Bitte lächeln!
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Thema: Affäre | September 2008
Flucht
von Ann Nissuth

Etienne, Etienne. Oh,tiens-le bien. Lauthals schmettere ich mit Guesch Patti mit. Es passt. Wie heute einfach alles passt. Der Wind zerzaust mir übermütig meine Haare. Gleich, gleich werde ich die A5 verlassen und dann sind’s nur noch zehn Minuten.
„Achtung, Autofahrer auf der B462. Hier hat sich ein schwerer Unfall ereignet. Die Umleitungsempfehlungen:…“
Den Rest höre ich wie durch einen Nebel durch. Das ist die Strecke, die er zu mir fährt. Übelkeit steigt in mir auf. Ich drücke, völlig unsinnig, das Gaspedal hinunter. Schnell. Ich muss wissen, ob er darin verwickelt ist. Die Abfahrt. Noch zehn Minuten Ungewissheit. Das kann ich nicht ertragen. Bei der nächsten Gelegenheit halte ich an und wähle seine Nummer. Das hat er eigentlich verboten: „Ich lasse das Ding so oft liegen. Am Ende geht dann meine Frau ran und wir fliegen auf“. Es meldet sich die Mailbox. Wenn ihm etwas passiert ist, werde ich’s erfahren? Steig ein, Johanna, weiter zum Hotel. Nach Ewigkeiten bin ich endlich da. Erleichterung schnürt mir zuerst einmal die Kehle zu, bevor das Hirn begriffen hat: Sein Wagen steht gleich um die Ecke. Nur: Wo stelle ich jetzt meinen ab? Es ist kein Parkplatz in der Nähe. Zwei Stunden sind doch eh so kurz! Wertvolle Zeit, die uns abhanden kommt. Doch endlich drücke ich mich an der Rezeption vorbei zum Lift. Vorm Spiegel drin muss ich mich erst einmal sortieren. Der 3. Stock. 302. Unser Zuhause. Für nunmehr hundertzehn Minuten. Ich klopfe unser Zeichen. Dann steht er vor mir, unbekümmert lachend.
„Da bist du ja. Komm schnell. Ich hab mich extra noch nicht ausgezogen“.
Da bin ich angekommen. Er weiß genau, wie gern ich ihm den Gürtel löse. Die Antwort von mir ist ein Kuss, noch leidenschaftlicher als sonst. Allein die Stimme bringt mich schon zum Schmelzen. (Sie hat mich damals schon geweckt, als wir uns an der VHS zur Conversation francaise erstmals trafen.) Tief atme ich ihn ein, seinen ihm eigenen Geruch. Seine Hände lassen mich zerfließen. Meine machen wie von selbst, dass dieser Gürtel schnalzt und wandern weiter. Das Bett ist bereits abgedeckt. Wir fallen. All meine Lippen gieren ihm entgegen.
Was wir hier machen, das ist Liebe, schießt es mir irgendwann blitzartig durch den Kopf. Und ich bemühe mich, es nicht zu sagen. Zwei Körper, zwischen denen alles möglich ist. Tabu ist nur das Wörtchen, das mit L beginnt. So ist’s stillschweigend festgelegt.
Hingebungsvoll widmet er sich jeder meiner Poren, lässt keine Körperöffnung aus. Der ganzen Haut - selbst schweren Brüsten, Besenreisern, ungeliebten Dellen - begegnet er mit Zärtlichkeit. Er strafft mich, macht mich vollends weich zugleich.
„Roger, was bin ich für dich eigentlich?“ will ich in einer Atempause wissen.
Erstaunt schaut er mich an.
„Ich bin dein Liebhaber“, sagt er dann schmunzelnd: „Liebhaberin“ gibt’s aber nicht.“ Liebhaber. Immerhin. Da ist das L-Wort unverdächtig drin.
„Maitresse“, schlage ich ihm vor.
„Klingt nach Matratze, finde ich“. Sein Lachen führt direkt in meinen Mund.
