Der Tod aus der Teekiste
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Thema: Affäre | September 2008
Elsa
von Barbara Hennermann

Genießerisch leckte Hedwig den Löffel ab. Ja, sie war gelungen, die Soße, sämig und wohlschmeckend, nicht zu scharf – jetzt noch einen Schuss Schwarzbier zum Verfeinern… Karl-Ernst liebte ihren Schweinebraten mit Klößen und Rotkraut, natürlich alles selbst gemacht und nichts aus Fertigprodukten!
Sie waren seit fünfunddreißig Jahren verheiratet und täglich offerierte sie ihm ihre Liebe am Mittagstisch. Er revanchierte sich, indem er sie an seinem Leben teilhaben ließ, ihr über seine Arbeitskollegen und auch die „Schafkopfkumpel“ ausführlich berichtete. Wenn sie zufällig einmal einen von ihnen trafen, blieben Gesichter und Namen allerdings für sie schattenhaft, da sie ihr Leben nicht wirklich berührten. Denn noch immer verbrachte sie die Zeit am liebsten mit ihm alleine.
Das Schicksal hatte ihnen Kinder verwehrt, was sie zu Beginn ihrer Ehe traurig gestimmt hatte. Dann aber hatte sie eingesehen, dass es das Beste war, denn so konnte sie alle ihre Kräfte auf ihn, ihren Karl-Ernst, konzentrieren. Sie war nur stundenweise berufstätig, mehr zu ihrer Abwechslung als aus Notwendigkeit, um ihm jederzeit ein schönes Zuhause bereiten zu können.
„Hederl“ – das klang viel weicher und zärtlicher als Hedwig! – sagte er oft, wenn sie gemeinsam vor dem Fernseher saßen, „Hederl, du bist mein zweites Ich!“

Natürlich war im Lauf der Jahre vieles selbstverständlich geworden und anderes verloren gegangen, aber sie lebten in der ruhigen Gewissheit zusammen, dass dies für den Rest ihres Lebens so bleiben würde. Das Einzige, was Hedwig fürchtete, war die Möglichkeit, er könne vor ihr sterben und sie allein zurück lassen. Ein schrecklicher Gedanke, den sie stets sofort verdrängte. Er war ihr Lebensmittelpunkt und sie seiner, da war sie sich sicher. Es fehlte ihm an nichts und wenn er auch vielleicht ab und zu um ihretwillen auf etwas verzichtete, so glich sie das doch mit anderen Zugeständnissen wieder aus. Einmal im Monat, wenn er sich zur Schafkopfrunde traf, saß sie alleine zu Hause vor dem Fernseher und blieb bis um zwölf Uhr wach, damit sie gemeinsam zu Bett gehen konnten wie an allen anderen Abenden auch. Dann lagen sie einträchtig nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach, die sich gewiss umeinander drehten, bis sie ruhig einschlummerten.

„Hederl, morgen wird es ein wenig später werden, bis ich nach Hause komme, ich muss einen neuen Kollegen einarbeiten!“ Dies war eine Störung ihres geruhsamen Lebens, aber man musste in der heutigen Zeit Zugeständnisse machen. Ihr Karl-Ernst war eben ein erfahrener Mitarbeiter im Betrieb und somit in der Verantwortung. Sie seufzte. „Ja, mein Lieb, aber lass es nicht zu spät werden!“ Dieser Abend war ihr verdorben und das Fernsehprogramm war zudem auch noch schlecht.
Schon zwei Abende später saß sie wieder alleine vor dem Fernseher und zappte sich missmutig durch die Programme. Aber natürlich war es wichtig, dass Karl-Ernst seinen beruflichen Aufgaben nachkam. Leider schien der neue Kollege reichlich begriffsstutzig zu sein, denn in der Woche darauf musste Karl-Ernst drei Abende investieren, um ihn einzuarbeiten. Ihm selbst schien das weniger auszumachen, denn er war ausgesprochen guter Laune, während in ihr der Zorn auf jenen Kollegen wuchs. „Mein Lieb, du musst das verstehen, der junge Mann braucht diese Chance!“
In der Woche darauf beobachtete sie zufällig, wie er aus der Post einen Umschlag rasch in seiner Aktentasche verschwinden ließ. Als er den Rest auf den Frühstückstisch warf, fragte sie möglichst unbefangen: „Ist was Wichtiges dabei, mein Lieb?“ und er verneinte lachend: „Nur die übliche Reklame!“
Nun aber war ihr Argwohn erwacht und als er wieder einen Abend mit den Worten einläutete „morgen wird es später, mein Lieb, du weißt schon, der Kollege“, konnte sie seinen Worten kein Vertrauen mehr schenken. Es konnte doch nicht sein, dass ihn diese Einarbeitungsstunden derart fröhlich machten, wie sie ihn lange nicht mehr erlebt hatte! Sie musste sich selbst davon überzeugen, dass alles seine Richtigkeit hatte.

