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August 2008
Alles nur Schnickschnack?
von Robert Pfeffer

„Verehrte Frau Kampmann, Berger mein Name, ich komme vom örtlichen Lokal-Anzeiger. Ich danke Ihnen sehr für die Möglichkeit dieses Interviews.“
„Ja, ist gut, junger Mann. Setzen Sie sich. Was wollen Sie denn eigentlich von einer alten Frau wie mir erfahren?“
„Gestatten Sie?“ Er deutete auf das Mikrofon.
„Machen Sie ruhig. Hoffentlich verträgt sich das Ding mit meinem Hörgerät.“

Olaf Berger schaltete den Rekorder auf Standby und richtete das Mikrofon auf Verena Kampmann, die ihm gegenüber auf dem Sofa saß. Obwohl an dem strahlenden Spätsommertag die Sonne gerade hoch am Himmel stand, drang in diesen und auch alle anderen Räume kaum Licht. Das Wohnzimmer war eine Ansammlung von Brokat unter einer dunklen, mit Holz getäfelten Decke. Die Kissen und die Polster des Sofas, auf dem die 68-Jährige saß, sahen im Halbdunkel aus wie eine Fortsetzung der mit einem Relief-Muster versehenen Tapete. Ihn schauderte beim Anblick der Streifen. Die aufgenähten Borten dazwischen wirkten wie eine Reling, an der sich die mehrfache Millionärin festzuhalten schien. Aber Olaf Berger war nicht gekommen, um stilistische Verbrechen beim Interieur in Millionärsvillen aufzuspüren, sondern weil er der erste lokale Redakteur war, der Verena Kampmann überhaupt zu ihrer persönlichen Vergangenheit befragen durfte. Stets hatte die Frau ein Geheimnis aus ihrem Aufstieg gemacht, die wie aus dem Nichts in der Szene aufgetaucht war, eine kleine Brauerei gekauft hatte und mit ihrem Pfälzer Quellbier jahrzehntelang bundesweit die Marktführerin in Sachen naturtrüber Landbiere war. Konsequent hatte sie alle Fragen zu ihrer Herkunft und ihrer Vergangenheit mit „Kein Kommentar“ beantwortet. Weder der örtlichen Presse noch irgendwelchen überregionalen Boulevard-Journalisten war es gelungen, Leute aus ihrem Umfeld zu isolieren, die für größere Geldbeträge etwas preisgegeben hätten. Sie galt über mehr als dreißig Jahre als Selfmade-Frau ohne Historie. Bis jetzt ...

Olaf Berger drückte den Aufnahmeknopf.