„Erstens steckt ein maitre drin“, stelle ich fest. „Außerdem: Mätressen hatten damals eine angesehene Stellung. Und nicht zuletzt: Bei meinem Namen bietet sich das einfach an.“
„Das musst du mir erklären“.
„Die Pompadour hieß auch Johanna und meines Wissens auch die du Barry “.
„Jeanne war damals kein seltener Name“, wirft er ein.
Es ist das erste Mal nach einem Jahr, dass ich meinen Namen von ihm höre – auch wenn’s nur auf Französisch ist.
„Ich möchte nicht, dass meine Frau mich irgendwann nachts einmal weckt und fragt, warum ich laut Johanna stöhne“, erklärte er mir damals nach der Premiere in dem alten Jeep.
„Wenn ich nach dir stöhne, denkt mein Mann mit Sicherheit, ich träume von was Süßem“, fiel mir unter Kichern ein.
Ich hatte keinerlei Gewissensbisse. Mein Mann war schon vor langem einfach stehen geblieben und hatte sich energisch gegen das Weitergehen auf unserem Weg als Paar gewehrt. Er lebte schon seit Ewigkeiten nicht mehr mit mir in einer Welt. Roger war mein Geschenk nach vielen Jahren ungestillten Hungers.
„Du bist“, spinnt er gerade weiter, „meine erotische Gefährtin“.
„Gefährlich bin ich also, dann nimm dich in Acht“.
Es ist so schön mit ihm zu albern. Doch das sage ich ihm besser nicht. Was ist nur heute los mit mir? Das Unbeschwertsein scheint auf einmal schwer. Ich grabe meinen Kopf in seine Achselhöhle.
„Komm her, ich schütze dich vor dir“, lacht er und drückt mich fest an sich.
Und was wir haben, nennt man wohl Affäre: „Flucht aus und vor dem Alltag.“ Das hatte meine Freundin mal gesagt. Mit ihr zumindest kann ich über alles reden. Alleine sie weiß immer, wo ich bin.
Ich tauche auf aus seiner Höhle, er in die meine mit dem Finger ein. Dann gibt er mir von unsrer Flüssigkeit zu kosten. Der pubertäre Wunsch, ihm einen Knutschfleck zu verpassen, taucht unvermittelt in mir auf. Damit die Andere es sieht, dass wir zusammen sind. Dann hätte alle Heimlichkeit ein Ende – und alles Weitere wahrscheinlich auch.
Ich kenne sie nicht, diese Frau. Beneide ich sie? Schließlich hat sie ihn jeden Tag um sich herum. Schläft er noch neben ihr im Bett? Ich will es gar nicht wirklich wissen. Was weiß ich überhaupt von ihm? Ist er denn alltagstauglich? Nicht nur potent, sondern ein potenzieller Vater? Hockt er genauso gerne vor der Glotze wie mein Mann? Sicherlich nicht. Sein Körper ist geschmeidig, durchtrainiert. Und er ist Läufer, so wie ich. Schnarcht oder redet er im Schlaf vielleicht? Unmöglich, es herauszufinden. Ich habe nie die Chance, neben ihm aufzuwachen. Unsere Begegnungen sind viel zu kurz. Nackt kochen wollten wir einmal zusammen. Daheim bei ihm oder bei mir? Er ist ein Ehebrecher. Kann ich ihm überhaupt vertrauen? Können zwei Wesen, deren Körper in tiefste Tiefen gemeinsam zu versinken fähig sind, als Paar in täglicher Routine kläglich untergehen? Ich will ihn gar nicht unbedingt für mich allein, beschließe ich. Nur, wenn mir danach ist, auch mal spontan – und sei es nur am Telefon. Nicht immer bangen müssen, ob der heimlich und mit Mühen ausgehandelte Termin am Ende doch noch platzt. Allein bei mir: Passt’s mit der Blutung? (Die Duschen in Hotels sind viel zu eng für zwei.) Hat mein Kind auch wirklich Judokurs? (Nicht, dass sein Trainer wieder mal im Stau feststeckt.) Kann mir mein Mann da auf die Schliche kommen? (Hat er gerade an dem Tag mal wieder früher frei?) Fällen sie am ausgemachten Ort zufällig dann gerade wieder Bäume? - Warum genießt du nicht einfach, Johanna? Das mit den Hotels klappt mittlerweile immerhin recht gut. Eine Belastung soll er für dich doch nicht sein!
