Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
Bibliothekarsgehilfe Guido Kümmer hastete auf die wartenden Kollegen zu, erreichte seinen Platz und nahm Haltung an.
„Guido!“, blaffte die Bibliotheksmeisterin und baute sich vor ihm auf. „Wie lautet unsere Devise hier in der BO?“
„Präzise pünktlich prüfen!“, antwortete er wie aus der Pistole geschossen.
„Und waren Sie pünktlich?“
„Nein, Fräulein Hilda. Aber ich werde mich bessern.“
Die Bibliotheksmeisterin nickte. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein lebendig gewordenes Klischee, mit ihrem grünen Hosenanzug, dem Dutt und der rot lackierten Flügelbrille. Doch hinter der harmlos verschrobenen Fassade verbarg sich eine knallharte Veteranin. Wenn sich ihre Jacke in einer Bewegung öffnete, sah man Teile eines Koppeltragegestells, an dem zwei Bajonette hingen.
„Na schön, Mannschaft. Die Bücher sind unruhig, und Ulf wird seit der Nachtschicht vermisst. Diejenigen von euch, die schon länger dabei sind, wissen, was das bedeutet.“
„Wir uns stecken bis zu Hals in Scheiße“, sagte Boris, der Leiter der Fremdsprachenabteilung. „Sehr böse, wenn Bücher spazieren gehen.“ Ihm lief der Schweiß über die Stirn.
„Vielleicht sollten wir auf die Zuständigen warten“, schlug Ronny vor. Guido konnte den Bibliothekar nicht leiden; er nannte ihn Herrn Dienst-nach-Vorschrift. „Die Spezialeinheit ...“
„Nein!“ Hilda fuhr wie ein Springteufel dazwischen. „Solange ich hier das Kommando habe, kommen mir diese Schlägertypen nicht ins Haus! Es ist meine Bibliothek, und ich will zur Hölle fahren, wenn wir unsere Probleme nicht allein bewältigen.“
Betretenes Schweigen folgte. Hoffentlich ist es nicht wie bei Felix, dachte Guido.
Jeder wusste über Felix Bescheid. Er war ein Bibliothekarsgehilfe gewesen – jung, vielversprechend –, bis ihn eines Tages ein Buch in seinen Bann gezogen hatte. Wenn nur die Hälfte von dem stimmte, was die älteren Bibliothekare berichteten ...
„Also gut“, fuhr Hilda ruhiger for ...
Liebe Leserin, lieber Leser,
diese Geschichte gehört zu den Siegergeschichten und erscheint in unserer Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print. Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir uns nicht selbst Konkurrenz machen möchten, indem wir die Geschichte ebenfalls hier komplett veröffentlichen.
Vielen Dank!
Andreas Schröter
Letzte Aktualisierung: 31.08.2008 - 22.12 Uhr Dieser Text enthält 10290 Zeichen.