'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Thema: Affäre | September 2008
BadGirlMuc
von Simone Edelberg

Das Badewasser umschmeichelte meine Haut. Genüsslich seufzend glitt ich noch ein wenig tiefer in die Wanne und sog den würzigen Duft des Aromaöls ein, das ich mir heute gegönnt hatte. Was konnte es Schöneres geben, als das Wochenende mit einem langen, heißen Bad zu beginnen? Mit nassen Händen tastete ich nach dem Rotweinglas auf dem Wannenrand, nahm einen kleinen Schluck und ließ den Wein über meine Zunge rollen. Hmmm ... Sanft und vollmundig wie ein Frauenkuss, eine aufregende Mischung aus Vanille, Brombeeren und Honig. Mein Weinhändler hatte sich wieder selbst übertroffen! Ich spürte, wie das heiße Wasser die vergangene Woche von mir abspülte und schloss die Augen. Entspannt döste ich vor mich hin und überlegte, wie ich den restlichen Abend verbringen wollte. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, mich selbst zu verwöhnen. Aber meist fühlte ich mich danach seltsam leer und so verwarf ich die Idee wieder. Was also wollte ich tun? Dann kam mir die Idee: Ich würde ins Internet gehen und ein wenig chatten. Das hatte ich schon lange nicht mehr getan.
Also los! Ich zog den Stöpsel aus der Badewanne, rubbelte mich trocken und schlüpfte in meinen geliebten verwaschenen Bademantel. Zehn Minuten später räkelte ich mich auf dem Sofa und klappte mein Notebook auf. Ich tippte die URL meines Lieblingsforums "Lyric Lovers" in die Adresszeile des Browsers und sah zu, wie sich die Startseite aufbaute. Bei den "Lyric Lovers" trafen sich die Freunde der erotischen Poesie. Natürlich unterhielten wir uns nicht nur über Gedichte. Oft genug wurde auch geflirtet. Und ich genoss es jedes Mal in vollen Zügen. Online hatte ich keine Probleme damit, meine Gefühle zu zeigen. Neugierig schaute ich mir die neuesten Einträge an und loggte mich dann in den Chatroom ein. Nachdem ich als „Helga46“ die Runde begrüßt hatte, las ich eine Weile stumm mit. Meine Finger lagen starr auf der Tastatur. Irgendwie machte mir die Sache heute keinen Spaß. Ich fühlte mich einsam. Seit Brigitte und ich uns getrennt hatten, war meine Wohnung viel zu groß. Und die Erotik kam auch zu kurz. Ich loggte mich wieder aus. Grübelnd knabberte ich an meinen Fingernägeln. Vielleicht war es ja an der Zeit, ein neues Kapitel in meinem Leben aufzuschlagen? Wenigstens online? Mein alter Nick stank mir schon seit langem. Ich goss mir noch ein Glas Wein an. Nachdenklich nippte ich daran. Was hatte ich denn zu verlieren? Ich könnte mir eine neue Internetidentität zulegen und es einfach ausprobieren. Keiner würde jemals erfahren, dass ich es war. Gut. Eine Frau, ein Wort! Nun brauchte ich nur noch einen neuen Namen. Da ich mich im Moment wie ein sehr böses Mädchen fühlte, entschied ich mich für den Nick „BadGirlMuc“. Ich war aufgeregt: Meine Einsamkeit, der Rotwein – irgend etwas war mir wohl zu Kopf gestiegen. Und so registrierte ich mich bei Yahoo als BadGirlMuc, legte ein dazu passendes Profil an und harrte der Dinge, die auf mich zukommen würden. Genug für eine Nacht! Ich gähnte, bis mein Kiefer knackte, ging offline und fiel kurz darauf in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Es dauerte eine Woche, bis ich mich traute, als BadGirlMuc online zu gehen. In der Zwischenzeit ließ ich die Finger vom Internet wie der Teufel vom Weihwasser. Doch dann hielt ich es nicht mehr