„Die Sache muss ein Ende haben“.
Das ist mir ganz gemein einfach herausgerutscht. Er taucht zwischen meinen Schenkeln auf und schaut verständnislos, entsetzt.
„Wenn du alleine für das Zimmer zahlst, hab ich dich am Schluss arm gemacht“. In Ausreden gewinne ich anscheinend Übung.
Erleichtert leckt er meine Creme von seinen Lippen. „Du machst mich reich, Johanna, und nicht arm. Bei dir zu sein, das ist wie Urlaub. Was geht da vor in deinem Kopf? Komm her, ich küss dir alle Sorgenfalten fort.“
„Herumreiten auf meinen Falten ist verboten“, grolle ich. Er hat mich da in voller Länge ausgesprochen!
„Ach wirklich?“ grinst er. „Sind da alle inbegriffen?“
Mit liebevoller Leidenschaft widmet er sich einer jeden. Er kräuselt, glättet mich danach vollkommen. Tu vas et tu viens, singt es in mir im Rhythmus seiner Finger. Wellen, Fontänen und dann satt. Bis auf den letzten Tropfen sauge ich im Gegenzug ihn aus und labe mich an seinem Saft.
Die Laken sind klitschnass. Hoffentlich waren wir wenigstens nicht allzu laut. Das ist ein ehrenwertes Haus, doch für uns beide gut erreichbar. Die Zeit geht letztlich viel zu schnell vorbei.
„Komm, lass uns noch ein bisschen kuscheln“, bittet er, als ich mich, so wie immer, pünktlich gesellschaftsfähig machen will.
Ich fahre die Linien in seinem Gesicht mit meinen Fingern nach.
„Es macht mit dir unendlich Spaß. Ich hab noch nie zuvor einer Frau körperlich so sehr vertraut. Mit dir erscheint mir alles möglich“, knabbert er zärtlich in mein Ohr.
Sofort bemerkt der blöde Miesmacher in mir: Anketten am Hotelbett hier wäre von Vorneherein schon mal nicht drin.
„Hast du die Hörbiger gestern gesehen?“
„Wir waren gestern bei den Schwiegereltern“.
Wir!
„Hab ich da was verpasst?“
„Ich finde sie phänomenal“, weiche ich aus.
Da hat sie doch dem Meindl einfach gradheraus gesagt: „Ich habe so viele Gefühle für dich, die passen nicht in eine halbe Stunde“. Naja, ich habe ihn immerhin beinahe viermal so lange im Hotel. Wo werden wir uns in drei Wochen wiedersehen? Wird’s eventuell auch wieder länger werden bis er mich von Neuem stärkt und schwächt zur gleichen Zeit? Für heute jedenfalls ist alles erst einmal unweigerlich vorbei.
„Ich muss schnell duschen gehen. Oder soll ich dir den Vortritt lassen?“
Ich will mir diesen unseren Geruch bewahren, hab keine Lust, ihn wegzuwaschen. Unter der Brause höre ich ihn leise Tenemos los momentos singen. Als er dann aus dem Bad kommt, bin ich fertig angezogen. Sein Samen quillt aus mir heraus, verklebt das Höschen. Da hilft kein Petzen, nichts. Noch einmal lehne ich mich an ihn an.
„Mach’s gut.“
„Du auch“.
„Ich meld mich wieder über Mail.“
Ich drehe mich schnell um und gehe. Der Weg zum Auto scheint entsetzlich lang mit Puddingknien. Doch endlich habe ich’s geschafft. Sofort drehe ich das Radio volle Pulle auf. Ich wär’ so gern dein Zufluchtsort, singt Herbert Grönemeyer laut.

Letzte Aktualisierung: 05.09.2008 - 10.19 Uhr
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