Das alte Buch Mamsell
Das alte Buch Mamsell
Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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August 2008
Dusty
von Regina Lange

Toby hatte Langeweile und vertrieb sich die Zeit damit, das große Haus seines Großvaters zu erkunden.
„Ich muss heute einige Dinge erledigen, die fast den ganzen Tag in Anspruch nehmen werden. Luise ist hier. Sie wird sich um dich kümmern!“, hatte Tobys Großvater ihm erklärt und war in die nächstgelegene Stadt gefahren.
Großvater wird bestimmt erst heute Abend wieder nach Hause kommen, dachte Toby. Und Luise, die Haushälterin, hatte genug zu tun.
Toby ging eine Marmortreppe hinauf in den ersten Stock. Er staunte nicht schlecht, wie viele Türen ein langer Flur beherbergen konnte. Er ging langsam und schaute sich neugierig um. Viele alte Bilder verzierten die Wände des Flures. Toby hatte keine Ahnung, ob das teure Gemälde waren. Plötzlich blieb er an einer Mahagonitür stehen. Ein bekannter Geruch stieg ihm in die Nase. Es roch nach Papier, Staub und Büchern.
Das muss Großvaters Bibliothek sein. Toby schaute sich um. Niemand zu sehen. Er drückte die Klinke herunter und öffnete zaghaft die Tür, die mit einem quietschenden Geräusch antwortete. Toby hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Er blickte über seine Schulter zum Flur. Nichts! Luise hatte bestimmt nichts gehört. Toby stieß die Tür nur so weit auf, dass er bequem in das Zimmer hineinschlüpfen konnte.
Wow! Er stand mitten im Raum, umzingelt von Regalen, die unendlich viele Bücher enthielten. Toby drehte sich um seine Achse und bestaunte mit offenem Mund die Wunderwerke der unterschiedlichsten Autoren. Er dachte an seine Bücher zuhause. Immerhin besaß er mit zehn Jahren schon drei prall gefüllte Regale. Aber das hier sprengte seine Vorstellungskraft.
Das müssen ja hunderte, ach tausende sein… Ob sein Großvater alle Bücher gelesen hatte? Er bezweifelte das.
Toby näherte sich vorsichtig den Wandregalen und beäugte die Exemplare aus der Nähe. Er spürte, wie sein Herz vor Aufregung bis zum Hals pochte. Er liebte Bücher über alles und war nicht, wie seine Freunde an Computerspielen interessiert. Toby hatte seine eigene Fantasie und wollte seine eigenen Figuren und Bilder im Geiste während des Lesens kreieren.
Toby las die Titel auf den Buchrücken: Die Schatzinsel, Tom Sawyer und Huckleberry Finn, Winnetou,…….
Toby fühlte, wie Hitze in ihm aufstieg. Er fasste sich an seine glühenden Wangen. Puterrot musste er aussehen. Egal! Er ging langsam weiter am Wandregal entlang und sein Blick fiel auf ein scheinbar sehr altes und abgegriffenes Exemplar. Mit zittrigen Händen nahm er es aus dem Regal.
„Dusty“.
Toby drehte und wendete den total eingestaubten Schmöker.
Er setzte sich auf den Fußboden der Bibliothek und blätterte in den Seiten des Buches. Alter, muffiger Staub kroch in seine Nase. Toby musste mehrmals niesen.
Wer dieses Buch gelesen hat, muss es vor langer, langer Zeit getan haben, dachte Toby und begann zu lesen. Er tauchte in die Welt von Dusty ein und verlor jegliches Gefühl von Zeit und Ort.
Ein seltsames Geräusch unterbrach ihn beim Lesen und er schreckte hoch. Sein Blick glitt durch die Bibliothek.
Was war das?
Toby legte das Buch zur Seite und schaute sich ängstlich um.
Da schon wieder!
Nun erkannte er das seltsame Geräusch. Es hörte sich an, als ob jemand mit höchster Geschwindigkeit durch die Seiten eines Buches blätterte.
„Hallo“, eine leise, krächzende Stimme ertönte.
„Wer ist da?“, fragte Toby im zitternden Tonfall und bewegte sich schon langsam rückwärts Richtung Ausgang.
„Ich bin’s, Dusty.“
„Dusty?“, fragte Toby ungläubig.
„Hier bin ich. Bei der Schatzinsel!“
Toby drehte seinen Kopf zum Wandregal und spähte zum Buch.
Was zum Kuckuck saß da auf dem Buchrücken und sprach auch noch zu ihm?
„Wer bist du?“, wollte Toby wissen.
„Du kennst mich schon!“, rief die leise, krächzende Stimme von der Schatzinsel herunter.
„Du kannst mich doch sehen, oder?“
„Ja, ich sehe dich, aber ….“
Toby konnte es nicht fassen.
Sollte es tatsächlich …, nein das kann nicht sein, dachte er und rieb sich die Augen.
„Traust du deinen Augen nicht?“
Toby schüttelte seinen Kopf. „Bist du wirklich Dusty?“
„Komm’ doch näher heran. Dann siehst du mich besser!“
Toby schlich sich förmlich zum Bücherregal heran und beäugte die kleine Kreatur mit der krächzenden Stimme.
Tatsächlich, es war Dusty.
„Dich gibt es wirklich?“
„Natürlich!“
Dusty sah genauso aus, wie in dem Buch beschrieben. Er hatte einen langen Schal um seinen schlangenartigen Körper gewickelt. Sogar die Brille mit den runden Gläsern trug er. Obwohl Toby gestehen musste, diese Art von Lebewesen noch nie mit Brille gesehen zu haben.
„Was tust du hier?“
„Ich lebe hier und passe auf die Bücher auf!“ Dusty rutschte von der Schatzinsel herunter und kroch langsam auf dem Regal entlang.
„Du kleiner Wurm ganz allein? Auf diese vielen Bücher hier?“, staunte Toby.
„Jo!“ Dusty bewegte sich weiter zum nächsten Buch.
Toby folgte mit weit aufgerissenen Augen Dustys Kriechspur.
„Was machst du da?“, fragte Toby und zeigte mit seinem Finger auf Tom Sawyer und Huckleberry Finn.
„Keine Sorge. Ich fresse nur den Staub und mag es sehr gerne“, entgegnete Dusty und saugte ein besonders großes Staubkorn ein.
„Igitt!“ Toby musste würgen.
„Jemand muss ja die Bücher erhalten.“
„Du bist ganz alleine für alle verantwortlich?“ Toby staunte. Allerdings bei dem Gedanken, Staub sei eine Delikatesse, rebellierte sein Magen und ließ ihn ein paar Mal sauer aufstoßen.
„Natürlich! So, nun genug geschwätzt. Ich habe noch eine Menge zu tun“, sagte Dusty mit ernster Miene und schlängelte sich zwischen zwei dicken Lexika hindurch.
„Sehen wir uns bald mal wieder?“, rief Toby hinterher. Doch er bekam keine Antwort. Dusty war längst im Bücherregal verschwunden.

