Das alte Buch Mamsell
Das alte Buch Mamsell
Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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August 2008
Ein Geschenk, das es in sich hat
von Rosemarie Benke-Bursian

Jochen setzte sich in seinen Lieblingssessel, goss sich einen Cognac ein und schwenkte ihn ein wenig hin und her, bevor er den ersten Schluck nahm. Behaglich lehnte er sich zurück und ließ Gedanken und Blicke schweifen. Alles in allem war es doch eine gelungene Feier zu seinem Geburtstag geworden, dabei hatte er ihn zunächst sogar ignorieren wollen. Aber schließlich wird man nur einmal 40.
Und sie waren tatsächlich alle gekommen. Obwohl er eher zurückgezogen lebte, hatten seine Bekannten und Kollegen, sofort zugesagt und auch nicht mit Geschenken gegeizt. Jochen konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann er je so viele Geschenke bekommen hatte.
Bei diesem Gedanken stach es ihm wieder ins Auge. Das Buch. Das Buch von seinem Kegelbruder Oliver. Beinahe hatte er es vergessen. Nein, nicht wirklich vergessen, bewusst ignoriert. Hatte es ausgepackt, einen kurzen, irritierten Blick darauf geworfen, einmal geblättert und dann etwas pikiert zur Seite gelegt. Wenn Oliver sich über die ausbleibende Freude gewundert hatte, dann war er selbst Schuld. Denn wer wusste es besser als Oliver, dass Jochen sich nichts aus Büchern machte? Gerade Oliver, der selber gerne las und immer mal wieder von einem Buch erzählte, hatte Jochen so häufig gesagt: „Nein, kenne ich nicht. Habe ich nicht gelesen. Werde ich nicht lesen. Ich lese nicht gerne....“
Lieber werkelte er in der Wohnung herum, ging in der Natur wandern, mal auf den Fußballplatz und einmal im Monat zum Kegeln. Ab und zu schaute er einen Film im Kino an oder setzte sich vor den Fernseher. Und außerdem sammelte er Briefmarken. Da hatte er jetzt ein paar selten gewordene Exemplare aus der alten DDR geschenkt bekommen. Ein Kollege hatte ein paar besonders seltene Briefkarten mit Sonderstempeln aufgestöbert. Das waren Geschenke!
Jochen starrte auf das Buch, das jetzt richtig aufdringlich aus den anderen Geschenken herausstach. Warum hatte Oliver ihm das geschenkt? Niemand verschenkte ein Buch, damit es bei dem Beschenkten im Regal verstaubte. Vermutlich war es also nicht irgendein Buch, sondern etwas Besonderes, aber Jochen hatte nichts Besonderes daran entdecken können. Ein Buch über Briefmarken war es jedenfalls nicht. Es waren überhaupt kaum Bilder drin, nur ein paar Zeichnungen, die sich aber nicht von selbst erklärten.
Was wollte Oliver damit erreichen? Dass er das Buch trotzdem las? Weil er es selbst für so interessant hielt, dass er sich über alle Bedenken hinwegsetzte? Aber warum hatte Oliver dann nicht einfach von dem Buch erzählt, es ihm empfohlen, so wie er das sonst auch immer getan hatte? Dann hätte Jochen selbst entscheiden können, ob er das Buch las oder nicht.
Man kann einen anderen mit so einem Geschenk natürlich auch ärgern. Und so war es auch. Jochen spürte den Ärger immer deutlicher hochsteigen. Hatte Oliver das gewollt? Aber warum? Je mehr Jochen darüber nachdachte, um so wütender wurde er. Was hatte Oliver sich bloß dabei gedacht? Er, Jochen, wollte sich durch ein Geschenk ganz bestimmt nicht unter Druck setzen lassen. Je mehr er diesem Gedanken nachhing, um so weniger beschenkt fühlte er sich mit dem Buch. Eine Erpressung war es. Selbst wenn Oliver ihm Zeit lassen würde, es zu lesen, er würde irgendwann danach fragen und dann vermutlich nicht mehr locker lassen Damit wurde das Buch zu einem Damoklesschwert, das so lange über ihm schwebte, bis der Faden riss.
Jochen schenkte sich einen weiteren Cognac ein, kippte ihn mit einem Zug herunter, ging mit düsteren Gedanken zu Bett und wälzte sich noch lange herum, bevor er schließlich einschlafen konnte.
Der nächste Tag war einer der Samstage, an dem seine Schwester Evelyn kam, um ihm im Haushalt zur Hand zur gehen. Diesmal kam sie natürlich auch, um zu gratulieren und mit Jochen nachzufeiern.
Natürlich musste Evelyn sofort das Buch ins Auge fallen. „Ach, wer hat dir denn das geschenkt?“ und schwups hatte sie es in der Hand und blätterte darin herum.
„Oliver. Möchte bloß mal wissen, was den geritten hat?“
„Jaaaa ...“, Evelyn schien ganz in das Buch vertieft zu sein, „das ist, ... hmm.“
„Was hat dir denn die Sprache verschlagen? Doch nicht etwa dieses vermaledeite Buch?“
„Ja ..., irgendwie schon ... , ich glaube ...“
„Ja, was denn? Dann sag schon.“
„Ich denke, Oliver möchte, dass du das hier liest.“ Mit Schwung klappte Evelyn ihren Mund und auch das Buch zu.
Jochen schaute sie verblüfft an, doch sie blickte nachdenklich auf das Buch in ihrer Hand. „Das habe ich befürchtet“, brummte er schließlich, „aber dann sag du mir, was daran so Besonderes ist.“
„Es ist ..., na ja, ... wie du schon meinst, ... es ist eben etwas Besonderes.“
„Hoooochhh, Evelyn, jetzt nerv du mich nicht auch noch.“ Jochen rannte im Kreis herum und funkelte seine Schwester immer wieder von der Seite an. „Weißt du was, wenn es so toll ist, dann nimm es mit, lies es, und hinterher kannst du mir ja ein bisschen daraus erzählen.“
„Kommt nicht in Frage!“ Evelyn warf das Buch auf die Kommode zurück, als wäre sie von ihm gebissen worden. „Das musst du jetzt alleine mit dir und Oliver klären. Da kann ich dir nicht bei helfen.“
„Aber wieso nicht? Ich finde das sogar eine sehr gute Idee. Dir gefällt es, also kannst du es lesen, und mir genügt eine ungefähre Inhaltsangabe. Weißt du was? Ich schenke es dir. Nimm es mit und behalte es.“
Evelyn lachte laut auf. „Ich habe nicht gesagt, dass es mir gefällt. Wenn ich es genau bedenke, gefällt es mir sogar überhaupt nicht. Nein, nein, das ist ein Buch ganz speziell für dich ausgesucht.“
„Aber Evelyn, ...“
„Und mehr sage ich dazu nicht. Wenn du neugierig geworden bist, dann frag Oliver, nicht mich. Er hat sich ganz offensichtlich was dabei gedacht, als er es dir geschenkt hat. Da greife ich nicht vor.“ Und mehr war aus Evelyn tatsächlich nicht herauszuholen.
Das ganze Wochenende machte Jochen einen großen Bogen um das Buch. Am Sonntag ging er schon früh auf eine längere Wanderung durch den nahen Naturpark. Als er zurück kam, legte er eine CD mit fröhlichen Stücken ein und sang laut mit. Danach schaute er einen spannenden Krimi im Fernsehen, ging zum Essen in ein kleines Restaurant in seiner Nähe und schließlich, ganz gegen seine Gewohnheit, in eine kleine Bar um die Ecke. Es nützte alles nichts. Er bekam das Buch nicht mehr aus seinem Kopf.
Wie wäre es, wenn er Oliver einfach anrief und ihm sagte, dass er das Buch nicht lesen würde? Warum? Na ja, weil ..., weil er sich nicht zwingen lassen wollte. War das blöd? Dann eben weil, ... Nein. Es gab keine gute Begründung, oder? Aber dann, ... Er konnte sich schon denken, was dann kam. Nein, dann lieber Flucht nach vorne. Ja, so würde er es machen. Mit diesem Gedanken schlief Oliver am Sonntag Abend ein. Er würde das Buch lesen. Wäre doch gelacht.