Am folgenden Tag verbarg sie sich zu seiner üblichen Büroschlusszeit in einer Hausnische gegenüber seinem Bürogebäude. Ihr vager Verdacht bestätigte sich. Pünktlich verließ er das Gebäude und ging beschwingten Schrittes in südliche Richtung davon. Hedwig fühlte ihr Herz bis zum Hals schlagen – also doch! Er hatte sie belogen! Was anderes konnte dahinter stecken, als dass er sie betrog? Sie fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Dass Karl-Ernst ihr das antat! Nach so vielen Jahren! Hatte sie nicht aufopfernd für ihn gesorgt und alles für ihn getan? Immer war sie nur für ihn da gewesen, hatte alles mit ihm geteilt – und nun das! Ihre Schritte beschleunigten sich, als sie hastig und immer auf der Hut, er könne sie sehen, hinter ihm her eilte. Doch er drehte sich nicht einmal um, peilte zielstrebig ein etwas herunter gekommenes Haus in einer Seitenstraße an und verschwand im Hauseingang.
Atemlos erreichte Hedwig sein Ziel, das nun auch ihres geworden war. Sie blickte auf die Namen an den Klingelschildern. Wo mochte er sein?
Ihr Finger glitt über die Schildchen. „Bruno Grabert“. Der Name kam ihr irgendwie bekannt vor. War das nicht einer seiner Schafkopfbrüder? Stellte er etwa Karl-Ernst seine Wohnung als Liebesnest zur Verfügung? Sie überlegte kurz, drückte dann auf den Klingelknopf. Letztendlich konnte sie sich immer noch damit herausreden, sich in der Tür geirrt zu haben!
Schnarrend öffnete sich die Haustür, gab Einlass in ein enges und nicht besonders gepflegtes Treppenhaus. Hedwig hetzte die Treppe hinauf, erreichte atemlos den dritten Stock, entdeckte eine nur angelehnte Tür …. sie öffnete sich. Eine vollbusige Blondine - mit einem weißen Herrenhemd, das bis zur Mitte der prallen Oberschenkel reichte, eher notdürftig bekleidet - stand im Rahmen. Sie hielt eine qualmende Zigarette in der Linken, blickte überrascht auf Hedwig. „Jaaaa…?“ Hedwigs Herzschlag setzte kurz aus, um dann in schmerzhaftem Stakkato fortzufahren. O Gott, das war sie also, die Geliebte von Karl-Ernst! Was für eine ordinäre Person. Sekundenlang stand Hedwig wie erstarrt.

Aus einem der hinteren Zimmer drangen seltsam ratternde Geräusche. „Sado – Maso“, zuckte es durch ihren Kopf. „Auch das noch!“ Vor längere Zeit hatten Karl-Ernst und sie zufällig einen Film darüber im Fernsehen angesehen. Damals hatte sie voll Abscheu zu ihm gesagt: „Wie gut, mein Lieb, dass wir so etwas nicht nötig haben“ und er hatte ihr liebevoll zugestimmt. Alles Lüge! Wer konnte ihr sagen, wie lange das hier schon ging? Und nun hörte sie tatsächlich sein Lachen, dann seine Stimme: „Lisa, bring uns doch bitte was zum Trinken mit!“ Schrecklich! Er war in einen Sündenpfuhl geraten!
Mit einem schluchzenden Aufschrei stieß sie die Blondine zur Seite. Die rief verblüfft hinter ihr her: „He, Sie da, so geht das aber nicht!“ Doch Hedwig war nicht mehr zu bremsen. Sie stürmte auf die Zimmertür zu, riss sie auf und blieb wie versteinert stehen.

Das Zimmer war eine einzige, große Modelleisenbahnanlage!
Überall waren Schienen verteilt, die durch anmutige Landschaften und Miniaturstädte führten. Ein Mann beugte sich über eine Trafostation, welche die Züge bewegte. Bruno Grabert? Jetzt drehte sich Karl-Ernst um, der inmitten der Landschaften am Boden kauerte. „O, danke, Li….“. Das Wort erstarb ihm im Munde. Fassungslos starrte er auf Hedwig, die sich immer noch nicht bewegen konnte. Lahm sagte er: „Ach du, mein Lieb…“ Sie rührte sich nicht.
Umständlich erhob er sich aus seiner unbequemen Position, knetete verlegen eine rote, nagelneue Lokomotive in den Händen. „Also, äh, Hedwig, das ist mein Freund Bruno. Er hat mich eingeladen, hier ein bisschen mitmachen zu können. Wir, äh, also, haben ja nicht den Platz dafür…Und du wollest ja auch nicht so gerne, dass ich mir im Keller eine kleine Anlage aufbaue, weil ich sonst vielleicht zu viel Zeit damit zubringe…“ Schuldbewusst sah er sie an.
Dann blickte er auf die Lok in seiner Hand. Ein Leuchten ging über sein Gesicht, als er sie wie ein Schulbub Hedwig hinhielt. „Schau nur Hedwig, das ist meine Elsa!“

Hedwig schluckte. In ihrem Magen entstand das unangenehme Gefühl, dass sie wohl in den letzten fünfunddreißig Jahren etwas falsch angegangen hatte…

Nicht wahr, mein Lieb?






Epilog:
Ein Mensch, dem alles ward gegeben,
vermisste nichts so sehr im Leben
wie seine…. Eigenständigkeit.
Drum fasste er, nach langer Zeit
und still und heimlich, den Entschluss,
dass sich daran was ändern muss.
Doch weil die Angst ihn noch umfing,
dies leider nur mit Lügen ging!

Letzte Aktualisierung: 14.09.2008 - 19.24 Uhr
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