Thema: Affäre | September 2008
Meer der Ruhe
von Gary Kilian
Die Vorhänge sind zugezogen um die Sonne auszuschließen. Von außen angestrahlt leuchten sie orange. Ein schmaler Streifen Sonnenlicht fällt in das Zimmer und bildet eine grelle Spur auf dem Boden, vom Fenster zur Garderobe im angrenzenden Flur. Durch die offene Balkontür sind Straßen¬geräusche zu hören. Eine Stimme. Die Stimme eines Mannes, der etwas ruft, das nicht zu verstehen ist, weil im gleichen Moment das Geräusch eines vorbeifahrenden Wagens das Rufen überdeckt.
Es ist ein Hotelzimmer. Sie liegt aufgestützt auf ihrem linken Ellenbogen auf der Seite. Ihr rechter Arm bewegt sich schwebend, langsam über seinem Körper. Er liegt auf dem Rücken. Nur ihr kleiner Finger berührt ihn. Ihre Hand ist hell, leicht von der Sonne gebräunt. Es ist Sommer, heiß, schon seit Wochen. Die Stadt ist aufgeheizt, auch nachts bleibt es warm. Beide liegen nackt auf dem Bett. Beider Haut ist schweißnass von der Wärme im Zimmer und der Anstrengung ihrer Liebe. Sie hatten sich nach dem Aufwachen, nach der zusammen verschlafenen Nacht, geliebt.
Die Frau lässt ihren hellen Finger über die nasse Haut des Mannes gleiten. Über das Brustbein nach unten.
„Wann musst du gehen?“ Sie fragt ihn, ohne ihren Blick, der auf seine Brust gerichtet ist, zu ändern.
Sie taucht ihren Finger in seinen Nabel, in dem der Schweiß einen kleinen See gebildet hat.
Er antwortet nicht gleich, sieht an die Decke. Die Arme hat er hinter dem Kopf verschränkt. Die Frau richtet sich auf, sitzt jetzt an der Bettkante und schaut von ihm weg, zum gedämpft leuchtenden Fenster. Von unter sieht er ihre helle Schulter im Gegenlicht glänzen. Das dunkle Haar liegt feucht an ihrem Nacken. Sie greift zu der Wasserflasche auf dem Beistelltisch neben dem Bett.
„Willst du etwas trinken?“ fragt sie.
Auch er richtet sich auf. Seinen Oberkörper hinter ihrem, dicht an ihrem Rücken, riecht er ihre Wärme. Er sieht jetzt ganz nah vor sich ihre Schulter.
Sie trinkt aus der Wasserflasche.
„Noch nicht“, sagt er. „Noch muss ich nicht gehen.“
An ihrer immer noch im Gegenlicht leuchtenden Schulter vorbei streckt er seine Hand vor. Sie reicht ihm das Wasser in die Hand.
„Ich kannte dich schon, bevor ich dich traf, gestern in der Bar.“ Es klingt monoton, als ob sie es nicht glaube. „Du bist der, der zu mir passt.“ Sie bleiben eine Weile still. Er trinkt. Wasser läuft auf seine Brust.
„Du bist gut für meine Seele, meine geschundene Seele, so sagt man wohl.“
„Ist sie geschunden?“ fragt er nach. Es klingt wie: Du bist schön.
Seine Hand liegt nun an ihrem Nacken, über den Schulterblättern. Sie wärmt ihre warme Haut.
„Nein“, sagt sie. „Ich bin verheiratet. Das ist nicht geschunden.“ Sie denkt an ihren Mann. Er ist zu Hause, kümmert sich. Sie kann sich auf ihn verlassen. Sie ist glücklich verheiratet.
„Morgen“, sagt er. „Morgen früh reise ich ab.“
Sie dreht sich zu ihm um. Er ist etwas größer als sie. Leicht senkt er den Blick und schaut ihr mit ruhigem Ausdruck in ihr rechtes Auge, wechselt zu ihrem linken Auge. Ihre Augen sind grün mit etwas braun eingesprenkelt. Langsam beginnt sie zu lächeln. Er liebt ihr Lächeln, es ist ansteckend. Als sie sich kennen lernten, war es das Lächeln, das ihn anzog. Unerwartet und offen. Auch er beginnt zu lächeln. Seine Zähne sind weiß. Sie bilden einen sehr schönen, fast blendenden Kontrast zu seiner Haut, die dunkelbraun ist, beinahe wie Ebenholz.