Ein furchtbar, quietschendes Geräusch ließ Toby zusammenzucken.
„Ach, hier bist du.“ Toby fuhr herum, als er die sanfte Stimme seines Großvaters vernahm.
„Ich habe im ganzen Haus nach dir gesucht.“
Er erkannte das Buch, das Toby mit beiden Händen umklammerte.
„Ah, du hast in meinem Lieblingsbuch gelesen!“
„Großvater. Ich habe Dusty getroffen! Er lebt hier bei deinen Büchern. Er passt auf sie auf und befreit sie vom Staub“, berichtete Toby aufgeregt.
„Hmm, Dusty lebt in meiner Bibliothek?“
Toby nickte. „Ja! Dusty kümmert sich um alle Bücher. Er hat es mir gesagt.“
„Du hast ihn also wirklich gesehen und mit ihm gesprochen?“
„Ja, Großvater. Er saß da oben bei der Schatzinsel.“
„Soso.“
„Du glaubst mir doch, oder?“ Toby sah ihn mit großen, fragenden Augen an.
„Sicher.“ Der Großvater stellte das Buch an seinen Platz zurück.
„Werde ich ihn wieder sehen?“
Der Großvater zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht? Du magst Bücher sehr gerne, nicht wahr?“
„Ja. Ich bin eine richtige Leseratte“, antwortete Toby. „Findest du es eigentlich gut, dass Dusty in deiner Bibliothek lebt?“
„Ja, Toby. Dusty ist eine große Hilfe für mich. Ich könnte mich gar nicht um alle Bücher kümmern.“
Er sah Toby mit einem verschmitzten Lächeln an und nahm seine Hand.

Auf dem Weg zurück in den Flur, hörte Toby wieder das schnelle Seitenumblättern.

Letzte Aktualisierung: 27.08.2008 - 10.02 Uhr
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