„Frau Kampmann, Sie haben bislang nie über Ihre Vergangenheit gesprochen. Warum?“
„Wen hätte das interessiert? Hätte ich Ihnen gesagt, dass ich aus ärmlichen Verhältnissen stamme, dass mein Vater Gleisarbeiter war und meine Mutter Putzfrau, dann hätten Sie doch nur weiter gestochert und sich gefragt, wo diese Kampmann plötzlich herkommt. Sie und Ihre Kollegen hätten jeden Stein umgedreht, weil Ihnen der Respekt für den Mindestabstand fehlt!“
„Wie kommt es dann, dass Sie mich heute empfangen?“
„In den letzten Monaten gab es mehr und mehr Spekulationen, nachdem ich meine Brauerei verkauft habe. Mit diesem Interview möchte ich dieses Gerede beenden. Außerdem wusste ich, dass Sie Langeweile haben und da wollte ich Ihren trockenen Alltag ein wenig aufmöbeln.“ Die ältere Dame lächelte über den ersten kleinen Sieg, denn für einen Moment schwieg Olaf Berger und musste nachdenken, was ihm diese Antwort sagen sollte. Er entschloss sich, sie einfach zu übergehen.
„Ich würde gerne wissen, wie Sie Ihre erste Million gemacht haben?“
„Für diese Frage müsste ich Sie einen einfältigen Schnösel schimpfen, Sie kleiner Provinzschreiber!“
Berger ließen solche Bemerkungen mittlerweile kalt. Er wusste, die besten Geschichten waren aus den Leuten herauszuholen, wenn er genug provozierte, denn meist antworteten sie, um endlich ihre Ruhe zu haben.
„Nun, Sie leben seit Jahrzehnten in der Gegend, verbarrikadieren sich in diesem abgedunkelten Haus. Die Leute wollen wissen, wer Sie sind. Und sie wollen wissen, woher die Millionen kommen, die sie schon hatten, bevor sie die Brauerei kauften.“
Die alte Dame sah hinüber zum Vorhangspalt, durch den ein wenig der Helligkeit von draußen drang.
„So dunkel ist es, weil ich an einer Sonnenallergie leide. Und es war etwas mehr als eine Million, die ich vorher hatte. Um genau zu sein 1.043.364 Mark. Und 50 Pfennig. Aber die Antwort auf Ihre eigentliche Frage lautet: Weil ich einem besonderen Menschen begegnete, einem besonderen Buch und weil das Leben mir einen Zettel zugesteckt hat, junger Mann.“
„Was stand denn auf dem Zettel?“
„Nicht so schnell. Ich möchte, das Sie das verstehen. Wissen Sie, was eine Kerb ist?“
„Das ist ein Rummelplatz, oder? Eine Kirmes, ein Dom, sagen sie in Hamburg.“
„Ja genau. 1956 im August war ich in meinem Heimatdorf mit meinem Vater auf der Kerb. Wir hatten so gut wie kein Geld, aber weil ich Geburtstag hatte, erfüllte mir mein Vater einen großen Wunsch und ging mit mir dort hin. Es gab ein Kettenkarussell. Schon immer war es mein Traum gewesen, meine Zöpfe im Wind fliegen zu lassen. Wie oft hatte ich mir das vorgestellt. Und nun fuhr ich Kettenkarussell. Es war unbeschreiblich.“
„Und was ist nun mit dem Zettel?“
„Wenn Sie mich noch mal drängen, schmeiße ich Sie raus!“
Berger zuckte zusammen und warf dabei fast den Ständer des Tischmikrofons um. Kleinlaut entschuldigte er sich. „Fahren Sie bitte fort.“

Verena Kampmann wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, trank einen Schluck Wasser und tauchte wieder in ihre Erinnerungen ein.
„Die Karussellfahrt kostete 30 Pfennig und das war eigentlich schon mehr, als mein Vater entbehren konnte. Oft hat er mir später noch gesagt, dass er mich selten so glücklich gesehen hat und deshalb war er auch herumzukriegen, als ich noch einen Wunsch äußerte. Wir standen vor einem kleinen Zelt.“
Berger wusste nicht, wie er eine Zwischenfrage stellen sollte, ohne vielleicht einpacken zu müssen, also wartete er einfach ab, bis die Millionärin von selbst weitermachte.
„Es sah aus wie eines dieser Römerzelte in den Historienfilmen und draußen hing ein Schild. Darauf stand in leicht bröckeliger Schrift etwas, das ich nicht verstand.“
Berger konnte sich nicht im Zaum halten: „Was war so schwer zu verstehen?“
„Madame Futura blickt in Ihre Zukunft!“
„Was ist denn daran schwer zu verstehen? Es ist eine Wahrsagerin, das erkennt man auch am Namen, oder?“
„Sie müssen noch lernen, sich in Ihre Interviewpartner besser einzufühlen. Natürlich ist das heute klar, aber ich war damals 16 und ich hatte einfach keine Vorstellung davon, wie jemand in die Zukunft blicken kann.“
„Hat sie in eine Kristallkugel geschaut, oder Ihre Handlinien mit Kaffeesatz bestrichen?“
„Herr Berger, ich hatte Sie gewarnt. Sie wollen etwas von mir, nicht ich von Ihnen.“
„Bitte entschuldigen Sie, aber wenn es etwas gibt, was man nicht ernst nehmen kann, dann sind es diese Hobby-Astrologinnen, die den Leuten irgendeinen Schnickschnack erzählen, der so dehnbar ist, dass er auf alles passt.“
„Das mag sein, aber Madame Futura machte einen seriösen Eindruck. 50 Pfennig kostete mich der Gang in ihr Zelt und es bedurfte einiger Überredungskunst, weil mein Vater exakt so dachte wie Sie.“
„Was hat sie Ihnen denn erzählt? Dass Sie mal Millionärin werden?“
„Sie hat mich gefragt, was ich wissen möchte. Und ich sagte ihr, ich würde gerne wissen, ob nächstes Jahr wieder ein Kettenkarussell auf der Kerb ist.“
„Allen Ernstes, das haben Sie gefragt?“
„Ja, ich war so glücklich auf dem Karussell, dass ich immer noch ganz unter diesem Eindruck stand. Madame Futura lächelte und blickte tatsächlich kurz in eine Kugel. Sie sähe das Karussell, sagte sie, ich solle mir keine Sorgen machen. Dann wollte ich noch wissen, ob ich mein Abitur schaffen würde. Auch das sei kein Problem, antwortete sie mir. Als sie ein drittes Mal fragte, ob ich noch etwas aus der Zukunft wissen wolle, bedankte ich mich artig und wollte schon wieder gehen, als sie mich zurückhielt.“
„Jetzt kommt die Million“, schob sich Berger wieder dazwischen.
„Sie haben eine wirklich unselige Art, Gefühle nicht zu erkennen, wenn sie im Raum sind. Halten Sie die Klappe und hören jetzt endlich zu!“