Sie fragt ihn, mehr um etwas in die Stille hinein zu sagen, als dass sie es wissen will: “Was machst du in dieser Stadt?“
„Diplomatie“, sagt er. „Verhandlungen für mein Land.“
Unter der Dusche waschen sie sich die Feuchtigkeit von den Körpern. Sie kühlen sich ab unter dem fließenden Wasser. Es wird nicht lange dauern, bis sie wieder von Schweiß bedeckt sein werden. Beim Abtrocknen und beim Anziehen schauen sie einander an. Keine Bewegung soll unbeobachtet bleiben.
„Arbeitest du auch heute Abend?“ fragt sie ihn beim Anziehen.
„Meistens abends, meist dauert es lange“, sagt er.
„Schade.“ Sie steht mit halb geknöpfter Bluse da, schaut in seine Augen, die so dunkel sind, wie seine Haut. „Schade, ich dachte, wir könnten heute Abend zusammen ..., wo du doch morgen abreist.“ Sie klingt jetzt selbstsicher. Auch ihr Gesichtsausdruck, ihre Körperspannung wirken geschäftsmäßig.
Wo gehst du heute hin?“ fragt er,
„Ich mache Fotos, Modefotos, auf dem Zentralplatz in der Stadt.“
„Ja“, sagt er, „das ist schade.“
Sie verlassen gemeinsam das Zimmer, und verabschieden sich in der Lobby. Sie küssen sich, gehen in unterschiedliche Richtungen, beide drehen sich noch einmal um, lächeln. Er verliert sich in der Weite der Hotelhalle. Die Frau geht durch die Drehtür in die heiße windlose Stadt.
Am Nachmittag sitzt sie im Schatten der zyklopengroßen Statue auf dem Zentralplatz, ebenso wie die anderen des Fototeams, die erschöpft beieinander sitzen oder stehen. Ein Taubenschwarm fliegt Kreise über ihnen. Eine Gruppe asiatischer Touristen, alle mit den gleichen weißen Schirmmützen bedeckt, kommt vorbei. Sie machen Fotos, Urlaubsfotos. Durch die Tauben und die Touristengruppe hindurch sieht sie ihn unter den Arkaden im Schatten stehen. Er ist fast nicht zu erkennen, bewegt sich nicht, schaut zu ihr hinüber.
Sie ist berührt, weil er gekommen ist. Er berührt sie.
Du berührst mich, denkt sie.
Du bist der, der zu mir passt.
Berühre mich.
Deine Haut ist weich.
Deine Stimme nimmt mich mit.
Nimm mich mit.
Ich will dich berühren.
Du bist der, der zu mir passt.
Der Mann geht über den Platz auf sie zu. Sie lächelt, schaut von ihm weg. Er kommt weiter auf sie zu. Bleibt vor ihr, die noch immer zur Seite schaut, stehen. Dann setzt er sich.
Sein Blick geht zu dem Schatten unter den Arkaden, in dem er gerade noch stand. Dann sagt er: „wie hätte ich nicht kommen können?“
Nur heute werden sie zusammen hier sein. Danach nie wieder. Die Tauben werden weiter kreisen und die Touristen weiter fotografieren. Mit Schirmmütze zum Schutz vor der Sonne, mit Regenschirm zum Schutz vor dem Regen oder ohne Schutz, je nach Witterung. Andere werden kommen und Modefotos machen. Andere Fremde werden sich in dieser Stadt verlieben. Eine Weile, vielleicht bis zum Winter, wird sie an diese Stadt und diesen Mann denken. Irgendwann dann nicht mehr.
Sie dreht sich ihm zu, sieht sein dunkles Profil gegen den gleißenden Hintergrund der den Platz umstehenden Gebäude. Sie streckt ihm die Hand entgegen, sagt: „Lass uns gehen. Ich habe ein Verlangen nach dir. Und mit der Arbeit bin ich durch.“
Sie überqueren aneinander gelehnt den Platz, wie selbstverständ¬lich.