aus und loggte mich ein. Ich wählte einen Chatroom namens „Sappho“ und hoffte auf das Beste. Bei der Begrüßung gab ich mich wild, frech und verführerisch. Bereits nach fünf Minuten sah ich ein Feuerwerk an Einladungen, mit mir in den Privatraum zu gehen. Ich hatte nicht damit gerechnet, gleich beim ersten Versuch so gut anzukommen. Wie sollte ich mich für eine Frau entscheiden? Ich plauderte mit allen im Chatroom, während ich gleichzeitig versuchte, in einem zweiten Browserfenster die wichtigsten Infos aus den einzelnen Profilen zu fischen. Nach einem längeren Blick auf ihre Profilfotos entschied ich mich für Lisa und nahm ihre Einladung zu einem Privat-Chat an. Sie kam aus Berlin, war 28, Single und liebte Lyrik. Ein Volltreffer! Und weit genug weg für ein erstes Abenteuer. Ich musste kaum befürchten, dass sie plötzlich vor meiner Tür stand und mit Sack und Pack bei mir einziehen wollte. Über eine halbe Stunde lang unterhielten wir uns großartig, flirteten miteinander. Dann fragte Lisa mich, ob ich einen Schritt weitergehen wolle.
„Ich möchte schon. Aber das ist neu für mich. Du musst mir zeigen, was ich tun soll.“
„Hmmm, lecker, eine Internet-Jungfrau! Gut, dann mach dich bereit für deine virtuelle Defloration.“
„Ich bin bereit.“
„Du sitzt auf deinem Sofa. Die Tür geht auf und ich komme ins Zimmer. Ich bin nackt bis auf einen weißen Spitzen-Teddy. Langsam nähere ich mich dir und lächle dich an. Du hast lange auf mich gewartet. Zu lange. Doch heute ist unsere Nacht. Ich komme zu dir, küsse dich zart auf die Stirn, die Wangen und auf den Mund. Knabbere an deinen Ohrläppchen. Sanft beuge ich dich zurück. Du liegst vor mir, ich ziehe dich aus, streichle dich mit meinen Händen und meiner Zunge, bis du am ganzen Leib zitterst.“
„Oh ja ...“, tippte ich mit fliegenden Fingern.
„Ich greife nach der Flasche mit Massage-Öl auf deinem Tisch“, fuhr Lisa fort. „Ich gieße etwas Öl in meine Hände und reibe es in die zarte Haut deines Nackens, deiner Schultern ... Dabei beuge ich mich vor und knabbere sanft an deinem Hals.“
„Ja!!!“
Es war unglaublich. Hier lag ich und ließ mich von einer Fremden verführen! Ich war so erregt wie seit langem nicht mehr. Schritt für Schritt führte Lisa mich in die Wonnen des Cybersex ein.
„Du bist wunderbar“, tippte ich mühsam.
Mein Atem ging schwer, mein Herz raste und ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Dann hielt ich es nicht mehr aus und kam. Wellen der Lust überfluteten mich. Mein Notebook krachte lautstark auf das Parkett. Mühsam rappelte ich mich auf, angelte mein Notebook vom Fußboden und tippte:
„Danke, Lisa!“
„War es schön für dich?“
„Ja! Nie hätte ich gedacht, dass Cybersex so sexy sein könnte.“
„Das freut mich. Für dich und für mich.“ Lisa sandte mir ein zwinkerndes Smiley.
„Kann ich etwas für dich tun?“, fragte ich und fühlte mich dabei so schüchtern wie eine Vierzehnjährige aus dem Mädchenpensionat vor dem ersten Kuss.
„Mein Mädchen, für heute hast du mich schon sehr glücklich gemacht. Lass uns nichts überstürzen. Treffen wir uns morgen wieder? So um 21 Uhr?“
„Ja, gerne!“
„Dann gute Nacht. Schlaf schön und träum von mir!“
„Das werde ich. Gute Nacht!“
Erschöpft, glücklich und verwirrt klappte ich mein Notebook zu, ohne mich auszuloggen. Mein erster Cybersex! Und dann gleich so heftig. Während ich noch überlegte, ob ich einer meiner Freundinnen davon erzählen würde, schlief ich auch schon auf dem Sofa ein.
