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August 2008
Unordentlich
von Brigitte Hausherr

Nachmittags werden in unserer Bibliothek die zurückgegebenen Bücher wieder in die Regale einsortiert, streng systematisch und alphabetisch. Viele kluge Köpfe haben dicke Bücher darüber geschrieben, wie und warum in Bibliotheken Bücher katalogisiert und aufgestellt werden. Leider haben sie dabei nicht an die armen Bibliotheksangestellten in der Praxis gedacht! Ich kann nicht sagen, dass das Büchereinstellen zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört. Heute sind die Bücherberge mal wieder besonders hoch - aber: „Wat mut, dat mut!“ „Beim Büchereinstellen muss man das Alphabet vorwärts und rückwärts kennen“, hat meine Ausbilderin immer gesagt. An diese Worte muss ich nun denken, wenn ich blitzschnell überlege ob „H“ vor „E“ oder nach „K“ steht.

Einige Regalreihen sehen aus, als hätte der Blitz dort eingeschlagen. Kreuz und quer liegen die Bücher, sind mitsamt der Buchstütze einfach umgekippt. Oft stehen sie in der falschen Reihenfolge. Ganze „Nester“ falsch einsortierter Bücher gibt es dort. Kein Wunder, dass man manche Bücher so gut wie nicht mehr findet, höchstens noch durch Zufall. Aber auf den Zufall verlasse ich mich nicht. Ordentlich wird alles wieder gerade gerückt und wo nötig, neu sortiert. Kurz vor Feierabend ist es dann geschafft - bis zum nächsten Mal.

Am nächsten Morgen fällt mein Blick auf das Regal mit den Neuerscheinungen im Eingangsbereich der Bibliothek. Es sieht irgendwie anders aus als gestern. Zunächst denke ich nicht weiter darüber nach, bis meine Kollegin plötzlich ganz entsetzt ruft: „Was ist denn das? Da hat doch jemand die Bücher nach Größe sortiert.“ Genau. Das war es, was mir morgens sofort aufgefallen war. Was soll das? Wer mag das gewesen sein? Vielleicht Kinder? Unlustig mache ich mich daran, wieder Ordnung zu schaffen, und sortiere die komplette Sachgruppe neu, was eine gute halbe Stunde in Anspruch nimmt.

Am Tag darauf schon wieder so ein Bild, nur in einem anderen Regal. „Ich weiß nicht genau, ob ich das komisch oder ärgerlich finden soll“, sage ich zu meiner Kollegin. Sie grinst mich nur schweigend an. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Arbeitsaufträge und dauernd klingelt das Telefon. Am Vormittag sind viele Besucher in der Bibliothek und so komme ich erst mittags dazu, das Regal aufzuräumen. Anschließend gehe ich an allen Regalen entlang und prüfe, ob es noch mehr aufzuräumen gibt. Zum Glück ist das nicht der Fall und ich kann in meine Mittagspause gehen.

Am Montagmorgen steigt dann aber doch die Wut in mir auf. „Das wird ja immer schöner – heute sind es schon zwei Regale“, schimpfe ich laut mit rotem Kopf. „Vielleicht gibt es hier ja ein Bibliotheksgespenst“, lacht meine Kollegin. „Das finde ich jetzt aber gar nicht lustig“, grolle ich zurück. „Oder bist Du vielleicht jemandem zu nahe getreten, der sich jetzt rächen will?“, frotzelt sie weiter. „Ich kann mich nicht dran erinnern“, schnaube ich wütend. „Reg’ Dich nicht so auf, ich helfe Dir beim Räumen“, meint sie dann schließlich gnädig. Gemeinsam sortieren wir die Regale neu und ich rege mich langsam wieder ab. Manchmal wollen Bibliotheksbesucher aus Höflichkeit die zurückgebrachten Bücher auch selbst in die Regale einräumen. Ob da jemand sehr höflich war? Ich habe keine Ahnung!

Den ganzen Tag beobachte ich sehr aufmerksam die Leute, die in der Bibliothek ein- und ausgehen. Möglichst unauffällig verfolge ich eine Studentin, die Literatur für ein Referat sucht – Fehlanzeige, sie wählt sehr gezielt einige Bücher aus und denkt offensichtlich nicht daran, das Regal umzuräumen. Eine ältere Leserin fragt nach einem bestimmten Roman. „Ja, selbstverständlich haben wir den“. Ich führe sie persönlich auf Umwegen quer durch die Bibliothek zu dem Regal, wo sie ihn findet und spähe dabei in jeden Winkel – Fehlanzeige, ich kann nichts Auffälliges entdecken. Ein junger Mann fragt nach Reiseführern. Während er das entsprechende Regal ansteuert, stelle ich mich in den gegenüberliegenden Gang und suche ganz intensiv nach einem Buch. Er nimmt ein paar Titel aus dem Regal, setzt sich damit an den Tisch und blättert darin herum. Plötzlich sieht er mich an. Er hat wohl bemerkt, dass ich ihn beobachte. Peinlich, peinlich! Ich verziehe mich an meinen Arbeitsplatz, aber als er die Bibliothek verlässt, flitze ich zum Regal mit den Reiseführern. Fehlanzeige – dort ist alles in bester Ordnung. Er hat sogar die Bücher wieder ordentlich zurückgestellt. Als drei Jugendliche das DVD-Regal ansteuern, muss ich ganz dringend zum in der Nähe stehenden Kopierer und sehe, dass sich die drei nach kurzer Diskussion für zwei Actionfilme entscheiden und damit zur Ausleihtheke gehen – also wieder Fehlanzeige. So geht das den ganzen Tag. Bis zum Feierabend bin ich durch die Rennerei ziemlich erledigt, aber mit meinem Detektivspiel keinen einzigen Schritt weitergekommen.