Fast drei Monate später rief Jochen bei Oliver an. „Ich habe das Buch gelesen.“
Am anderen Ende der Leitung blieb es stumm.
„Hallo, Oliver?
„Ächmm, ja, wirklich? Ich meine, du hast dir nicht bloß einfach erzählen lassen ...?“
„Ich habe es gelesen. Zumindest den Anfang. Mehr brauchte es ja nicht. Mensch Oliver, du Spitznase. Ich muss mich wohl bei dir bedanken. Echt. Ohne das Buch hätte ich ja nie diesen Kurs gemacht. Aber was für einen perfide Idee, mir so eine fünf Jahre alte Firmenchronik von eurem Laden zu schenken. Du hast es also gewusst. Was sage ich, ihr alle habt es gewusst, sonst hätte doch einer eine dumme Bemerkung gemacht ...
„Hast recht. Wir haben das schon länger geahnt und lange nachgedacht, wie wir dich ansprechen und dann kam die Idee mit dem Buch. Wir dachten, wenn dir jemand sagt, was das für ein Buch ist, dann fällt bei dir der Groschen und du verstehst, das wir alle Bescheid wissen und du dich nicht länger schämen musst. So wollten wir dich ein wenig mehr aus deinem Versteck herauslocken, jetzt nachdem du nun wenigstens mal deinen Geburtstag gefeiert hast. Aber dass du gleich lesen gelernt hast ... das ist wirklich toll. Gratuliere.“
„Da ist meine Schwester mit schuld, die wollte mir partout nicht sagen, was es mit dem Buch auf sich hat. Und ich dachte, bevor ich mich oute, mache ich lieber einen Kurs. War sogar einfacher als ich dachte. Und jetzt kann ich tatsächlich lesen. Ey, richtig lesen.“
„Jochen. das muss gefeiert werden.“
„Deswegen rufe ich an, nächste Woche Freitag, gleiche Zeit. Ihr seid alle eingeladen. Meine Schwester auch. Und – ich wünsche mir gaaaaanz viele Bücher.“

Letzte Aktualisierung: 26.08.2008 - 17.06 Uhr
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