„Ich habe daran gedacht, wie heiß es in der Sonne für dich sein müsste. Dass ihr bei dieser Hitze hier draußen arbeitet“, sagt er. „Hoffentlich seid ihr gut versorgt worden, mit Getränken, meine ich. Man muss viel trinken in der Hitze. Ich habe einmal bei uns gesehen, wie ein Man umgefallen ist, einfach umgefallen, weil er nicht genug getrunken hatte. Es ist heiß bei uns, weißt du? Heißer noch als hier.“ Er spricht voll Ungeduld, nervös und ruhelos.
Sie sagt: „Ich habe an dich gedacht.“
Später in dem Café sitzt er zurückgelehnt, sich mit dem Arm auf der Stuhllehne abstützend, ihr gegenüber. Sie hält ihre Tasse mit beiden Händen und schaut über den Rand auf seinen Mund.
Er fragt Sie: „Bist du oft auf Reisen, um Fotos zu machen. Ohne deinen Mann, meine ich?“
Sie stellt die Tasse vor sich ab und ohne Hast antwortet sie ihm. „Du willst wissen, ob ich öfter einen Mann kennen lerne, ob ich öfter Affären habe. Musst du es wirklich wissen?“
Er antwortet ihr nicht, wartet.
„Ich hatte Affären, nicht viele, nur sehr wenige.“
Sie sprechen nicht weiter. Beide hängen ihren Gedanken nach. Schauen sich an, lächeln sanft, berühren sich an den Händen.
„Weißt du welchen Tag wir heute haben? Es ist der 20 Juli, der Tag der ersten Mondlandung.“
„Ja.“ sagt sie.
„Es ist so besonders, dass wir an diesem Tag beide in dieser Stadt sind und uns treffen, so besonders.“
„Du bist so fremd wie der Mond, schön und fremd, und ich bin auf dir gelandet“, sagt sie und lacht laut. „Ich weiß nicht, wie ich dich wieder verlassen soll.“
„Du kennst mich nicht.“ Sie sitzen beide vorgeneigt, die Gesichter dicht voreinander, halten sich an den Händen. „Du weißt nichts von mir“, sagt er.
Sie schaut an ihm vorbei aus dem Fenster. Passanten gehen die Straße entlang. „Ich habe dich gesehen.“
„Was, was hast du gesehen?“
„Dich, ich habe dich gesehen. Du passt zu mir. Dein Körper passt zu meinem. Deine Haut passt zu meiner.“
„Du kennst mich nicht“, sagt er.
Beide sagen nichts. Dann: „Ich muss wieder zurück. Noch eine Sitzung“, sagt er. Danach komme ich zu dir.“ Er fragt sie nicht nach ihrem Einverständnis.
Sie schaut ihn nicht an. Ihr Blick geht durch das Fenster nach draußen. Weitere Menschen gehen vorbei.
„Ja“, sagt sie leise, aber er kann sie deutlich verstehen.
Der Morgen an dem er die Stadt verlassen wird, ist an dem heller werdenden Fenster bereits zu erkennen. Sie liegt aufgestützt auf ihrem linken Ellenbogen auf der Seite. Ihr Blick ist auf seine Brust gerichtet. Beide Körper sind schweißglänzend. Er schaut von unten zu dem, gegen das heller werdende Fenster, sich verschärfenden Umriss ihrer Schulter hinauf. Es sind nur noch einige Stunden, bis sie sich trennen. Es bleibt ihnen in dieser Zeit nichts mehr zu tun. Sie werden noch zusammen duschen. Ein gemeinsames Frühstück, ein Spaziergang, mehr nicht.
„Ich werde dich schnell vergessen“, sagt sie. „Ich bin glücklich zuhause und du bist es auch.“ Sie sagt es laut, fast schreit sie es heraus. „Ich werde dich vergessen!“
„Ja, auch ich sollte dich vergessen“, sagt er.“ Aber wir werden es nicht können. Sicher manchmal. Doch immer wieder wird der Jahrestag der Mondlandung kommen, und jedes Mal dann, wird dieses Vergessen wieder aufgehoben, und wir denken an diese Stadt und an uns.“
„Dein Name ist Mond. Der Mond, auf dem ich gelandet bin.“
„Und du bist der ‚Zwanzigste Juni‘.“ Mehr weiß ich nicht von dir.“
Letzte Aktualisierung: 21.09.2008 - 18.28 Uhr Dieser Text enth�lt 10165 Zeichen.
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