Mein erster Abend mit Lisa war der Beginn einer leidenschaftlichen Affäre. War ich verliebt? Vermutlich. So weit ich mich eben in eine Frau verlieben konnte, die ich nur über das Internet kannte. Wir trafen uns jeden Abend im Chatroom und sprachen miteinander. Meist liebten wir uns und ich begann, die Spielregeln für Cybersex zu lernen. Oft unterhielten wir uns auch nur, tauschten Gedichte aus, redeten über unsere Träume. Die fast perfekte Beziehung. Seit langer Zeit war ich wieder glücklich und ausgeglichen, was auch meiner Umgebung auffiel. Ich beichtete allerdings niemandem, dass ich eine Online-Affäre hatte. Das war mir dann doch zu peinlich. Lisa und ich lernten viel voneinander. So erfuhr ich, wie sich das Leben einer Doktorandin der Rechtswissenschaft an der FU Berlin gestaltete, während Lisa von mir mit frischen Gedichten und den Einsichten einer spätberufenen Lesbe versorgt wurde. Anders als ich hatte sie nie mit einem Mann geschlafen. Sie fand es lustig, dass ich meine ersten sexuellen Erfahrungen mit Männern gesammelt und erst mit Anfang 30 die Lust an Frauen entdeckt hatte.
Ich genoss ihre lebendige, jugendliche Art, das Leben in Angriff zu nehmen und spürte, wie ich dabei von Tag zu Tag mehr aufblühte. Meine Waage zeigte fünf Pfund weniger an als zu Beginn unserer Beziehung. Lisa verwöhnte mich mit exotischen Phantasien, entführte mich an sonnengleißende Strände oder liebte mich virtuell auf den verschneiten Hängen des Himalaja. Anschließend linderte sie meinen imaginären Sonnenbrand oder küsste meine ebenso virtuellen Frostbeulen und rieb sie liebevoll mit Salbe ein. Ihre Vorstellungskraft kannte keine Grenzen und riss mich mit. Fast wünschte ich, mein Leben für immer mit Lisa zu teilen. Doch dann kam eines Abends unsere Internet-Liebe zu einem abrupten Ende:
„Mein böses Mädchen, ich habe tolle Neuigkeiten für dich!“
„Was gibt es denn?“, fragte ich.
„Mein Doktorvater geht für ein Semester nach München und möchte mich mitnehmen. Dann können wir uns endlich real treffen. Was denkst du? Freust du dich?“
Ich spürte, wie mir das Blut in den Adern gefror. Das konnte doch nicht wahr sein! Was sollte ich tun? Verzweifelt kämpfte ich meine Tränen zurück und konzentrierte mich darauf, eine ebenso freundliche wie unverbindliche Antwort zu tippen.
„Natürlich. Das klingt großartig. Wann kommst du?“
„So wie es aussieht, schon am nächsten Mittwoch. Kannst du mich am Hauptbahnhof abholen? Ich komme um 15.08 Uhr an.“
„Ja, sicher. Ich freue mich auf dich, meine Schöne. Du hast mir ja erst gestern ein aktuelles Foto von dir geschickt. Da werde ich dich sofort erkennen. Ich warte am Ende des Gleises auf dich.“
„Super! Ich freue mich wahnsinnig auf dich, mein böses Mädchen!“
Am nächsten Tag löschte ich mein Profil und wechselte meinen Provider. Das war das Mindeste, was ich für Lisa tun konnte. Nie sollte sie erfahren, dass ihr böses Mädchen eine verknitterte Frau von 62 war, mit drei Enkelkindern und dritten Zähnen.

Letzte Aktualisierung: 22.09.2008 - 11.39 Uhr
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