und mahnte sie, die Kirche anzusehen.
Die Begeisterung ließ sich wie Wasser umleiten, aber nicht stoppen. Sie schaute sich die Seitenaltäre an, fand sie wunderschön. Er saß auf der Bank und wartete auf sie.
Er erinnerte sich, als sie ihm am Vorabend das Bild ihres Führerscheins gezeigt hatte. Eine schöne junge Frau hatte ihm entgegengelächelt. Er hatte sie einst begehrt, ihre Brüste streicheln wollen. Nach Jahren hatte er sich endlich getraut, sie geküsst, aber sie hatte seinen Kuss nicht erwidert. Sie ist unnahbar wie diese kalten Heiligenstatuen, dachte er bitter.

Sie hörte laute Musik, als sie zurückfuhr. Chansons d’amour, die sie so sehr liebte. Das mittelalterliche Mons hatte ihr gut gefallen. Sie wäre gern länger geblieben. Bis zum Schluss hatte er gemeint, ihr gute Ratschläge geben zu müssen. Er ist nicht mein Vater, auch wenn er 18 Jahre älter ist. Sie liebte ihre Freiheit. Das war der stabilste Baustein ihrer Ehe.
Das war ihm fremd und das hatte er wohl missverstanden.
Pour un flirt avec toi, je ferais n’importe quoi, erklang es aus dem Lautsprecher.
Pour un flirt, sang sie mit und seufzte.

Letzte Aktualisierung: 27.07.2008 - 16.03 Uhr
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