Tags darauf ist früh morgens bei Dienstbeginn die Bibliothekstür nicht verschlossen und drinnen brennt das Licht. Was soll denn das jetzt bedeuten? Es wird hier immer verrückter. Ich weiß genau, dass ich am Vorabend abgeschlossen und das Licht gelöscht habe. Die Putzfrau kommt immer abends nach Dienstschluss und meine Kollegin hat heute ihren freien Tag – also wer zum Teufel hat die Bibliothek aufgeschlossen und das Licht eingeschaltet? Mit einem etwas mulmigen Gefühl in der Magengegend betrete ich den Raum. Totenstille. Langsam gehe ich den Gang entlang und spähe vorsichtig nach rechts und links in die Regalreihen. „Hallo“, rufe ich, „ist hier jemand ...?“ Keine Antwort. Ich versuche es noch einmal etwas lauter: „HALLOOO, IST HIER JEMAND ...?“ Niemand da – oder doch? Plötzlich höre ich aus Richtung Krimiregal ein merkwürdiges Geräusch, so ein dumpfes rhythmisches Brummen. Langsam bewege ich mich in die Richtung aus der ich das Brummen höre. Das Geräusch wird lauter – mein Herzklopfen auch!

Vor dem Krimiregal hockt eine schmale, dunkelhaarige Gestalt. Sie hat die Bücher mehrerer Regalböden auf dem Fußboden gestapelt und ist gerade dabei, sie wieder einzuräumen, fein säuberlich nach Größe sortiert. Dabei hört sie über Kopfhörer Musik aus einem MP3-Player. „Hallo“, rufe ich wieder, „was machen Sie denn da?“ Die Gestalt springt erschrocken auf und reißt sich den Kopfhörer herunter. Vor mir steht zitternd ein hübsches junges Mädchen, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt. Es sieht mich schweigend mit weit aufgerissenen Augen an. „Wer sind Sie und was machen Sie hier?“ wiederhole ich meine Frage. „Ich ... äh ... ich heißen Alicja und bin ... äh ... Tochter von Anna Bogdanowicz“, stottert das Mädchen nach ein paar Schrecksekunden schließlich, „meine Mutter liegen in Bett und ... äh haben krank paar Tage.“ Anna Bogdanowicz? So heißt doch unsere neue Putzfrau, geht es mir durch den Kopf. „Und was machen Sie hier?“, frage ich wieder. „Ich Mutter hier vertreten“, erklärt mir Alicja. „Sie mir gesagt, dass ich vor der Schule hier alles sauber machen und ordentlich aufräumen, so lange sie krank. Sie dann nicht verlieren ihre Job.“ Langsam verstehe ich. „Diese Regale so unordentlich“, erklärt Alicja eifrig weiter, „ich sortieren neu!“

Nur mit Mühe kann ich mein Schmunzeln unterdrücken. „Da hat Ihre Mutter ja eine große Hilfe“, erwidere ich freundlich. Dann erkläre ich ihr, dass die Bücher alphabetisch in den Regalen stehen und dass jedes Buch seinen bestimmten Platz hat, damit es schneller zu finden ist. Das arme Mädchen bekommt einen hochroten Kopf. Die ganze Sache ist ihr außerordentlich unangenehm. Sie stammelt eine Entschuldigung. „Ich wusste nicht“, meint sie, „zu Hause ich haben alle meine Bücher nach Größe sortiert, sehen mehr ordentlich aus.“ Bevor ich etwas antworten kann schlägt sie sich mit der flachen Hand vor die Stirn, verdreht die Augen und zieht die Brauen hoch: „Ich sooo blöööd“, meint sie und schaut mich mit einem schiefen Lächeln an. Wie auf Kommando müssen wir beide laut und herzlich lachen. Gemeinsam räumen wir dann die Krimistapel wieder ein.

Noch heute muss ich an Alicja und ihre gute Idee denken, wenn ich mal wieder überlege, ob „H“ vor „E“ oder nach „K“ steht. Ich finde, wir sollten die Bücher zukünftig nur noch nach Größe aufstellen. Oder vielleicht doch lieber nach Farben ...?

Letzte Aktualisierung: 21.08.2008 - 21.50 Uhr
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