Berger lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
„Ok, ich werde Sie nicht mehr unterbrechen.“
„Madame Futura forderte mich auf, mich wieder zu setzen. Sie sagte, eine solche Bescheidenheit habe sie lange nicht erlebt, ich möge warten. Sie zog ein Buch unter dem Tisch hervor und schlug es auf. Ich konnte nicht erkennen, was vorne draufstand, aber es war ein sehr großes und schweres Buch, in speckigem Ledereinband. Sie blätterte nur bis auf die zweite Seite. Von schräg vorne sah es aus, als enthielte sie lange Zahlenkolonnen. In einer Zeile hielt sie den Finger, griff nach einem Zettel und schrieb etwas darauf. Anschließend faltete sie ihn, sagte mir, ich solle ihn meinem Vater geben und ihm ausrichten, dass der 2. September 1956 ein wichtiger Tag werden würde. Dann wünschte sie mir alles Gute und ich ging hinaus.“

Berger konnte sich kaum an der Rückenlehne halten. Zu gerne wollte er eine Frage stellen, aber diesmal traute er sich wirklich nicht mehr.

„Mein Vater nahm den Zettel und hörte sich an, was ich ihm sagen sollte. Er steckte ihn ein und schwieg. Erst 18 Jahre später, im Angesicht seines Todes, gab er ihn mir zurück. Auf dem Zettel standen sechs Zahlen: 14, 26, 31, 40, 48 und 49. Mein Vater war am 2. September 1956 in der Lottobude unserer Straße und kurz darauf Millionär. 18 Jahre sagte er keinen Ton dazu und vererbte mir den Betrag, den ich Ihnen eingangs nannte. Von den Zinsen gönnte er sich selbst ein paar Kleinigkeiten. Wissen Sie, er war ein Mann, der nie viel sprach. Erst an diesem Abend ließ er mich wissen, dass er davon überzeugt war, das Geld hätte mich verdorben, wäre ich früher damit in Berührung gekommen. Er hätte noch länger gewartet, aber er wusste, dass er nicht mehr konnte. Eine Woche später starb er.“

Olaf Berger schaltete schwerfällig das Aufnahmegerät ab. Einige Sekunden Schweigen, dann fragte er: „Frau Kampmann, kennen Sie Karin Tietze-Ludwig?“
„Sicher. Sie werden verstehen: Die Lottofee ist sie aber nicht.“

Zurück in der Redaktion, googelte Berger nach „Madame Futura“. 323.000 Treffer. Nächste Suche: „Speckiger Ledereinband“. 51 Treffer. Sollte er sich von einer Wahrsagerin einen Tipp in Richtung Nadel im Heuhaufen geben lassen? Die Kampmann hatte ja auch Glück. Hoffentlich bekommt niemand mit, dass er sich auf Schnickschnack einlassen würde.

Letzte Aktualisierung: 23.08.2008 - 19.22 Uhr
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