Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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Thema: Affäre | September 2008
Rache
von Birgit Doeuillet

An seiner Art, den Raum zu betreten, kann Annette ablesen, dass ihm etwas quer gelaufen ist. Sehr quer. Roland kommt mit zornigen Schritten auf sie zu. Er schleudert ein Foto vor sie auf den Tisch und schlägt hart mit der flachen Hand darauf. „Das war heute in meiner Post! Fällt dir dazu was ein?“, raunzt er. Ertappt fährt sie zusammen. Nein! Ein Bild von ihr mit Achim, Rolands Ex-Kollegen, beim Picknick. Sonnenschein, Lachen, verliebte Blicke. Eindeutig. Mühsam blickt sie zu Roland auf. In seinen Augen stehen Wut, Schmerz, Enttäuschung und - Hoffnung. Der Hoffnungsfunke erlischt jedoch, als er ihr Gesicht sieht. Schuldbewusstsein brennt auf ihrer Haut, verzerrt ihre Mimik, unkontrollierbar. Alarmsignale dröhnen: sag’ etwas, tu’ etwas; doch sie ist wie gelähmt. Schroff kehrt Roland ihr den Rücken zu und verlässt den Raum. Seine Bewegungen sind eckig, ungelenk. Die Tür schlägt zu, Schritte entfernen sich, noch eine Tür. Ein Auto startet, der Motor heult auf, das Brummen wird leiser. Stille. Eine Stille, die in den Ohren schmerzt. Noch ein gnädiger Moment, in dem Annette wie von außen auf die Situation schaut, dann stürzen die Gefühle auf sie ein.

Sie liebt Roland. Sein Wuschelhaar, das Spiel seiner Hände, sein Lächeln. Seine Augen; braun, warm, ehrlich. Augen, die bei ihrem Anblick aufleuchten, üblicherweise.
Plötzlich war da Achim, gut aussehend, selbstbewusst, mit umwerfendem Charme ausgerüstet. Sie lernten sich auf der Geburtstagsfeier von Rolands Chef kennen. Von Anfang an machte er sie nervös. Grinste frech, taxierte sie von Kopf bis Fuß und deutete einen anerkennenden Pfiff an. Unter seinen durchdringenden Blicken bekam sie weiche Knie. Sie setzte ihre arroganteste Miene auf. Als sei dies eine Aufforderung, stand er kurz danach bei ihr, schmeichelte ihr, neckte sie, brachte sie zum Lachen. Er schleuste sie elegant von einer Gruppe Langweiler weg, unterhielt sie, sprühend vor Witz und Lebensfreude. Sie sonnte sich in seiner Aufmerksamkeit. Zuhause war sie ziemlich aufgewühlt. Das Gefühl, einer Gefahr entronnen zu sein, rang mit der Enttäuschung, dass dieser prickelnde Abend vorbei war. Sie konnte nicht einschlafen.
Zwei Tage danach, als sie ihre Blazerjacke zur Reinigung bringen wollte, fand sie in der Seitentasche einen Zettel: „Donnerstag, sechzehn Uhr hinter der Anna-Kapelle“. Schockiert, brüskiert zerriss sie ihn in Fetzen und brachte ihn nach draußen in die Mülltonne. So. Impertinenter Kerl. Was dachte der sich eigentlich?!
Aber eine kribbelnde Erregung trieb sie immer wieder vor den Spiegel und kämpfte mit ihren moralischen Bedenken. Sie fühlte sich jung, beschwingt wie schon lange nicht mehr. Schlussendlich siegte der Reiz des Verbotenen, Verwerflichen. Achim schien nicht überrascht zu sein. Er hatte einen prallgefüllten Picknickkorb dabei. Noch einmal meldete sich ihr Gewissen, sie schrak zurück und wollte nur noch weg von hier. Spöttisch blickte er sie an, herausfordernd, so eine bist du, traust dich nicht. Sie folgte ihm, genoss Achims lässiges Geplauder, das luxuriöse Essen, den Champagner. Noch ein Gläschen. Betört von blitzeblauen Augen, umgarnt von schmeichlerischen Worten vergaß sie alles, was ihr wichtig war. Erst küssten sie sich, dann fuhren sie zu Achim.
Am nächsten Morgen war das Hochgefühl dahin, ersetzt durch Scham und Schuldgefühle. Ersetzt durch die Sorge, Roland könnte etwas davon erfahren, etwas ahnen, es ihr ansehen. Glasklar wurde ihr bewusst, dass sie alles aufs Spiel gesetzt hatte, was ihr Leben ausmachte.
Warum meldete Achim sich nicht mehr? Sie war erleichtert, obwohl es sie verletzte.

Einige Tage später kam Roland erregt aus der Firma zurück: „Erinnerst du dich an Achim, auf der Geburtstagsfeier vom Chef? Du weißt schon, der blonde Charmeur?“
„Ja …?“ Annette erblasste.
„Da gab es tags vor der Fete eine Besprechung, ob Achims Probevertrag verlängert werden sollte. Die Abstimmung fiel knapp gegen ihn aus. Er passte nicht ins Team, er leistete gute Arbeit, aber er war auch irgendwie … na … rücksichtslos. Das hatte viele gestört. Als er das hörte, rastete er aus. Der ist ans Verlieren nicht gewöhnt, der nicht! Er würde sich an allen rächen, die sich ihm in den Weg gestellt hatten, brüllte er. Der Chef beruhigte ihn irgendwann mit der Aussicht, ihn auf der Geburtstagsparty einigen einflussreichen Herren vorzustellen, um seine Aussichten auf einen neuen Job zu erhöhen. Und, stell’ dir vor, jetzt kommt’s: Achim hat dies genutzt, um den wichtigsten Kunden unserer Firma zu verprellen. Von dem Kerl werden wir noch hören, Annette, ich sag’ es dir! Der hat das ernst gemeint mit seiner Rache!“
„Und?“, fragte Annette schwach. „Hattest du auch gegen ihn gestimmt?“ Eine fürchterliche Vermutung fraß sich tiefer und tiefer in ihre Seele.

Letzte Aktualisierung: 25.09.2008 - 14.11 Uhr
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